27 Jan.

Europa – Meditation # 374

Das Ansehen Mitteleuropas in der Welt.

Ein Überschrift zum Davonlaufen. Gleich drei Nomen hintereinander, die es so richtig in sich haben:

1. Das A n s e h e n. Was ist das denn und woher kommen denn die sicheren Wertungen? Auf welche Quellen stützt sich da Herr Merz? Die Dauer für eine solide Recherche ist in unserer schnelllebigen Zeit „natürlich“ viel zu lang, also dann doch lieber einfach mal ein paar Vermutungen, Mutmaßungen vorneweg – den Rest liefern wir dann nach.

2. M i t t e l e u r o p a. Was ist das denn und wer liefert hier die angemessenen Einschätzungen? Ein schlafender Riese, ein Papier-Popanz, ein eitler Besserwisser, ein lächerlicher Gernegroß? Wie schnell haben wir da die ‚passende‘ Charakterisierung zur Hand – home made und mit heißer Nadel gestrickt.

3. Die W e l t. Die schon immer chaotische Gemengelage weltweiter Meinungstrends ist ein solch schwer zu fassende Chamäleon, dass es – vorsichtig formuliert – schon recht verwegen scheint, darüber eine zutreffende Aussage machen zu können. Hat die ehemalige Volkspartei der Mitte da ihre besten Leute ausgeschickt, die Tag und Nacht medial hellwach weltweit unterwegs sind, um Meinungsbilder einzufangen, zu filtern und als Resümee dem Parteivorsitzenden aufs Handy zu laden? Immer unter der Fragestellung: Was denkt die Welt von uns? Hat unser Kanzler das mühsam aufgebaute positive Image leichtfertig verscherbelt? Wie kann man Zaudern überhaupt nur gut finden? In diesen schlimmen Zeiten? Weltweit?

Doch könnte da ein Althistoriker in Kalifornien peinlicherweise auf den großen Cunctator/Zauderer zu sprechen kommen, der mit dieser Haltung erfolgreich römische Geschichte geschrieben hat. Doch lassen wir die Bildungshengste ruhig mal im Stall. Es reicht festzuhalten: Weder das Ansehen, noch Mitteleuropa, noch die Welt lassen sich – da mag der Redner im Bundestag noch so sorgenvoll schauen und pathetisch tönen – unter dem Stichwort „Ansehen verspielt“ in ein brauchbares Argument zusammenpressen. Es ist einfach nur Kochlöffelgeklapper, mehr nicht. Immer mit dem Seitenblick: Steigen die Umfragewerte? Wenn ja, dann weiter drauf!

In der Sache aber – Krieg und Waffen sollten immer zaudernd in den Blick genommen werden – wächst angesichts der Gewalt und des Leids in der Ukraine hoffentlich das Ansehen derer, die Frieden und das Ende jeglicher

Gewalt auf ihr Panier schreiben. Dazu bedarf es auch keinerlei Verweise auf die restliche Welt. Und das Ansehen steigt dann sogar ohne jede mediale Akrobatik.

Und die fehlenden Belege? Dafür bleibt einfach keine Zeit. Das nächste Stichwort will bereits gefüttert werden. Da bleibt auch keine Zeit, aus den falschen Prognosen und vorschnellen Verurteilungen der Akteure während der Pandemie zu lernen. Jede Woche wusste es irgendein Wissenschaftler oder Politiker wieder besser und jede weitere Woche waren die Positionen längstens überholt. Da aber die Medien auf das nächste Rededuell mit neuen Hypothesen warteten, blieb keine Zeit aus den Fehlern und falschen Einschätzungen der Vorwoche zu lernen. Von Bedachtsamkeit keine Spur.

Jetzt ist das Geschwätz vom Vortage längst im Papierkorb, entsorgt, die Lehren aus den fehlerhaften Schnellschüssen werden nicht gezogen und wieder jagen die Medien die Akteure vor sich her. Als wären es Hellseher, die schon das Kriegsende zu skizzieren wüssten. Und von den Profiteuren gestern, heute und morgen, schweigt des Sängers Höflichkeit.

