14 Nov.

Europa – Meditation # 296

EIN ALTER MYTHOS NEU ERZÄHLT:

Die Europäer hatten schon immer eine Menge Phantasie. Vor langer Zeit erfanden sie sich nicht nur all die Wörter, um das Dauerfeuer auf ihre Sinne in ihrem Gehirn scheinbar zu bändigen und zu entzaubern, nein, sie erfanden auch ein Gesellschaftsspiel, dass den Mann zum Herrn über die Frau verewigen sollte – die Patrix. Passend dazu natürlich auch einen unsichtbaren Gott, der ihre Erfindungen erst ermöglicht habe. Da sie sich nicht nur an die Macht ihrer Wörter und ihres unsichtbaren Gottes, sondern auch an die über das andere Geschlecht gewöhnten und ihre Wahrnehmungen als Wahrheiten postulierten, lieferte ihnen das Wort „Natur“ alle Antworten für alle Fälle. Der Name Europa stand dabei für „die Weitsichtige“, sie war überwältigt und vergewaltigt worden – nun standen die Männer sehnsüchtig an Europas Gestaden und segelten neugierig los in die weite Welt.

Ihre Sicherheit im Umgang mit ihren erfundenen Begriffen brachte sie so weit, dass sie Dinge zu erfinden verstanden, die durch bloßes Nachdenken und durch Versuche zu erstaunlichen Ergebnissen führten, die ihnen das „Recht“ gaben einer scheinbar grenzenlosen Inbesitznahme von Welt und fremden Kulturen und Menschen. Längst war vergessen, dass alle Vorstellungen von sich und der Welt wortreiche Erfindungen waren, die nur oft genug wiederholt worden waren, um nicht mehr bloß als Vorstellungen zu gelten, sondern endlich auch als unumstößliche Wirklichkeiten, Gesetzmäßigkeiten, denen sich anzupassen, bzw. zu unterwerfen, wahre Freiheit bedeutete.

Viele Jahrhunderte lang legte sich dann das Netz dieser klugen Worterfinder über den Rest der Welt. Ihre Erfolge schienen ihnen Recht zu geben: Ein Weltreich von Europa aus kontrolliert, der Reichtum zu Hause prachtvoll ausgestellt in Architektur, Kunst und Mode. Man(n) wurde nicht müde, solche Herrschaft als gottgewollt (manifest destiny) herzuleiten, Ausbeutung und Unterdrückung der betroffenen Kulturen waren so also auch kein moralisches Problem und das erfundene Gesellschaftsmodell aus Griechenland (auch dort durften nur die wohlhabenden Männer wählen und mitbestimmen, Sklaven und Frauen waren „natürlich“ draußen vor) – die demokratia – passte wunderbar zu diesem Bereicherungs- und Vernichtungsmodell: wieder liefern die Wörter – in einer Endlos-Werbeschleife – den Text zur natürlichen Herleitung solcher unnatürlichen Verhältnisse.

Aber ein Fremdwort liefert nun die Bezeichnung für die Bruchstelle im Wortsystem der Europäer: Der B u m e r a n g.

Wortgebilde wie Klimawandel, Umweltschmutz, Arten Sterben, Pandemien fallen nun auf ihre Erfinder und Verursacher zurück. Weder der ehemals so mächtige unsichtbare Gott, noch die uneinsichtigen Männer selbst mögen allerdings solche einer neuen Erzählung europäischer Geschichte folgen.

Doch da erscheint auch der Name Europa – die weitsichtige – in neuem Bedeutungslicht: Der alt gewordene Selbstbetrug, der den Wortbau zu Babel zum Einsturz bringt, ist auf weite Sicht ein eher peinliches Auslaufmodell scheppernder Worthülsen geworden. Und die neuen Wörter, die die Europäer nun erfinden müssen, werden alle jenseits der Matrix Patrix zu bilden sein: sehr weiblich, sehr langsam, sehr geduldig und sehr mitverantwortlich für eine Umkehr, zu der es keine wirkliche Alternative mehr gibt – es sei denn: Die Männer kneifen die Augen zu, halten die Luft an und stürmen dann brüllend wie verrückt gewordene Bonobos los – wohin auch immer und wozu auch immer, jedenfalls erbärmlich kopf- und wortarm: „Lügen, nichts als Lügen!“ In diesen verzweifelten Slogan wollen sie sich flüchten, längst wissend, dass es eine ziemlich ungemütliche und fatale Sackgasse geworden ist!
Mehr Phantasie als je ist angesagt – ganz neue Wörter gilt es einzuüben, jetzt!

Wenn wir nicht wie Lemminge alle in den Abgrund rennen wollen, hat das Warten auf frohe Botschaften von oben keinen Wert mehr. Das gute Gefühl, das sich mit den neuen Wörtern und Vorstellungen bei jedem von uns einstellt, ist der Gradmesser für die Möglichkeit eines Auswegs aus der selbstverschuldeten Untergangsperspektive; Zahlen und Tabellen sind da nur wie Nebelkerzen – Intuition und Bauchgefühl sprechen dagegen eine wohltuend rettende Sprache. Wir Europäer müssen sie jetzt lernen – und zwar in einem Schnell-Kurs! Konferenzen wie die in Glasgow sind da nur noch peinliche Beispiele für unangebrachte Sandkastenspiele.

