29 Mai

Europa – Meditation # 395

Der Genuss des großen Katastrophenfilms – weltweit.

Hingefläzt auf synthetische Stoffkissen – in einem wohligen Dämmerzustand schwer verdauend an Zucker und Fett – lässt sich der Zeitgenosse bespaßen und bewerben, mit kleinen Einlagen zur Wetter- und Weltlage. Das Gehirn im Wechselbad der Bilder und Geräusche, die Düfte liefert der Konsument selbst dazu.

Müdigkeit dominiert das Geschehen, so dass der Denkapparat in den park-modus kippt. Als reite er auf einem mächtigen Tsunami um die Welt, alles überspülend, was sich dem in den Weg stellt. So kommt ein Gefühl von Allmacht und Unsterblichkeit in die Glieder, das eigentliche Katastrophen-Szenario scheint in einem Pixel-Taumel – wie von einem vollautomatischen Quirl voran getrieben – angenehm vor sich hin zu dämmern. Warum sollte man da denn auch das Fürchten lernen?

Das, was man früher einmal „die Wirklichkeit“ nannte, ist ja längst entlarvt als reiner intellektueller Mutwille, der den betuchten Kindern an speziellen Einrichtungen (Schulen, Universitäten) schon so lange als bare Münze eingetrichtert worden ist. Endlich ist man solche Konditionierung los und fühlt sich befreit in einem eigenen Denk-Reich, das ununterbrochen mit frischem Bildermaterial versorgt wird. Endlich frei, endlich Herr im eigenen Haus, endlich keine Bevormundung mehr. Das Zeitalter der völligen Unabhängigkeit bricht an – nur noch den Weg zum Kühlschrank muss man notgedrungen auf sich nehmen, den Nachschub liefert ja ein schneller Radler vom Lebensmittelmonopolisten.

Wo ist denn da noch der Unterschied zwischen einer brutalen netflix-Serie und den unscharfen Bildern von action auf der Krim? Wo denn? Genau. Nirgends. Das eine wie das andere unterhält prima, dauert so lange, wie der Hingefläzte will. Denn manchmal fällt er dummerweise noch seinem eigenen System zum Opfer und erwacht empört nach kurzem Schlaf, weil der Pixel-Tanz inzwischen weiter ging. Was hat er da verpasst?

Eine Debatte über schwindsüchtige Demokratie-Modelle, ein Krimi um korrupte Sportfunktionäre oder was ist denn gemeint mit Kommunikations-Revolution? Die sind doch alle so was von verlogen und bestochen – da vertraue ich doch lieber meinen ChatGTP basierten Texten und Bildern – denn Maschinen kann man ja nicht bestechen, Maschinen machen einfach nur das, was wir cleveren Menschen denen eingegeben haben. Filme von Katastrophen – zu Wasser, zu Lande oder in der Luft – animiert oder als Dokus kaschiert sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren…

22 Mai

Europa – Meditation # 394

Hesperien: Erfinde die alte Welt neu!

„Wir sind‘s, wir! Frucht aus Hesperien ist‘s…Glaube, wer es geprüft!“

(Friedrich Hölderlin/Brot und Wein/ um 1803)

Viel ist die Rede in diesen Tagen in Europa von Restitution, von altem Unrecht, von schlimmen Folgen, von Ausbeutung und europäischem Rassismus. Aber die rein moralische Haltung: „Es ist Zeit für Wiedergutmachung“, hat etwas unangenehm Pharisäisches an sich, ist eine leichte Kopf-Übung angesichts des desaströsen Ungemachs, das die Europäer für Jahrhunderte über den Globus brachten – gewaltsam und ausbeuterisch, über Leichen gehend – in Nord- und Südamerika genauso wie in Afrika, Asien und Australien. Das Mantra, das als siegreicher Wimpel mit reiste, war schlicht und christlich verbrämt, auch die technische Weltaneignung geht auf europäischen Erfindergeist zurück, so dass in summa dem kleinen Europa das Ferne zwar fern blieb, die Untaten weg redigiert, die materiellen Vorteile aber über Jahrhunderte hin wie Gott gewollt konsumiert wurden. Gnadenlos, gierig, unersättlich und unbarmherzig.

Und nach gründlicher Prüfung kann als Ergebnis eigentlich nur eine völlige Abkehr vom bisherigen „europäischen Hagelschlag“ die Devise lauten:

Völliger Verzicht auf Gewalt – nach innen und außen (also auch Verabschiedung vom patriarchalischen Modell, das ebenfalls so viel Unheil erzeugt hat). Und hin zu mehr direkter Demokratie – regional.