Gestern Pandemie, heute Krieg in der Ukraine, morgen – bitte nicht schon wieder – Klimakatastrophe.

24 Jan.

Europa – Meditation # 373

Wenn Männer über Männlichkeit in Europa reden.

Am Montag konnte man im Deutschlandfunk „Lebenszeit“ eine Gesprächsrunde mitverfolgen, die sich mit dem Thema „Vom Kriegsverbrechen bis zum Sexualdelikt – Warum sind Männer meist die Täter?“ beschäftigte. Drei gestandene Männer reden sich um Kopf und Kragen, weil sie vor lauter Bäumen anscheinend nicht mehr den Wald erkennen. Wie sie es auch drehen und wenden, sie kommen der fatalen Janusköpfigkeit der Männerrolle – Beschützer sein zu wollen und gleichzeitig aber immer auch Gewalt auszuüben – nicht auf die Schliche.

Obwohl überall in Europa endlich die Offenlegung des Missbrauchs und der häuslichen Gewalt die Medien in Atem hält, bleiben die Antworten doch alle im Vorhof der wesentliche Frage stecken: „Wo sind denn die Ursachen und die Anfänge für dieses Selbstbild des Mannes zu suchen, wenn es keine Naturbefindlichkeit ist? Denn natürlich ist den drei bemühten Männern in der Radio-Sendung klar, dass eine grundlegende Änderung der nach wie vor „toxischen Männlichkeit“ nur wirklich stattfinden kann, wenn die kulturelle Evolution der männlichen und weiblichen Geschlechterrollen in ihrer „subkutanen Langzeit-Wirkung“ durchschaut ist und als großer Irrtum begriffen werden kann, dem eben nicht nur die Frauen und Kinder, sondern auch die Männer selbst zum Opfer fallen.

Denn dass inzwischen darüber in aller Offenheit debattiert wird – wie eben auch in dieser Männerrunde – (die einzige Frau kommt leider nur kurz und auch zu marginal zu Wort!) – wird zwar gerne als Fortschritt angesehen, doch müssen alle eingestehen, dass sich deswegen weder häusliche Gewalt noch der Kindesmissbrauch verflüchtigt haben. Im Gegenteil. Der Umgang mit dem Thema beispielsweise unter den Klerikern des Vatikans ist nach wie vor nicht nur peinlich, sondern auch höchst ärgerlich – und in allen europäischen Ländern – von den beiden Amerikas und Asien soll hier gar nicht erst die Rede sein – tun die Männer in den verantwortlichen Institutionen alles, um von sich und den notwendigen Konsequenzen abzulenken.

Es bleibt nur zu hoffen, dass der Sender diesen Männerbeitrag nur als Einstieg sieht in eine Debatte, an der Vertreter aus ganz Europa teilnehmen und an der vor allem Frauen gleichermaßen zu Wort kommen. Die vielen Hörerbeiträge, die aus Zeitgründen nicht mehr eingespielt werden konnten, zeigen doch allzu deutlich, wie wichtig und wie wenig befriedigend dieses Thema in seiner Bearbeitung immer noch ist.

10 Jan.

Europa – Meditation # 372

Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Brasilia und Washington machen es vor; wo und wer wird demnächst weiter machen? Das Gewaltmonopol des Staates wird zerfasert, weil die Inhaber und Verwalter desselben augenzwinkernd die rechten Chaoten gewähren lassen. Was geht da vor? Welche Dämme scheinen da aufzuweichen? Der brave Bürger ruft nach der ganzen Strenge der Justiz: „Sperrt sie weg!“

Und keiner scheint sich die Zeit nehmen zu wollen, einmal etwas länger und gründlicher darüber nachzudenken, wie aus diesen ehemaligen süßen Babys solche gewaltbereite Demokratieverächter werden konnten. Was ist da falsch gelaufen im Laufe dieser Biografien? Und was ist mit der Loyalität der Staatsdiener? Wieso kommt es auch da zu bedenklichen Erosionserscheinungen? Wie können die in Brüssel, die Korruptionsfälle verfolgen sollen, selbst zu korrupten Beamtinnen werden und sich Kinderwagenladungen mit frisch gedruckten Scheinen ins Apartment schieben lassen?

