01 Sep.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 124

Der fast schon vergessenen Botschaft glückliche Rückkehr.

Athanama, die dunkelhäutige, schaut voller Trauer aufs Wasser. Sie hatte schon in ihren Träumen den Untergang von Sidon gesehen. Die Schreie der Sterbenden gehört. Jetzt auch die von den drei Brüdern Europas. Am ehemaligen Königshof war sie als junge Priesterin herangewachsen, hatte oft mit Europa am Ufer des Meers Ball gespielt. Auch hatten sie sich gegenseitig ihre Träume erzählt. Natürlich nur die schönen. Aber jetzt war sie völlig allein mit ihren Träumen.

Ich muss sie finden. Sie weiß selbst nicht, warum sie das gerade denkt. Aber sie ist sich ganz sicher. Dass die drei Brüder sie nicht gefunden haben, versteht sie nicht. Und als sie jetzt nach Westen, in die untergehende Sonne blinzelt, sagt sie sich einfach: Das ist die Richtung, in die ich mich wenden muss. Dass es die große Göttin ist, die ihr das gerade sanft einflüstert, ahnt sie nicht einmal. Und die Götter im Olymp – vor allem Zeus und seine beiden Brüder Poseidon und Hades – hätten da wohl besser aufpassen sollen, denn Athanama wird noch eine große Rolle spielen, um die fast schon vergessene Botschaft vom Glück auf ihrer Rückkehr helfend zu begleiten.

Mit dem Rücken lehnt sie sich an das kleine Beiboot, das hier zurück gelassen wurde. Stimmen hinter ihr. Männerstimmen.

„He, du, hau ab, oder willst du helfen, das Boot ins Wasser zu schieben?“

Athanama sieht die vier Männer erstaunt an.

„Oh, wo wollt ihr denn hin?“

„Siehst du denn nicht draußen in der Bucht den großen Segler? Da wollen wir hin!“ Dabei lachen sie verschwörerisch.

Athanama zögert keinen Augenblick.

„Könnte ich mitkommen?“

Den vier Seeleuten bleibt das Lachen im Halse stecken? Wie sollen sie diese Frage verstehen?

„Ich könnte an Bord in der Küche helfen, ich kenne mich gut mit Kräutern aus!“

Vielsagende Blicke gehen zwischen den vier Männern hin und her. Schließlich nickt der älteste von ihnen und sagt:

„Du weißt wahrscheinlich nicht, auf was du dich da einlässt, aber uns soll es nur Recht sein!“ Gegröle. Und schon schieben sie das Beiboot ins flache Wasser, Athanama folgt ihnen, einer hilft ihr ins Boot, und schon rudern sie los.

Das muss die Göttin für mich geplant haben, denkt Athanama. Trotz der vier starken Männer, trotz des schwankenden Bootes, trotz der platschenden Geräusche könnte sie vor Glück fast laut aufschreien. Das tut sie aber nicht. Wenn sie an Bord gehen, braucht sie eine gute Erklärung für den Kapitän. Der wird nämlich sicher gar nicht begeistert sein. Oder doch?

30 Aug.

Europa – Meditation # 288

Angstmache war schon immer hilfreich, wenn einem die Argumente

fehlen, so wie Herrn Söder gestern im Interview.

In der SZ vom heutigen Montag kommt das entscheidende Zitat gar nicht vor, das Söder am Sonntagabend Oliver Köhr um die Ohren haute. Will die SZ den Bayer schonen, Punkte sammeln für nach der Wahl? Man habe doch immer versucht, die konservative Mitte als wählbar dem Leser vorzuführen.

Welches Zitat?

Nun, Söder sagt da u.a. als kleines Orakel für die Zukunft, sollte die Linke regieren, dann wären ganz sicher die Konsequenzen: „…die Idee eines Staates, der die Menschen zwingt, erzieht und der eine klare Absage an Freiheit ist.“ (O-Ton)

Natürlich ist Söder klug genug, es so in den Raum zu stellen, dass Emotionen frei gesetzt werden, die im Umfeld von Zukunftsängsten angesiedelt sind, die den politischen Gegner als nicht satisfaktionsfähig erscheinen lassen; denn wie soll man ernsthaft mit jemanden noch reden wollen, der der Freiheit eine Absage erklärt? Von Zwang und Erziehung durch den Staat ganz zu schweigen.

Dass das alle Parteien, die sich zur Wahl stellen, natürlich nicht tun (sonst wären sie ja gar nicht zugelassen, sie befänden sich ja dann gar nicht auf dem Boden der freiheitlich, demokratischen Ordnung), ist jedem Bürger natürlich klar, aber ein bisschen zündeln, um Emotionen zu schüren, die dem politischen Gegner ordentlich schaden werden, gehört wohl zum Wortgeklimper im Wahlkampf.

Dem Leser der SZ von heute (Nr. 199, Montag, 30. August 2021) ist es aber übel aufgestoßen, dass dieses Zündeln Söders nicht in aller Form als solches bloß gestellt und mit der roten Karte versehen, sondern einfach unterschlagen wird.

Wie das?

