01 Jan.

Europa – Meditation # 307

Europa – Babylonische Sprachverwirrung? (Teil 2)

Überall in Europa wird es laut und schräg begrüßt, das Neue Jahr. Vorher schon im Osten, später dann auch im Westen. Ein Fürst im Vatikan hatte einst die Macht, Zahlen vorzugeben, nach denen wir Tag und Nacht in seiner Folge ordnen sollten – bis heute. In anderen Kulturen gibt es andere Zahlenspiele. Was soll‘s. Den Rhythmus des Lebens lebt die Natur uns auch ohne Zahlen vor, gewiss. Und der Zufall – Lukrez lässt grüßen – tut das Seine dazu. Wir aber, die Sprach-Jongleure auf diesem kleinen Planeten meinen doch tatsächlich, wir könnten dieses All mit einem Sinn erfüllen, der auch die letzten Zweifel beseitigen würde. Wir blenden einfach die östlichen Interpretationsangebote aus, bestätigen der europäischen Aufklärungszeit Allgemeingültigkeit und sehen uns als deren gelehrigen Schüler, die einfach alles so lange betrachten und ausmessen, bis es sinnvolle Zahlengebilde ergeben, die das bestätigen, was wir als Hypothese an den Anfang gestellt haben. Ein beinhartes Verfahren, das keine Gnade kennt, da kann sich die Natur noch so quer stellen, wir zeigen ihr letztlich doch, wie sie tickt.

Nehmen wir kurz zur Veranschaulichung dieses eindrucksvollen Denk- und Sprech-Verfahrens ein kleines Zitat aus den Sozialwissenschaften dieser Tage. Das sagt jemand den schwer wiegenden Satz – als Motto für das Neue Jahr – „Wir brauchen ein besseres Bewusstsein und Verständnis für gesellschaftliche Probleme“. Was für ein Satz!

Wer ist gemeint mit WIR?

Was ist schlechteres Bewusstsein?

Was Bewusstsein?

Welches Verständnis soll sich einstellen?

Welche gesellschaftlichen Probleme sind denn überhaupt Probleme und was bedeutet gesellschaftlich eigentlich?

Lauter Fragen, die in einem kurzen Menschenleben kaum zu beantworten sind – wenn wir ehrlich wären – die aber auch gar nicht gestellt werden, denn der Satz steht ja gar nicht in Frage, er kommt daher, als wäre er eine Floskel wie „Schönes Wetter heute!“ (obwohl man selbst da fragen könnte, was heißt hier schön, was heißt hier Wetter?)

So schleicht sich unversehens Ratlosigkeit ins europäische Sprachgesumm, aber der Retter aus der Not winkt schon hoffnungsfroh: Bald, schon ganz bald gibt es doch Metaverse, da kann jeder sich seine eigene Welt basteln, die tatsächliche wird demgegenüber absolut nebensächlich, wo doch sowieso die meisten mit der Wissenschaftssprache rettungslos überfordert sind! Lasst das mal nur die Sorge von ein paar Spezialisten sein, Nerds sicher. Die anderen sollen stattdessen intensiv meinen können, sie lebten in einer Welt, die sie selbst erfunden haben und die den Gesetzen gehorcht, die sich der User selbst ausgedacht hat. Das pralle Leben eben.

Wo ist denn da dann das Problem?

The metaverse is the next evolution of social connection

29 Dez.

Europa – Meditation # 306

Europa – Babylonische Sprachverwirrung? (Teil 1)

Zum Jahresende werden gewöhnlich Rückblicke montiert, die zwischen Gänsehaut-Feeling und „Na, da haben wir ja noch einmal Glück gehabt!“ changieren. So erzählen wir uns in Dauerschleife das gerade erst Vergangene als vergangen, (als würde das Vergangene nicht weiter unser treuer Begleiter und Einflüsterer sein!) schauen mutig und kritisch nach vorne und nehmen uns hier in Europa so einiges vor:

Möglichst bald klimaneutral zu wirtschaften!

Möglichst flächendeckend Schulen zu digitalisierten Hochburgen trimmen!

Möglichst Cyber-Kriminalität in den Griff zu bekommen!

Möglichst schnell die Inflation zu bremsen und wieder durchzustarten!

Möglichst vorne die 27 EU-Mitglieder im Chor der Weltmächte zu plazieren!

Dabei läuft die EU-Administration hechelnd hinter den großen Brüdern her, doch dabei geht ihnen mehr und mehr die Puste aus. Da aber in Mitteleuropa gerade eine neue Mannschaft die politische Ampel auf grün geschaltet hat, platzen die hochdotierten Beamten fast vor Euphorie und Optimismus aus den Nähten ihrer neuen Kollektionen. So basteln sie hektisch an einem progressiven Narrativ und sehen sich schon als Pioniere eines neuen Zeitalters.

Nicht so die vielen Länder Europas. Ihre jeweiligen Narrative – nach hinten wie nach vorne – speisen sich aus den reichen Sprachkammern der eigenen Sprachen. Ihre Wurzeln gehen auf wenige „Ahnen“ zurück: keltische, romanische, germanische vor allem.

In all diesen Ländern dominieren zur Zeit Zahlen und Begriffe der Pandemie die Sprachbilder: Quarantäne, Impfpflicht, Inzidenz, Genesene, Gegner. Gebetsmühlenartig werden Abend für Abend in den Medien die neuesten Tabellen und Graphiken – gerne auch mit Vergleichstabellen zu Ländern aus Übersee und Asien – unterhaltsam vorgeführt.

