03 Dez

Europa – Meditation 4

E u r o p a – M e d i t a t i o n  4

In der letzten Novemberwoche des Jahres 2014 strahlte in den Überschriften fast aller Medien der so oft gescholtene und noch öfter gepriesene Namen der Prinzessin aus dem alten Phönizien: EUROPA – als Hauptwort oder als Eigenschaftswort. Politiker und Vertreter der großen Weltreligionen führen sie im Munde wie wunderbar weichen Marzipan, der auf der Zunge lustvoll schmilzt und vergeht.

Was verleitet zu dieser fast schon wie in einer Litanei beschworenen Europa-Bilderflut? Und was könnte gemeint sein, wenn der Name dieser Prinzessin so wohlfeil scheint?

Europa muss eine globale Gestaltungsmacht werden

heißt es da zum Beispiel kurz und bündig. Oder an anderer Stelle kann man lesen:

Gealtert sei Europa…ausgezehrt und müde wie eine Großmutter.
Die Menschen seien vereinsamt, sie frönten einem rücksichtslosen
Egoismus und einer unmenschlichen Wegwerfkultur. Von anderen
werde Europa mit Kühle, Misstrauen und Argwohn betrachtet.

Gegensetzlicher können die Ansichten kaum sein. Beide Male sind es Europäer, die so sprechen. Der erste Satz kommt einem als Europäer sehr vertraut vor: Nach dem Zeitalter der Entdecker, der Kolonisten und Imperialisten – alle aus Ländern, die europäisch genannt werden – kommen nun die Technokraten, Konzeptionalisten, global player und European Think Tanks Group (sie vereint vier führende europäische Think-Tanks, die zu Fragen globaler Entwicklung zusammenarbeiten), im Gewande von win-win-Spielen, in denen es keine Verlierer mehr geben wird, sagen jedenfalls die Think-Tanker. Früher, ja früher, da meinte man mit dem englischen Wort tank noch einen Panzer, aber heute, heute ist natürlich damit ein Fass voller Wissen und Kooperation gemeint, vor dem man sich ganz und gar nicht fürchten muss. Aber dennoch liefern beide Beispiele auch etwas an Botschaft, das erst beim erneuten Lesen und Nachdenken deutlicher wird: (im wissenschaftlichen Sprachduktus würde man an dieser Stelle von Subtext sprechen) Da tritt jemand auf, der selbstbewusst und mit einem Anspruch sich zu präsentieren weiß, geradezu ein Recht zu haben auf globale Führungsmacht; und in dem „muss“ schwingt unüberhörbar mit, dass gegen diesen europäischen Gestaltungswillen kein Widerspruch geduldet werden muss. Wie wird das auf einen Südkoreaner oder einen Kurden wirken? Die Antwort lässt sich leicht aus dem zweiten Beispiel herauslesen: Es wird mit Kühle, Misstrauen und Argwohn aufgenommen werden, weil Bevormundung und Arroganz darin mitschwingt. Auch etwas Gewaltbereites transportiert dieses „muss“ für jedweden Adressaten außerhalb Europas. Passt dieses Muster nicht erstaunlich gut in das Bild vom alten Mythos, von der unfreiwilligen Entführung der Europa? Hört man nicht geradezu den Gott im Stier-look brüllen:

„Europa, du musst mir gefügig sein, schließlich bin ich nicht irgendein kleiner Provinz-Fürst, sondern Zeus, der Blitze Schleuderer! Durch mich wird deine Zukunft glänzend sein!“

Und was ist nach den paar Jahrtausenden aus dieser Prophezeiung geworden? Europa gefangen in rücksichtslosem Egoismus und in einer Gesellschaft, die von der Lust am Wegwerfen besessen scheint. Nachdem die großen Kriege als wenig erfolgreiches politisches Modell nur millionenfaches Menschenleben vernichtet hatten, kamen die Europäer – zusammen mit ihren Verwandten in Übersee – auf die kluge Idee, mit Konsum und Wachstum in einer Endlosschleife sich und die restliche Welt beglücken zu sollen. Die Erinnerung an die Verführung Europas ließ sie wohl glauben, Werbung sei das Allheilmittel, um alle zum Mitmachen bewegen zu können. Von „gealtert“ sein darf auf keinen Fall die Rede sein, nein, stattdessen wäre ein Projekt der Verstetigung der Jugend und der Abschaffung des Todes viel verführerischer – und dafür machen sie nun Werbung, Tag und Nacht, all überall, jahraus jahrein.

Das wussten auch schon die antiken Rhetoriker, dass die Wiederholung die wirkungsvollste rhetorische Figur ist. Quintillian wäre begeistert, wenn er noch erleben könnte, zu welch phantastischen Wiederholungswortspielen die Europäer inzwischen fähig sind. Supergeil, würde er dann sicher sagen, supergeil. Immerzu.

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