Völliger Abkehr von einer Konsumhaltung, die immer mehr verbrauchen soll, als sie im Grunde wirklich braucht. (Konditionierung im Hamsterrad)

Verzicht auf blechernen Individualverkehr innerhalb der großen Städte -statt dessen kluge öffentliche Shuttle-System, die lautlos und energiearm jeden zu jedem Ort bringen, in vernünftigen Zeitspannen.

Verzicht auf jedwede hegemoniale Attitüde nach innen wie nach außen und

völliger Verzicht auf jedwede Bevormundung im Inneren Europas genauso wie in globaler Perspektive.

Andere Völker machen es doch längst vor: z.B.; Canadas Schulsystem oder das soziale Sicherungssystem in Skandinavien. Nur Mittel- und Westeuropa meinen anscheinend, am alten System – in Sachen Bildung genauso wie in Sachen Altersvorsorge (von der ökologischen Kehrtwende, die längst ansteht einmal ganz abgesehen!) – festhalten zu müssen, krampfhaft.

So entsteht dann eine „Neue Welt“ aus der alten in Europa, das dann unendlich attraktiver sein wird als das alte jemals war. Heilend. Rettend.

09 Mai

Europa – Meditation # 393

Es gibt nie genug Theater!

Träumen kann man in den social medias, die Wirklichkeit aber halten wir stattdessen für eine widerspenstige Baustelle und Dauerkrise: Sie will sich einfach nicht unseren schlichten Mustern beugen.

Am deutlichsten wird das in dem, was wir Demokratie oder Theater nennen.

So ein Theater! Zum Beispiel Bayern: Welche Lobby sollte man im Wahlkampf hofieren? Atomkraft. Und schon feiern die Medien ein neues Fest: Wer ist der stärkste im ganzen Land? Frau Holle! HÄ? Wie bitte? Oh, da ist wohl etwas durcheinander geraten.

Wirklichkeit und Fiktion. Besonders in demokratisch verfassten Staaten geht da dem Zuschauer, der ja auch Wähler ist, einiges durcheinander:

Wer hat da wen bestochen?

Audi-Chef Stadler beteuert zwei Jahre lang, nichts von den Manipulationen gewusst zu haben. Jetzt bietet die Staatsanwaltschaft einen „deal“ an: Geständnis bewirkt Haftverschonung? Und schon kann er sich erinnern! Was für ein lustiges Theaterstück!

Klimakrise. Wärmepumpen sind auf einmal der Hit. Doch wer soll das bezahlen? Oh, die chinesischen Produkte sind da viel günstiger! Machen wir es so wie mit der Solar-Industrie. Fallen lassen, billiger in China kaufen. Was für ein Theater aber auch!

Russlands Angriff auf die Ukraine. Nie wieder Krieg, hat es seit 1945 gerufen! Jetzt aber muss endlich nicht nur die BW, nein, auch die deutsche Rüstungsindustrie mal so richtig gepeppelt werden. Was ist das denn für eine Posse? Nein, das ist todernst.

Und nun steht auch der gesamte Kulturbetrieb – Radio, Fernsehen, Theater – auf dem Prüfstand. In diesem Saustall muss endlich mal klare Kante gezeigt werden! (So wie man vor Jahrzehnten Bahn, Kommunen, Krankenhäuser und Energie privatisierte, um sie effizienter zu gestalten und um jetzt festzustellen, dass außer wegrationalisieren für den Bürger nur der Frust geblieben ist!) Vorsicht, Vorsicht!

Apropos Theater: nötiger denn je wäre es, schon die Kinder in der Schule Theater spielen zu lassen, damit sie am eigenen Leibe zu spüren bekommen, was es heißt, etwas vorzuspielen, etwas zu gestalten, Rollen zu tauschen und Wirklichkeitsebenen auszuprobieren, damit der Verstand geschärft aus solchen Spielerfahrungen hervorgeht und der volljährige Wähler selbstbewusst und kritisch das öffentliche Theaterstück zu durchschauen versteht und sich nichts vormachen lässt.

Summa: der öffentliche Raum braucht die kulturellen Angebote eines pfiffigen Radios, einer kritischen Berichterstattung im TV und einer lustvollen Theaterszene, um den müden Konsumenten wach zu schütteln und weiter als selbstständigen Zeitgenossen ernst zu nehmen und ihn das Vertrauen in die vierte Gewalt nicht verlieren zu lassen: Damit die Demokratie nicht zum Selbstbedienungsladen potenter Privatinteressenten verkommt, in dem der Wähler nur noch abnickt, was in Hochglanz verpackt feil geboten wird. Und die gewählten Vertreter nicht meinen können, den so wie so inkompetenten Wähler ungestraft in Dauerschleife ablenken und einschläfern zu dürfen, damit hinter den Kulissen unkontrolliert gemauschelt und gekungelt werden kann!