19 Jan

Europa – Meditation # 433

Wenn Lügen zu Wahrheiten gestylt werden.

Seit dem dritten Jahrhundert verkündet die neue Religion im Römischen Reich, dass alle Gläubigen nach dem Tod reich beschenkt ewig im Himmel weiter leben werden. Das gefiel nicht nur den Sklaven, Veteranen und Armen, sondern auch den Reichen und Mächtigen: Denen versprach die Kirche, wenn sie reichlich spenden, ihr Vermögen nach dem eigenen Tod der Kirche vermachen, werde man täglich für sie beten, dass der gnädige Gott sie zu sich holen möge. Das machte die Bischofssitze und die Klöster mächtig reich. Ihre Tempel sollten schon einen Vorgeschmack von der Pracht im Himmel vor Augen führen: prächtige Fresken, bunte Mosaiken, warmes Kerzenlicht und berauschender Weihrauchduft. Die Rechnung ging auf – zumindest für die Kirche. Ihre Versprechungen konnten sich ja jedweder strengen Untersuchung entziehen, da zu keiner kritischen Befragung je Gott selbst erschien – so sollten zumindest Wunderwirken und Visionen von Heiligen jede Beweisführung überflüssig machen.

Diese Botschaften würden gläubige Menschen nie als Lügen bezeichnen – denn wer nicht glaubt, kann die angebotene Wahrheit natürlich auch nicht als solche wahrnehmen. Der größte Schatz – sozusagen der Hauptgewinn – wartete auf jeden, der es glauben konnte. Keine Lüge, wahr!

Der neue Prophet aus Arabien lieferte dann noch einen weiteren Schatz hinzu: 72 Jungfrauen – die Huri. In Sachen Beweisführung muss das Wort im Koran reichen – auch hier liegen Visionen eines Mannes vor, der glaubt, über Gabriel die Richtlinien Gottes empfangen zu haben. Und sie gleich aufschrieb. Also auch noch eine sexuelle Dreingabe. Keine Lüge, wahr!

Im religiösen Bereich läuft demnach die Bedeutung des Wortes Lüge ins Leere.

Der Likud verkündet 1970 Israel vom Fluss bis ans Meer auszudehnen zu wollen.

Die Hamas zieht 1988 nach und verkündet den gleichen Anspruch für die Palästinenser.

Das halten die Israeli für ein Horrorkonzept, weil es ja die Vertreibung der Juden aus Palästina bedeuten würde, verschweigen aber, dass sie selbst für sich das gleiche Konzept beanspruchen und damit die Vertreibung der Palästinenser fordern. Kommen wir hier mit den Begriffen Lüge und Wahrheit weiter? Wohl kaum.

Es scheint, dass nur breites unverfälschtes Wissen, die Möglichkeit bietet, zwischen Lügen und Wahrheiten zu unterscheiden. Aufklärung eben.

In den USA gewinnt gerade ein Mann jede Menge Stimmen mit dem Argument, die Gegenseite habe gelogen, habe ihm das Amt gestohlen. Wenn auch die Zahlen ein anderes Bild ergeben, ist sein Argument nach wie vor wie in „Wahrheit“ verpackt und die ihn gerne als Präsident sähen, ersparen sich natürlich gerne eine sachliche Prüfung des Vorwurfs der Lüge, da er als scheinbar Geschädigter natürlich sympathisch rüber kommt.

Und die Hamas brettert Tag für Tag ihr Credo, dass jeder tote Kämpfer direkt ins Paradies eingeht. In Angst und Schrecken ist solche eine Aussicht der letzte Rettungshaken für den letzten Schritt vorne an der Front oder als Selbstmordattentäter.

Und so ist es auch mit der Demokratie und ihren Slogans der Französischen Revolution: Liberté, Fraternité, Egalité: auch dahinter verbirgt sich bis heute eine patriarchalische Eigentumsgesellschaft, die mit Hilfe des Erbrechts und der gewaltsamen Unterdrückung der Frau etwas als Wahrheit verkauft, was nach wie vor gegen den Himmel stinkt. Die Reichen werden immer reicher, Homizide, Prostitution und gesellschaftliche Benachteiligung der Frauen können weiter übertönt werden von der Lügengeschichte einer freien und gleichen Gesellschaft, die in einem nationalen „WIR“ gefeiert und befeuert wird. In den USA wird jeder, der es nicht nach oben schafft, mit „selber schuld“ entsorgt, bzw. der, der es geschafft hat (mit welchen LÜgen auch immer°!) mit dem Credo gepriesen, dass gerade wirtschaftlicher Erfolg bereits eine Auszeichnung Gottes auf Erden sei und damit der Freifahrtschein in den Himmel!

Im sogenannten Sommermärchen erlebten die Menschen für einen Moment so etwas wie ein Fest unter Gleichen, weil beim public viewing, in überschaubaren Gruppen, die Unterschiede im sozialen Hintergrund keine Rolle spielten. Mit dem Bier in der Hand qautschte man mit jedem per du über den wahnsinnigen Pass und den zu unrecht gegebenen Elfmeter. Ein Moment eben, ein Märchen deshalb. Denn eine Nation ist immer eine Fiktion von Gemeinschaft – das WIR ist ein konditioniertes Kopfprogramm, das bei günstiger „Wetterlage“ halbwegs zu funktionieren scheint. Ein wirkliches WIR kann der homo sapiens – aufgrund seiner biologischen Ausstattung – lediglich auf einer viel kleineren Ebene erleben – in Dorf, im Kiez, im Veddel. Der Nationalismus war somit oft gezwungen, in Kriegen nach außen (oder auch nach innen) von seiner Fassadenhaftigkeit abzulenken. Auch dafür haben wir ein probates Wort erfunden: Sozialimperialismus. Es hilft aber auch nicht über den kollektiven Selbstbetrug hinweg, lenkt höchstens davon ab. Dennoch hat die Wahrheit gegen solch eine kollektiv inszeniert Lüge keine Chance mehr. Sie mutiert unter den Hand und im Laufe der Zeit zu einer neuen „Wahrheit“. Als wäre die Art, in der zur Zeit die Massen leben und arbeiten, geradezu natürlich, selbstverständlich, das wahre Leben eben.

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