Wie sagen da die einschlägigen Psychologen bei so etwas gerne: „Das macht etwas mit einem!“

„DAS“ – wer oder was ist gemeint?

„ETWAS“ – wer oder was ist gemeint?

In den Familien wird gestritten, geschwiegen, Kopf geschüttelt, monologisiert. Wenn dann noch als nächstes Thema der Medien von den „Blasen“ im Internet berichtet wird, in denen sich die jungen Leute zu verlieren scheinen oder in denen sie sich ihr eigenes Körperbild demolieren lassen, dann wird nicht nur dort, sondern auch zu Hause auf die Wiederhol-Taste geklickt und schon

hat jeder seine feste Meinung, die er immer und immer wiederholt. Wie in den Medien, wie in den Blasen.

Dass aber auch über all diesen europäischen Ländern eine große Blase blubbert, die in schimmernden Farben glänzt, wird so nicht mehr erkannt, weil diese Dauer-Schleifen-Narratio längst als ganz individuelle Sehweise von jedem charakterisiert wird. Als wären es nicht alles probate Erfindungen unseres Gehirns, mit unseren Ängsten möglichst entlastend umzugehen. Der Fehler kann ja wohl nicht bei einem selbst liegen.

Die Begriffe Demokratie und Freiheit sind dabei der Saft, aus dem diese Blasen ihre Nahrung ziehen. Als Individualismus kommen sie daher und schmeicheln dem schwankenden Ego, dass es nichts und niemanden über sich dulden soll.

Es sei denn, eine Sintflut bricht über uns herein und zeigt uns die eigenen Grenzen auf: Wie sehr wir auf die uneigennützige Hilfe der anderen angewiesen sind. Schon immer.

Was soll also das Theater vom Widerstand gegen Bevormundung? Da bastelt sich doch tatsächlich eine laute Gruppe kurzerhand ein passendes Narrativ von den coolen Durchblickern, der unerbittlichen Elite der autonomen Denker, die sich einfach nicht von den Medien und deren Handlangern verführen oder gar vorführen lassen wollen!

(Fortsetzung folgt!)

28 Dez.

Europa – Meditation # 305

Steter Tropfen höhlt den Stein.

Wachsen, wachsen, wachsen. Wir kennen das. Jetzt natürlich nur noch ökologisches Wachsen, naturbelassen, klar. Freie Fahrt ins Neue Jahr, die Ampel steht auf grün! Man muss es nur oft genug wiederholen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgen die Europäer zerknirscht und bankrott dem amerikanischen Lockruf, den „american way of life“ endlich zu kopieren, zu investieren, sich zu verschulden und einfach nur auf Verschwendung, Wachstum und die Börse zu setzen. Und als brave Schüler kopierten wir, was das Zeug hält, warfen Altes übereilt über Bord und fanden uns unwiderstehlich progressiv. Das dazu gehörige politische Modell, die sogenannte repräsentative Demokratie sollte auch schön wachsen. Neue Parteien wurden den alten übergestülpt, alte Muster wurden neu aufpoliert und mit Persil rein gewaschen, statt auf moralische Selbstvergewisserung, Läuterung und Schuldbekenntnis setzt Europa auf den Slogan von der Stunde NULL. Die auf der Strecke Gebliebenen und deren Nachfahren werden ins Kleingedruckte verbannt, besser noch tot geschwiegen.

In den neuen Schulbüchern wimmelt es nur so von Amerikanismen, von Neuer Welt, Neubeginn und Optimismus. Ein Aufschwung ohnegleichen scheint dem aufgezwungenen Weg recht zu geben: Die Amerikaner sind einfach die richtigen Vorbilder. Fortschritt, Wachstum.

Jetzt, nach gerade mal 70 Jahren (!), ist der Katzenjammer ebenfalls ohnegleichen: Die Vorbilder bewaffnen sich bis an die Zähne, schicken die Verlierer ihres „Wachstumsspiels“ zu Hause in die Pampas, wo sie in schäbigen Wohnwagen TV-Werbespots inhalieren bis ins Delirium, überlassen die Afghanen ihrem Schicksal, nachdem die Amis selbst keine Lust mehr haben, dort weiter die „freie Welt“ gegen das Böse zu verteidigen. Aus die Maus. Die Verbündeten können nun selbst sehen, wie sie die in den Sand gesetzten leeren Versprechungen den Opfern plausibel machen.

Zum Glück gibt es jetzt die Pandemie. Ein Feuerwerk der probaten Ablenkung von den Irrwegen der letzten siebzig Jahren.

Nutzen wir sie, so lange sie dauert, am besten im Modus der Wiederholung:

Die Börse wird im kommenden Jahr so was von durch die Decke gehen, halleluja! Also Geld riskant anlegen, wer wagt gewinnt!

Der Egoismus ist trotz allem die Lösung: Wenn jeder malocht, wird das Wirtschafswachstum so was von durch die Decke gehen, dass allen Schwarzmalern ganz schwarz vor Augen werden wird!

Und die Internetforen werden auch im kommenden Jahr dafür sorgen, dass jeder weiter daran glauben kann, was er da Tag und Nacht vorgesetzt bekommt, ungefiltert und mangels Medienkompetenz auch einfach nur zu glauben.

Derweil arbeiten die Amis – fast schon wie Fundamentalisten – an der Demontage ihres eigenen Gesellschaftsmodells. Frohes Neues Jahr dann!