Europa – Meditation # 428
Litaneien statt Kassensturz – wie unpassend.
Ermüdungserscheinungen digital wie analog – die Medien hängen gewissermaßen durch, leiern ihre immer gleichen Gesänge runter, liefern ihren Kotau vor dem verbalen Kampf gegen Antisemitismus ab (man spürt geradezu die tatsächliche oder gespielte Erschöpfung), der Krieg in der Ukraine ist nach wie vor wegen der schlechten Quellenlagen ein zu heißes Eisen, um es endlich ordentlich zu schmieden: Krieg ist Krieg und Frieden harte Arbeit. Die Superlative laufen leer, an jeden Tag ist wieder von „Unerhörtem“ die Rede: Drohnen, Minen, Tunneln, Raketen, Kettenfahrzeuge, Orden, Listen, Lagerkampf um Open AI – hohl, höhler, so ratlos.
So lange die Zentralheizung funktioniert und wir bis Mitternacht einkaufen können, wissen wir, dass wir noch auf der richtigen Seite sind. Natürlich ist gleichzeitig im Gaza-Streifen die Hölle los, während in Dubai weiter Phrasen gedroschen werden und der Ölpreis klar gemacht wird. Vor lauter Wendehälsen weiß keiner mehr, in welche Richtung man sich wenden soll. Hauptsache, eigene Besitzstände können weiter konsumiert werden. Die soziale Schieflage in den USA oder in der BRD kann eben im Moment nicht hinreichend mit kritischen Texten bedient werden, weil wir ja alle längst im sogenannten „Krisenmodus“ angekommen sind. Wie schön, dass es dieser hohle Begriff zum Wort des Jahres gebracht hat, wie schön?
Zum Glück stehen zahlreiche Glühwein-Treffen und das Weihnachtsessen auf der Agenda, das verhilft zu besserem Bauchgefühl allemal. Der Kassensturz, den verlegen wir doch besser ins kommende Jahr, genauso wie den Bundeshaushaltsplan 2024!
Was lügen wir uns eigentlich sonst noch alles in die Tasche in diesen düsteren Tagen des zu Ende gehenden Jahres?
Jedenfalls haben wir inzwischen eine ziemlich dicke Haut entwickelt, wenn es um Begriffskehrtwenden geht: Von Friedensliebe zu Kriegstüchtigkeit, von Asylrecht zu intakten Grenzen, von erneuerbarer Energie zurück zum Weiter Verbrennen fossiler Reste.
„Europas sanfte Macht droht Europas sanfte Macht zu untergraben“ (Joseph Nye) – sanfte Macht? Noch in den Folgen des europäischen Kolonialismus schwabbt die kalte Macht der Europäer zu uns zurück, während wir gönnerisch Restitutionen ermöglichen wollen.
Es wäre gut, soliden Begriffen wieder auf die Beine zu helfen, sie abzuklopfen nach ihren doppelten Böden, die sie fast immer haben. Und es nicht einfach nur bei Schulterschlüssen zu belassen (Verbindungsbruder, Parteisoldat, Blasenfreund, Freimaurerfreund, Hinterbänklerclub) oder bei öffentlichen Bekenntnissen zu verwässerten Grundwerten oder sich ordentlich stark zu fühlen in der kurzsichtigen Wagenburgmentalität. Das würde allerdings bedeuten, nicht mehr nur mit den eigenen Leuten zu reden, sondern den Mut aufzubringen, gerade mit denen ins Gespräch zu kommen, von denen man „sicher weiß“, dass sie auf dem falschen Dampfer dümpeln. Also runter vom hohen Ross und rein in die Kneipe des „Gegners“ (obwohl doch längst klar sein müsste, dass wir alle im gleichen Boot vor uns hin schlingern und keine Zeit mehr ist für selbstgerechte Spielchen)!