19 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 91

Nur Tagträume der drei Brüder Europas?

Die drei göttlichen Brüder – Zeus, Poseidon und Hades – brauchen vom Zweistromland zur Insel der Tochter des Kronos – jetzt aber olympische Adoptivtochter vom Heißsporn Zeus selbst – knapp eine Stunde. Unterwegs hatten sie sich als besonderen Scherz ausgedacht, diesmal als arme Fischer aufzutreten, um mal wieder ein Bad in der Menge zu nehmen. Lange mussten sie über diesen genialen Einfall lachen, lange.

Auf Aphrodites Insel ist gerade Mittagszeit. Die drei Brüder Europas liegen mit geschlossenen Augen am Strand – unweit des Tempels der Göttin – im Schatten eines Pinienwäldchens und geben sich genüsslich ihren Tagträumen hin. Nicht weit von der Stelle, wo sie sich ausruhen, stehen drei Fischer bei einander. Sie machen sich an einem zerrissenen Netz zu schaffen, das vor einem an Land gezogenen flachen Boot gelegen hatte. Die drei haben keine Ahnung, was zu tun ist. Sie sind ja keine Fischer, sondern olympische Götter. Grinsend ziehen sie mal da, mal dort am Fischernetz, als könnten so die Löcher weniger werden. Dabei unterhalten sie sich – wie drei Verschwörer – leise über Europas träumende Brüder Kilix, Kadmos und Phoinix.

Vielleicht sollten wir warten, bis sie wieder aufwachen“, sagt gerade der eine Fischer zum anderen.

Nein, Bruder, wir werden einfach ein paar Geschichten in ihre Ohren träufeln“, meldet sich Hades zu Wort.

Hervorragende Idee! Jeder nimmt sich einen und träufelt ordentlich was hinein. Was haltet ihr davon?“ fragt Zeus lachend.

Hades und Poseidon schauen verdutzt und mit offenem Mund ihren Bruder an. Dann haben sie verstanden, lachen, klatschen in die Hände und nicken erleichtert. Das dürfte ja wohl nicht so schwierig werden, denken sie; lässig lassen sie das Netz fallen, schlendern langsam am Strand entlang Richtung Pinienwäldchen und überlegen sich dabei, was sie denen eintrichtern könnten. Der Ehrgeiz hat sie nämlich gepackt. Jeder möchte hinterher sagen können: Meine Idee war aber die beste!

Hört mal, ihr zwei“, beginnt später Kilix als erster zu sprechen, „wenn wir weiter zu dritt nach ihr suchen, sind wir sicher weniger erfolgreich, als wenn jeder für sich auf die Suche geht. Oder?“

Kadmos und Phoinix hatten den gleichen Gedanken, sie haben sich auch schon Ideen ausgedacht und so brechen sie noch am gleichen Tag auf: Kilix will mit einem schnellen Segler Richtung Athen segeln, Kadmos mit einem großen Handelsschiff nach Ägypten und Phoinix mit einem Pilgerschiff nach Delos, wo einst Leto Artemis und Apollon zur Welt brachte. Er will dort die Priester befragen, ob sie etwas von ihrer Schwester Europa gehört haben. Abends, als alle drei Schiffe längst abgelegt haben, hocken drei alte Fischer in einer Hütte im Hafen vor ihren Weinkrügen, lachen, trinken und halten sich für große Siegernaturen. Sie sind einfach die Größten, meinen sie.

12 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 77

Nach dem misslungenen Attentat bleibt nur die Flucht

Wir müssen abhauen. Sardonios wird uns abmurksen lassen.“

Nemetos‘ Stimme zittert leicht. Thortys ist sprachlos. Der große Tempel der großen Göttin scheint sie zu erdrücken. Beklemmungen überfallen sie, die Augen wandern unruhig hin und her. Die Tänzerinnen sind alle weg, auch Sarsa und Belursa waren kopfschüttelnd und lachend davon gerannt. Sie haben ja keine Ahnung, warum Nemetos und Thortys hier her gekommen waren. Aber Europa lebt. Und die beiden unfähigen Attentäter sind eigentlich schon tot. So jedenfalls fühlen sie sich. Abhauen. Ja, abhauen, das ist die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt. Jetzt. Sofort. Ohne Abschied. Ohne alles. Einfach weg. Aber wohin?

Am Ende der Insel, im Westen, hat ein Onkel von mir eine Schafherde. Dort könnten wir uns erst einmal verstecken. Dann mit einem Boot weiter nach Westen. Was meinst du?“

Nemetos schaut seinen Freund fragend an. Thortys fällt aus allen Wolken.

Was? Bist du verrückt? Das schaffen wir bestimmt nicht.“

Gut, dann geh ich allein. Ich hatte neulich in einem Traum so ein Bild von einer wilden Gegend, die ich nicht kenne. Das war bestimmt ein Hinweis der Götter an mich.“

Nemetos wendet sich zum Gehen. Thortys schaut hinterher. Die Angst kriecht in ihm hoch wie eiskalter Wind. Ratlos steht er da. Er stellt sich Sardonios, den Herrn der Listen und Namen, vor, wie der ihn fertig macht, tritt, schlägt, niedersticht.

So warte doch, he, Mann, warte doch!“ ruft er laut, als er nun doch hinter Nemetos herläuft.

Währenddessen wartet Sardonios im Palast der vielen Räume auf Nachricht, dass Europa getötet wurde und zwei verdächtige festgenommen worden seien. Aber da kommen keine Nachrichten. Im Gegenteil. Es klopft an seiner Tür. „Ja!“ ruft er unwirsch und staunt, dass es einer der Diener von Archaikos ist, der eintritt.

Der Minos von Kreta wünscht Dich umgehend zu sprechen. Er will das angekündigte Tanzfest zur Sonnenwende mit dir planen.“

Und schon ist der Diener wieder weg. Sardonios kocht vor Wut. Jetzt soll er auch noch ein Fest mit vorbereiten, dass diese Fremde, diese Europa, dem Minos aufgeschwätzt hat. Das wird auch die Macht der Oberpriesterin stärken. Da ist er sich ganz sicher. Er spürt den eigenen Machtverlust fast schon körperlich. Herzrasen, Zittern, Atemnot. Die Delfine an den Wänden scheinen dagegen vor Freude zu tanzen. Am liebsten würde er sie alle übermalen lassen, diese dummen Delfine. Wenn die beiden Europa nicht getötet haben, wie ich es ihnen befohlen habe, dann muss ich sie gleich verschwinden lassen. Die Gedanken überschlagen sich geradezu in seinem Kopf. Ein Unfall. Ja, Nemetos und Thortys werden bei einem Unfall ums Leben kommen. Dieser Einfall bringt ihm die Lebensgeister wieder zurück. Archaikos darf von alledem nichts erfahren.