10 Apr

Europa – Meditation # 331

Rückwärtsgewandte Kopfgeburten frei Haus.

Die Machos wittern Morgenluft. So viele Jahre schon mussten sie Kreide fressen, einen Kotau nach dem anderen vor der lächelnden Angela abliefern, moderate Gesten und Texte produzieren noch und noch. Dann aber kam das Rumpelstilzchen Putler aus dem Off und zauberte ihnen einen rosigen Morgen auf den Monitor:

Gewalt und Gegengewalt bestimmen nun wieder die Narrative der Medien, Aufrüstung ist wieder gesellschaftsfähig, Aktien in Rüstungskonzerne zu kaufen gilt endlich wieder als richtig cool und eine Frau als Verteidigungsminister können sich die Männer nun wirklich nicht mehr leisten – bei aller Liebe!

Und was die aber auch für Fehler machen: Geburtstagsfeier auf der Insel. Das sollte man wirklich besser verheimlichen, Frauen sind da einfach zu naiv; und bei einer Naturkatastrophe, da muss man einfach Gummistiefel anziehen, Parties absagen und forsch vor Ort breitbeinig in die Kamera martialischen Text absondern – und schon steigen die Umfragewerte.

Und wenn wir jetzt schon mal reinen Tisch machen sollen, dann können wir gleich dabei die letzten 16 Jahre neu bewerten:

Uns Männern war doch von Anfang an klar, dass eine versöhnlerische Ostpolitik nur nach hinten losgehen konnte. Damals hat man uns ausgelacht, realitätsfern gescholten – jetzt wird auch der letzten Frau klar, dass machtvolle Politik, die die eigenen Sicherheit nicht aus den Augen verliert, eben immer schon von Männer erfolgreich gestaltet wurde – Machiavelli lässt grüßen – wir können nur von Glück sagen, dass Trump uns ordentlich die Leviten gelesen hat und es jetzt kinderleicht geworden ist, den Wehretat ordentlich nach oben zu schrauben.

Das Außenministerium sei ihnen gerne gegönnt – sollen sie doch da chambrieren in farbigen Kleidern, der Kanzler bestimmt aber die Richtlinien der Politik. Und sobald der momentan flüsternde Säuselscholz sich selbst abgeschafft hat – denn auch in der Bekämpfung der Pandemie bedarf es einer resoluten Hand – werden wieder echte Männer das Sagen haben.

Selbst die stillgelegten Kernkraftwerke werden diese wild entschlossenen Männer, die so viele Jahren schon tatenlos zuschauen mussten, wieder anfahren; wäre doch gelacht!

So kann man endlich auch die Ära Merkel angemessen neu bewerten: Es sind verlorene Jahre, Raute hin, Raute her, die Stellung Deutschlands in Europa und der Welt kann endlich wieder aufgewertet werden, wir sind wieder wer oder besser: wir werden wieder jemand sein, wenn genügend Männer in Schlüsselposition nach dem Rechten sehen. Deutsche Rüstungsprodukte können dann endlich auch wieder in Krisengebiete geliefert werden, die Kurse werden durch die Decke gehen, Gold ist nichts dagegen!

Packen wir es an! Wir haben lange genug still halten müssen.

06 Apr

Europa – Meditation # 330

Krieg und Frieden – das alte Lied des Pharisäerchors in Dauerschleife.

Die Wogen der Empörung gehen hoch: Was für entsetzliche Bilder liefern unsere engagierten Friedensmedien doch – nolens volens – dieser Tage in unsere immer noch überheizten Wohnanlagen! Wir können es nicht fassen, dass Menschen so böse sein können. Und das auch noch gleich am Rande von Europa.

Erst gestern konnte man in einer Tageszeitung folgenden Untertitel zu einem Artikel zum Thema „Sklaverei und Geldwäsche“ lesen:

„150 Milliarden US-Dollar verdienen Kriminelle jedes Jahr mit Menschenhandel.“

Seit der Pandemie, aber nun erst recht im Kriegsmodus, sind die Bürger mehr als überversorgt mit Nachrichten über Geldströme im Milliardenbereich, die hierhin und dorthin verschoben werden, um Löcher zu füllen, Flüchtlingen zu helfen oder Energiedefizite auszugleichen. Insofern reihen sich die eben zitierten 150 Milliarden locker ein in solche Geldsummenszenarien.

Dahinter aber verbergen sich immer einzelne Menschen – je nach dem als Gewinner oder als Verlierer.

Da ist der Krieg im Osten Europas ein probates Solidaritätsszenario, das todesmutige Soldaten zeigt, wie sie die verängstigte Zivilbevölkerung beim Fliehen unterstützen, um sie aus den Schusslinien zu bekommen, oder ein Empörungsszenario, das gewalttätige Männer in Tarnuniformen zeigt, wie sie Flüchtende beim Fliehen wie verängstigte Hasen im Felde abknallen. Daheim – in Westeuropa – weiß man natürlich, wer zu unterstützen ist.

Nun zum Frieden im Westen.

Dass allerdings währenddessen in eben diesem Westeuropa (von der restlichen Welt wollen wir aus Platzgründen an dieser Stelle in derselben „Sache“ schweigen) ein lukrativer und unmenschlicher Menschenhandel floriert, den eiskalte Männer in feinem Zwirn von anderen Männern in Szene setzen lassen und so viele junge Frauen in Sklaverei und Prostitution zwingt, darüber haben die Pharisäer keinen Mut zu sprechen oder gar machtvoll dagegen die Hand zu erheben. Wie das?