Dass zielgerichtete Instrumentalisierung von Emotionen zur Eskalation von Konflikten beitragen kann, erleben wir in Europa doch tagtäglich, wenn z. B. Querdenker sich wortreich einmischen oder AfDler verharmlosend darauf hinweisen, da sei doch gar kein Virus; warum denn dann das ganze Theater mit Grundrechte-Einschränkungen und Bevormundungen?

Wenn jemand jetzt Herrn Söder mit seinem Zitat in die Nähe von Demokratiefeinden stellen würde, dann gäbe es aber ganz schön Rabatz! Es kommt eben immer darauf an, wer unter der Gürtellinie zuschlägt und wie.

Vielleicht ist sich die SZ ja nicht zu schade, dieses unselige Zitat doch noch breit vorzustellen und es gehörig auseinander zu nehmen, damit die Gefühle der Angst beim Leser, bzw. Zuhörer wieder abgebaut werden können.

Denn beim Wählen bedarf es eines klaren und nicht eines vom Zündeln benebelten Kopfes.

29 Aug.

Europa – Meditation # 287

Europäer: Weltmeister im Selbstbetrug!

Adorno ( 1903 – 1969 ) – „Der kategorische Imperativ der Kulturindustrie lautet: du sollst dich fügen, ohne Angabe, worein.“

Und so fügen wir uns. Die Schreiber wie die Leser. Der Bildergarten darf gegossen, Unkraut gejätet und Setzlinge hinzugefügt werden.

In diesen Tagen drehen sich die Bilder um das ferne Afghanistan, das nahe Ahrtal, um Haiti und die oft besungene Westküste Nordamerikas: erbarmungslose Wasserfluten, furchterregende Feuerwände, vernichtende Explosionen und barbarische Beben.

Chaos vs. Ordnung – Wahrheit vs Einbildung – Unfassbar vs gefangen – das Beispiel Afghanistan: die meisten, die darüber etwas schreiben oder lesen, kennen das Land, die Menschen und seine Kulturgeschichte nur vom Hörensagen. Es wird aber vor diesem Hintergrund heftig gestritten um die Deutungshoheit – potemkinsche Luftschlösser eigener Gewissheiten, weiter nichts.

Die Beispiele Haiti, Ahrtal oder Nappa Valley lassen sich ähnlich verdeutlichen: Immer haben wir Europäer schon ein vorgefertigtes Bild in unserer Schublade (Langzeitgedächtnis), mit dem wir aktuelle „Daten“ blitzschnell abgleichen und dann selbstsicher neu bewerten und klar stellen. „Wie unterscheiden sich Al-Kaida, die Taliban und IS-Männer voneinander?“ Die Frage lässt schon erkennen, dass wir mindestens drei Schubladen haben, wo wir sie getrennt unterbringen können. Wie schön aber auch! Den Schrecken, den die jeweiligen Bilder hervorrufen, haben wir gelernt, klein zu reden oder zu überzeichnen. Immer wähnen wir uns als Betrachter und nicht als Teil der Natur, die dieses natürliche Chaos schon immer inszeniert. Als stünden wir über den Dingen -cogito ergo sum!

Horaz ( 65 – 8 vor unserer Zeitrechnung ) – „Dum loquimur, fugerit invida aetas, carpe diem, quam minimum credula postero“ (Noch während wir reden, ist die missgünstige Zeit schon entflohen, pflücke den Tag und glaube so wenig wie möglich an den nächsten!) – Odes, I,11

Horaz und Adorno – Bildungsballast? Nicht unbedingt. Denn beide erinnern uns Europäer daran, dass wir zwar beeindruckende Artisten im fiktiven Salto Mortale sind, aber dennoch nicht wahrhaben wollen, dass wir uns ganz schön was in die Tasche lügen. Einbildungen alles.

Die Kunst haben wir an die Kette gelegt, sie darf zwar unterhalten und begeistern, nicht aber zu ernst genommen werden. Sonst könnten wir sie vielleicht sogar als einzigen Ausweg aus unseren bequemen Denkautobahnen nutzen. Stattdessen beschäftigen wir uns intensiv mit dem Nach-Denken vergangener Kunst-Botschaften oder phantasieren uns in atemberaubende Zukunfts-Szenarien, verpassen dabei aber leichtfertig den gegenwärtigen Augenblick – andauernd. Horaz erinnert daran auf eindringliche Art und Weise.

Und dass die Kunst im Fahrwasser der Kulturindustrie zu einer Ware wie jede andere auch verkommt, mahnt Adorno zu Recht unmissverständlich an. So schütten wir uns mit Aktionismus zu – vor lauter Terminen vergessen wir fast das Regenerieren im Schlaf – und halten das dann für die Wirklichkeit. Dabei ist sie nicht mehr und nicht weniger als hysterische Einbildung, mutwillige Bebilderung dessen, was wir als Realität definieren. Wir unterwerfen uns also leichtfertig Vorstellungen, die uns daran hindern, uns im jeweiligen Augenblick als die Lebewesen zu erleben, die wir eigentlich sind. Tiere, angepasste Lemminge, weiter nichts. Das unterschwellige Unwohlsein dabei betäuben wir hektisch mit Geld, Tempo, Mengen und anderen Drogen und einer leidenschaftlichen und kompromisslosen Selbstverliebtheit.