YRRLANTH – Historischer Roman II – Hörprobe – Blatt 153
Ein Trupp der Burgunder bringt eine schlimme Wende
Ein Trupp der Burgunder bringt eine schlimme Wende
Der MUSTERKNABE mit dem Rücken zur Wand.
Fast ein modernes Märchen – fast.
Was war er doch für ein Häufchen Elend – damals im Frühling 1945! Alle kühnen Blütenträume zu Staub verpulvert. Alles in Trümmern, alles zerronnen. Aber unser Stehaufmännchen krempelte die Ärmel hoch, packte an – vor allem die Frauen, denn Männer waren damals Mangelware: entweder tot, gefangen oder auf der Flucht vor den Siegern – und klopfte Steine sauber. Gleichzeitig wollte er zerknirscht dem Sieger zeigen: Wir können auch anders. Wir können fleißig sein, bescheiden, gehorsam sowieso. Nun eben den Siegern – hüben wie drüben.
Es galt, neues Vertrauen aufzubauen. Es galt, den als Lügen entlarvten Volksliedern abzuschwören. Es galt, sich ganz hinten anzustellen, stumm und fleißig zu arbeiten und im Wiederaufbau neue Stärke zu beweisen.
So vergingen die Jahre.
Drei große Brüder mussten in ihrem wohl verständlichen Misstrauen positiv überrascht werden. Einmal der ganz große Bruder von jenseits des Atlantiks, dann der schlimm gebeutelte Bruder im Osten und der überrannte Bruder in Europa. Wie die drei Äffchen hielten sie es mit ihrer mörderischen Vergangenheit: stumm, taub und blind einfach nach vorne schauen und die Hände, die ihnen zögerlich und natürlich sehr eigennützig dann doch gereicht wurden, verschämt ergreifen und ordentlich festhalten.
So vergingen die Jahre.
Unser verstörter Knabe aus dem Jahre 1945 war inzwischen zu einem properen Musterknabe herangewachsen. Politik überließ er gerne seinen großen Brüdern in West und Ost, er selbst hielt es stattdessen mit der Wirtschaft und den Zahlen und dem Geld. Non olet.
In seinem nicht zu bremsenden Übereifer kopierte er gnadenlos „the american way of life“, profilierte sich als Über-Europäer neuer Prägung und setzte voll auf Entspannung und Annäherung durch geduldigen Handel und Wandel auch nach Osten. Und als ganz neuer großer Bruder kam im fernen Osten die gerade ganz große aufgehende Sonne hinzu.
Und so vergingen die Jahre.
Bis eines Tages aus heiterem Himmel – scheinbar – der erfolgreiche Musterknabe vor einem weltweiten Scherbenhaufen stand: In Übersee zog der große Bruder so was vom Leder, als wären die vergangenen Anstrengungen gar nichts gewesen, als wäre der Musterknabe ein fauler Bursche. Und im Osten entpuppte sich der Partner als brauner Bär, der nur geduldig gewartet hatte, bis seine Stunde endlich schlug. Und der ferne große Bruder im noch entfernteren Osten diktierte eiskalt die geschäftlichen Bedingungen nach Gutsherren Art.
Die weltweiten Abhängigkeiten, in die sich unser Musterknabe hinein gewirtschaftet hatte, die man gerne als fair und günstig nicht müde wurde zu loben und zu beschwören, sind über Nacht zu Sachzwängen geworden, aus denen man keinen Ausweg glaubt ausmachen zu können.
Weit gefehlt, Musterknabe!
Erinnere dich nur an die vier Jahre nach Kriegsende!
Da gab es weder Öl, noch Kohle, noch Gas. Nur ein bisschen Holz vielleicht. Und nicht mal ein intaktes Dach über dem Kopf. Aber man lebte noch, wenn auch ziemlich ramponiert. Und erlebte, mit wie wenig man über die Runden kommen konnte, wie wenig ausreichte zu überleben, wie wenig genügte, um Karneval zu feiern, Geburtstage, Namenstage, Jahrestage.