Es gehört in die lange und unselige Geschichte des Patriarchats, das in menschenverachtender Arroganz mit Gewalt eine Welt als natürlich zu verkaufen versucht, die nicht nur die Frauen, sondern auch all die Männer, die als Verlierer des Systems gebrandmarkt werden („schönes“ Beispiel nach wie vor die über 6500 Arbeiter in Katar, denen die Lebenskraft zur Empörung ausgegangen ist und über deren Gräber zu Weihnachtszeit die Medien mit einem Sport-Furor fegen werden, der seinesgleichen suchen muss.)

Vor welchem Tribunal werden denn diese Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden?

31 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 134

Talos übt Felsenbrocken-Weit-Wurf.

„Kommt, stellt euch so auf, wie wir es geübt haben!“ ruft Chandaraissa den jungen Priesterinnen zu. Die sind noch ganz außer Atem. Den Weg vom Tempel hier hinauf auf die Bergwiese sind sie nur gelaufen. Vor Freude. Die Hohepriesterin ist immer gut für eine Überraschung. Europa und Chandaraissa, ihre Freundin, nehmen Platz am Rande der grünen Fläche. Ein Hauch von zarten Farben scheint darüber zu schweben. Der Frühling bei seiner schönen Arbeit.

Und jetzt, als alle – wie schon so oft geübt – auf Lücke neben- und hintereinander stehen, scheint es ihnen so, als zitterten ihre Füße.

Gleichzeitig schieben die drei göttlichen Brüder den schwer betrunkenen bronzenen Riesen Talos vor die Höhle ins grelle Sonnenlicht.

„Na, dann mal los, zeig uns doch mal, was du so drauf hast!“ feuert ihn Poseidon grinsend an. Talos hört es zwar, es macht für ihn aber keinen Sinn, denn auf dem Meer vor ihm sieht er kein Piratenschiff, kein feindliches Kriegsschiff, das er sofort mit einem riesigen Felsbrocken vernichten würde. Das hat er schon oft genug bewiesen. Zeus ist sein Auftraggeber.

„Talos, was ist los mit dir?“ wendet sich nun der Olympier an ihn. „Stimmen vielleicht die Lobeshymnen überhaupt gar nicht, die man hier in Kreta auf dich singt, hä?“ Die beiden göttlichen Brüder Hephaistos und Poseidon kichern dazu um die Wette.

Talos schwankt bedenklich hin und her, die Konturen der Insel verschwimmen vor seinen Augen. Jetzt wird er aber richtig wütend. Zweifeln die vielleicht an seinem Können? Denen werde ich es jetzt aber mal zeigen, grummelt er sabbernd vor sich hin und greift sich einen besonders dicken Brocken. Und wirft ihn in hohem Bogen in die Luft Richtung Meer, meint er. Aber durch sein Schwanken nimmt der riesige Fels eine völlig andere Richtung. Es flimmert ihm vor seinen Augen. Da scheint etwas gewaltig zu Bruch zu gehen.

„Gut, Talos, gut, komm lass noch ein paar mehr runter donnern!“ grölen nun die drei Brüder vergnügt. Polyphem, der völlig verwirrt am Ausgang der Höhle stehen geblieben war, kann es überhaupt nicht fassen: Der wirft ja in die völlig falsche Richtung, denkt er beklommen und sieht, wie unten der Tempel der großen Göttin unter den felsigen Geschosse zusammenbricht. Und wieso lacht da sein Vater, Poseidon, auch noch dazu? Das ist doch eine zum Himmel schreiende Katastrophe. Jetzt spürt er auch ein Beben unter seinen Füßen. Dann sieht er, wie Talos, der gerade den fünften – oder war es sogar schon den sechsten – Fels losschickt, torkelnd zu Boden geht, sich übergibt,rülpst und in tiefen Schlaf fällt. Zeus, Poseidon und Hephaistos applaudieren Talos überschwenglich.

Europa spürt ein Beben und sieht es als erste: Der Tempel der großen Göttin bricht in einer großen Staubwolke gerade zusammen. Ein sehr großes Beben, denkt sie erschrocken.

Die jungen Priesterinnen schreien entsetzt auf, ihre Augen weit aufgerissen, den Zusammenbruch des Tempels überdeutlich vor Augen, wird ihnen sofort klar, dass sie alle tot wären, wären sie dort unten geblieben und nicht hier hoch zur Tanzprobe gelaufen.

Die Hohepriesterin, Chandaraissa, schüttelt nur stumm ihren Kopf. Keiner sagt ein Wort.

„Wir haben großes Glück gehabt“, beginnt sie dann zu sprechen. „Die große Göttin ist uns wohl besonders gewogen. Jetzt müssen wir erst recht das große Tanzfest aufführen – als Dank für unsere Rettung.“

Dem Zeus allerdings, der glaubte, einen besonders pfiffigen Plan ausgeheckt zu haben, um diese phönizische Prinzessin Europa doch noch zu bestrafen, ist gar nicht mehr zum Lachen zumute: Talos, sein Werkzeug für seinen schlimmen Plan, hat zwar den Tempel der großen Göttin prachtvoll zerstört (was ihn auch so ganz nebenbei noch richtig diebisch freut), aber die Frauen müssen gewarnt worden sein. Wie sonst soll er sich erklären, dass sie gerade in diesem Augenblick gar nicht im Tempel sind? Irgendjemand muss es ihnen heimlich zugespielt haben. Aber wer? Hat etwas seine Tochter Athene wieder ihre Hand im Spiel oder vielleicht dieser Stümper Polyphem, dieser missratene Sohn seines Bruders Poseidon? Warum versteckt der sich denn immer noch hinten in der Höhle? Der hat sicher ein schlechtes Gewissen. Bei nächster Gelegenheit soll der mir für diesen Fehlschlag aber ordentlich büßen. Ist mir doch egal, ob der der Sohn meines Bruders ist. Ein Unfall, ja, ein Unfall wird es sein.