Es gibt diesen uralten Spruch – als Schüler musste ich ihn einst aus dem Alt-Griechischen übersetzen – Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Es scheint, als würden die Schleusen gerade allenthalben geöffnet, als gehöre es zum Profil eines cleveren Zeitgenossen, nach außen weiter den biederen Bürger zu mimen und dahinter zu scheffeln, was das Zeug hält. Und abends an der Bar anzustoßen auf die eigene Unverfrorenheit und die peinliche Rechtschaffenheit der unfähigen Kontrolleure.

Bei gleichzeitiger Beschleunigung aller Wahrnehmungsprozesse – die Kinder werden fleißig mit digitaler Wucht eingeübt im Abwesend Sein – bleibt keine Zeit mehr, den babylonischen Geldturm in seinem rasanten Wachsen zu stoppen. Cum-ex, wirecard, Enron, Schneider sind nur die kleinen Spitzen des riesigen Eisberges, der da dröhnend ins Rutschen kommt und alles unter sich begräbt, was redlich noch besteht und arbeitet. Denn die deregulierte, größenwahnsinnige Börsenwelt saugt das Geld wie in einem überdimensionierten Staubsauger aus den sozialen Sicherungssystemen, lässt sie dann global auf jedwede geldgierige Meute los – Absprachen auf fallende Kursen haben da als besonders heikles Geschäft besondere Boni zu erwarten – , und die Stadtverordneten helfen fleißig mit, öffentliche Vermögenswerte zu verscherbeln – Schwimmbäder sind eben wirklich einfach zu kosten- und personalintensiv. Wahlen werden trotzdem gewonnen, weil sie inzwischen wie Werbespots inszeniert werden und längst als täglicher Konsum internalisiert und in unerbittliche Konditionierung einmassiert sind. Natürlich haben Jugendliche (s. das Beispiel Spanien oder Brasilien oder Duisburg) längst keine Berufsaussichten mehr. Randale und Alkohol plus schöne andere Drogen sind dann der Humus, auf dem die Bereitschaft mal ein Kapitol zu stürmen blüht und gedeiht.

Fazit: Die Zeit der verbalen Empörung des braven Bürgers ist vorbei. Geldgier und Schlechtigkeit paaren sich weiter und weiter. Dagegen können nur völlig neue Sinnangebote für ein gelingendes Leben gesetzt werden, die in einer völlig neuen Bildungsinitiative ihren Anfang nehmen müssen. Das ist eine epochale Aufgabe, atemberaubend, völliges Neuland.

Mut ist also gefragt. Mut, den Götzen Geld nicht länger mit anzubeten. Mut, das Leben an sich für so wertvoll anzusehen, dass es in Geld gar nicht mehr darstellbar ist, sondern nur noch in sich selbst. Wie erbärmliche Kartenhäuser fallen dann die börsennotierten „Werte“ in sich zusammen, weil es eben keine Werte sind, sondern lediglich tollkühne Absprachen auf eine Zukunft und auf Zeit mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. Was hat das denn noch mit Mensch Sein zu tun? Gar nichts. Es ist eine leer laufende Maschinerie toter Materie, die von Kleingeistern wie ein Gott verehrt und angebetet wird. Welcher Mensch, der gerne über sich und die Welt und den Sinn des Lebens nachdenkt, wird denn auf solch eine Nullnummer noch herein fallen?

Und die in Brasilia oder Washington Türen eintreten und Fenster zerschlagen, sind doch nur die Verlierer dieser Gewinner und lassen sich obendrein noch einmal vor ihren Karren spannen – als kopflose Krakeeler und traurige Abgehängte von einem System, das immer mehr dieser Art entfremdeter Wesen produziert.

Also: Ihre erbärmliche Gewalttätigkeit ist nichts weiter als die Kehrseite der Geld-Monster-Maschinerie weniger Anzugsträger. Kümmern wir uns also besser um diese – denen muss nämlich das unlautere Handwerk gelegt werden, und nicht den Opfern ihrer Geldgier.