12 Nov.

Europa – Meditation # 295

Europäer im Selbsthilfe-Modus!

Nun denn: Weder die Politiker noch die Medienproduzenten scheinen in der Lage zu sein, entschieden und nachhaltig dem unsichtbaren Gegner zu begegnen.

Dann müssen die Bürger Europas eben die Dinge selbst in die Hand nehmen, bevor ihnen die Luft ausgeht!

Die Wiedergeburt aus der Antike und die Aufklärung haben uns aus der selbstverschuldeten Patrix und Unmündigkeit – unsere Matrix so lange schon – zuerst einmal mindestens im Kopf herauskatapultiert, nicht aber im materiellen Außen. Dort sind Ungleichheit und Ungerechtigkeit immer noch die Portalfiguren unserer Existenz. Kopflastig erfanden wir deshalb gewählte und bezahlte Vertreter, die für uns diesen Teil abbauen und erledigen sollten, damit wir im Privaten sorglos Leben gestalten könnten.

Aber die Fortschritte gleichen eher dem der Weinbergschnecke als dem der Delfine. Das wird in diesen Tagen überdeutlich. Denn statt alles selbst zu tun, um dem unsichtbaren Gegner keine Chance zum Töten zu geben, delegieren wir weiter die Gegenwehr-Konzepte an den Staat mit seinen Beamten und Institutionen. Den beschimpfen wir ordentlich, weil er zu langsam, zu widersprüchlich und zu parteipolitisch agiere. Währenddessen sterben die Verwandten leise weg. Das Gezeter wird lauter und lauter, aber Bequemlichkeit, Feigheit und Lästereien bremsen uns selbst beim Selber Vorsorgen so nachhaltig aus, dass wir gerne vergessen, dass wir selbst es sind, die uns am besten retten könnten:

Also, warum denn weiter auf die Vorschriften und Verbote der Repräsentanten unseres demokratischen Systems warten, wenn wir als Demokraten doch direkt an uns selbst vormachen können, was nötig ist, um uns und damit auch den anderen zu schützen? Dazu bedarf es keiner Partei, keines Amtes, keiner Vorschriften, denn die Verantwortung für unser eigenes Leben tragen wir selbst am besten selbst.

04 Nov.

Autobiographische Blätter – Erneute Annäherungen 2021 – Leseprobe im November

Aus der Fibel für Anfänger im bröckligen Treibsand zahlloser Sprachhaufen

Was wären wir nur ohne Tagträumerei?

Ist es nicht eigenartig, dass wir nach jedem Kino-Besuch gerne zugeben, dass wir völlig in die Geschichte eingetaucht waren, mit den Protagonisten fieberten, heftiges Herzklopfen betroffen in uns selbst bemerkten, wenn die Identifikationsfigur (Herzdame/Herzbube) die Karten auf den Tisch legte? Als wäre die Realitätsebene drinnen im Kino und draußen in der Tiefgarage dieselbe? Und ist es nicht eigenartig, wenn jemand nun von seinen Tagträumen erzählt als einer Zeitreise in benachbarte Realitätsebenen (so er/sie jemanden hat, der/die zuhört), dass mitleidiges Lächeln hochkommt ob solcher naiver Zeitverschwendung und Irrfahrt? (Die Erfahrung im Kino bleibt dabei dann brav im Keller).

Haben die Erdlinge nicht vor einiger Zeit erst die Sprache erfunden, mit deren Hilfe sie sich das Chaos Welt zu ordnen, zu katalogisieren begannen? Und ist es nicht mehr als eine bloße Gewohnheit, mit Hilfe dieser Zeichen-Sprache das Wirkliche für das zu halten, was die Übereinkunft der sprachlichen Begriffe dafür anbietet: Das wirklich Wirkliche?

Was wären wir nur ohne unsere Tagträume? Um dieses wirklich Wirkliche durch eine eigene Wirklichkeit zu ergänzen, in Frage zu stellen, zu überbieten? Gefangene in einem Sprachpuzzle, das zwar ohne Grenzen zu sein scheint, das aber eben auch nur eine Erfindung für etwas ist, das wir Wirklichkeit uns angewöhnt haben zu nennen.

Erst in den Exkursionen in unsere Tagträume finden wir den vorläufigen Halt für scheinbare Gewissheiten, die dann in unseren Gefühlen baden gehen….

Schon Lukrez machte den bescheidenen Vorschlag – um nicht am Zufall zu verzweifeln – alle zufälligen Veränderungen kleinsten Karambolagen der Atome im Chaos des Kosmos (wobei Kosmos schon ein Begriff ist, der scheinbar ein großes Ganzes zu beschreiben scheint – zumindest in der Sprache) zuzuschreiben; diese kleinsten Veränderungen führen dann zu zufälligen neuen Bahnen, auf denen sich dann die Atome neu begegnen, jetzt aber in einer neuen Richtung hin zu neuen Berührungen – unvorhersehbar, aber nur wieder überraschend und wunderschön…