Doch davon ist der Musterknabe heute Äonen entfernt. Und dennoch plappern die Medien von Krise, von Entbehrung, von unabsehbaren Folgen. Die Verwöhnung hat dem Musterknaben den Kopf völlig vernebelt. Denn solidarisch lässt sich das, was in dieser Wohlstandsgesellschaft auf die Menschen zukommt – vor allem vor dem Hintergrund der Bilder aus der Ukraine – wirklich wuppen: Mit dem Rücken an der Wand steht der Musterknabe ganz und gar nicht da, er steht angesichts des Rückblicks in die Geschichte beileibe mit beiden Füßen auf dem Boden. Es gibt wirklich Wichtigeres als Öl, Gas und Kohle – der Musterknabe muss sich nur an seine Talente und seinen unverwüstlichen Überlebenswillen erinnern lassen.
Angesichts der Klimakatastrophe, die gleichzeitig gerade so richtig Fahrt aufnimmt, kann er sich endlich auf das Wesentlich im Leben konzentrieren: Auf das Leben, seine Natur.
Wie sich die Bilder gleichen!
Japan, Südkorea, USA – zwei Pseudo-Goliaths und ein agiler David im fernen Osten führen seit mehr als hundert Jahren einen Krieg der Bilder und der Rechtfertigungshymnen.
Deutschland, Polen, USA – zwei Pseudo-Goliaths und ein agiler David mitten in Europa führen seit mehr als hundert Jahren einen Krieg der Bilder und der Rechtfertigungshymnen.
Und immer sind es Männer – mit entschlossenen Mienen und kaltem Herzen – die sich für mehr wert halten als die anderen. Daraus erwächst dann stets ein „heroischer Krieg gegen den infamen Feind“ und unsägliches Leid für die Frauen, die solchen Männern das Leben schenkten.
Das „Spiel“, das diese Männer spielen, ist dabei immer das gleiche: mit gezinkten Karten wird der „Fremde“ stigmatisiert und zum Abschuss freigegeben. Die Medien transportieren die Botschaft ununterbrochen in die Wohnzimmer der Menschen, damit diese auch eine echte Orientierung haben können. Und die Angst vor Vergewaltigung – ein mächtiges Narrativ schon immer – soll die Solidarität auch der Zuhause Gebliebenen sicher stellen.
Japan besetzt Südkorea, Deutschland und Russland teilen unter sich die Beute: Polen. Der lachende Dritte sind die USA, die im Fernen Osten genauso wie in Europa als Sieger aus den Gemetzeln hervorgeht.
Dann begann die Epoche des Kalten Krieges – im Osten wie im Westen – und die passenden Narrative lieferten die Sieger wie die Besiegten: Immer sind es die anderen, die an allem schuld waren. Man selbst will nur den Frieden, den Fortschritt, den Wohlstand für alle. Die Traumata aber, die über Generationen weiter gegeben werden, tun unter der Haut unterdessen ihr unseliges Werk: Sie lähmen, ängstigen und verwirren die Gemüter der späteren Generationen nachhaltig. Die wissen dann gar nicht, warum sie so sind, wie sie sind. Aggressiv oder depressiv – in jedem Fall aber ein furchterregendes Beben für sich selbst und ihr Umfeld.
Wie sich die Bilder gleichen – damals genauso wie auch heute! Wieder agieren zwei Pseudo-Goliaths und ein verzweifelter David in Osteuropa um die Deutungshoheit: Der eine mit Waffengewalt, der andere mit Sanktionen und dazwischen das tägliche Sterben mutiger Männer und das verzweifelte Weinen entsetzter Frauen. Von den Kindern ganz zu schweigen, die ihren Traumatas erst Jahrzehnte später wehrlos begegnen werden. In der Ukraine oder in der Fremde, wo sie als Flüchtlinge strandeten 2022. Da hilft wohl nur eins: Aristophanes (die Erdlinge haben sich seitdem ganz und gar nicht geändert in ihrer Natur, ihrer Triebhaftigkeit) hat es in seiner Komödie Lysistrata einfach und überzeugend vorgeführt – die Männer sind sehr wohl und völlig erpressbar. Die Frauen müssen sich nur verweigern und die Kriegskasse kapern. Stellt euch vor, alle Frauen machen mit und gewinnen so den Krieg, weil dem die Männer ausgehen!