08 Jul

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 63

Ein rätselhafter Todeskampf im Tempelhof

Amirta, Turguta und Sakalaia sitzen schwitzend im Schatten der uralten Zeder. Dennoch liegt ein zufriedenes Lächeln auf ihren schönen Gesichtern: Ihre Herrin, Chandaraissa, hatte sie gerade erst überschwenglich gelobt. Eure Bewegungen werden von Probe zu Probe bezaubernder, hatte sie gesagt. Und ihre neue Freundin, Europa, hatte zustimmend genickt. Sie seien auf einem guten Weg mit ihrem Tanz. Jetzt haben sie alle eine Pause. Auch Belursa und Sarsa haben Zuflucht im Schatten der Tempelmauer gesucht. Alle anderen Tänzerinnen stehen oder sitzen tuschelnd und kichernd beieinander und schwärmen schon mal im voraus, wie begeistert alle sein werden, wenn sie ihren neuen Tanz zum ersten Mal vorgeführt haben werden.

Dann erstarrt aber das ausgelassene Lachen urplötzlich. Jämmerliche Katzenschreie zerreißen die friedliche Stimmung unter den jungen Frauen. Alle drehen sich erschrocken um. Was hat das zu bedeuten? Dann sehen sie die beiden Katzen krächzend jaulen und wie betrunken taumelnd näher kommen. Jetzt übergeben sie sich auch noch. Milchiger Brei quillt aus ihren kleinen Mäulern. Jetzt kippen sie um, zappeln noch ein paar Mal, dann sind sie still.

Die jungen Priesterinnen schreien entsetzt auf, rufen ihre Herrin, wagen nicht näher zu den toten Tieren zu treten. Ängstlich halten sie sich an ihren Händen fest und schauen Chandaraissa sprachlos entgegen.

Was ist hier geschehen?“, ruft die Hohepriesterin. Hinter ihr erscheint jetzt auch Europa. Blass und beide Hände vor den Mund pressend, steht sie neben ihrer Freundin. Als wäre es ein Albtraum, ein Horrorbild, eingefroren in mitleidsloser Mittagshitze.

Aber der Schrecken hält noch neue schlimme Nachrichten für sie bereit. Ein Mann und eine wild gestikulierende Frau kommen in diesem Augenblick über den Tempelhof gelaufen, sehen die toten Katzen, gehen im Angesicht der Hohenpriesterin in die Knie und jammern erbärmlich vor sich hin. Chandaraissa tritt vor, kann aber nicht verstehen, was sie murmeln.

Ein böser Dämon, ein böser Dämon hat meinen Mann auf dem Meer bedrängt“, beginnt schließlich die zitternde Frau vor ihren Füßen zu flüstern.

Europa, die es hört, weiß sofort, wer dieser böse Dämon ist.

04 Jun

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 62

Und wieder zieht Zeus den kürzeren.

Missmutig schauen die müden Fischer im Hafen zu, wie Trasopas seinen fetten Fang auf seinen Holzkarren lädt.

Wo hat er das denn her?“

Reiner Zufall. Bestimmt. Sonst bringt er doch kaum was an Land. Oder?“

Da wird sich seine Thiala, die dicke, ganz schön freuen.“

Hämisches Gelächter begleitet Trasopas, als er in den Gassen mit seiner reichen Ladung verschwindet. Er kann es immer noch nicht fassen. Sonnenstich, vielleicht. Jedenfalls hat er seit dieser eigenartigen Erscheinung auf dem Wasser Kopfschmerzen.

Thiala steht breitbeinig in der kleinen Tür und traut ihren Augen nicht.

Mann, was bringst du denn da an Land? Ich glaub, ich träume.“

Frau, wir haben ausgesorgt für mindestens einen Monat.“ Und schon hängen neugierige Köpfe in den kleinen Fenstern der Nachbarhäuser. Glotzen neidisch rüber. Ungläubige Gesichter.

Trasopas spürt es deutlich. Trotz seiner Kopfschmerzen nimmt er sich viel Zeit, den Fang ins kleine Haus zu schaffen. Die sollen sich ruhig ärgern, diese Lästermäuler! Thiala tanzt kichernd um die unverhoffte Beute herum, als wäre sie fünfzehn. Bald muss sie sich aber schnaubend setzen. Immer wieder schlägt sie sich die Hände vors Gesicht, schüttelt den Kopf. Das Wasser läuft ihr im Munde zusammen.

Trasopas weiß, dass es gleich Ärger geben wird. Denn er muss ja einen Teil zum Tempel bringen. Und das wird sie gar nicht einsehen, da ist er sich ganz sicher.

Hör mal, Thiala, wir sollten der Göttin etwas von dem Fang als Dank weihen, weil…“ Er kann seinen Satz gar nicht zu Ende bringen.

Was?“ schreit Thiala los, „hast du jetzt auch noch dein bisschen Verstand verloren?“

Die Nachbarn in den Fenstern am Platz spitzen die Ohren. Gleich wird er aus dem Haus gejagt, geht es ihnen durch den Kopf, gleich steht sie wie eine Rachegöttin vor der Tür und brüllt hinter ihm her.

Aber nichts dergleichen geschieht. Plötzlich ist es ganz still im Häuschen von Trasopas. Und keiner weiß, was los ist.

Nicht viel später machen sich der Fischer und seine Frau mit einem großen Korb, den sie in die Mitte genommen haben, auf zum Tempel. Die Nachbarn lassen sie ratlos und tratschend zurück.

Auf der langen Mauer um den Tempel liegen wie immer dösend die üblichen, schlecht gelaunten Katzen und warten auf dumme Vögel, die in ihrer Nähe notlanden. Aber nichts zu sehen, nichts zu hören. Und das heiße Flimmern der Luft macht dem Fischer und seiner Frau arg zu schaffen. Der Korb ist schwer. Die Nasenflügel der Katzen beginnen bedenklich zu beben. Die Augen werden zu bösen Schlitzen. Wie auf eine heimliche Verabredung springen sie auf, rennen wie junge Athleten im Stadion auf die beiden zu, fallen sie und den Korb fauchend an. Entsetzt lassen Trasopas und Thiala den Korb fallen, die Beute ist blitzschnell gefasst und entführt. Drei kleine Augenblicke, vielleicht. Mehr nicht. Was für eine Katastrophe! Und Zeus auf seinem Olymp ist stocksauer, gelinde gesagt.

29 Mai

Europa – Mythos – Audio-Beitrag # 2 : BROT UND WEIN von Friedrich Hölderlin

Dieser audio-Beitrag soll die begonnene Erzählung vom anderen EUROPA-MYTHOS mit neuen Bilderangeboten befeuern; denn Hölderlin träumte von einer neuen Rolle Europas nach den vielen Revolutionskriegen und Eroberungsfeldzügen Napoleons.  Er glaubte, Europa könne nun anknüpfen an ein humaneres Lebenskonzept, das aus den Angeboten der Antike (verbildlicht in der Figur des DIONYSOS) und denen des bescheidenen Wanderpredigers JESUS  ein Neues, Drittes würde schaffen können, das weder Angst noch Schrecken in die Welt zu bringen wüsste, sondern Frieden, Freundschaft und Eintracht auch mit dem Fremden, dem ganz anderen in Europa und in der Welt.

Nach den Kriegen des 20. Jahrhunderts und denen der letzten Jahre im fernen und mittleren Osten scheint es vielleicht der richtige Zeitpunkt zu sein – kairos – aus den geistigen und materiellen Trümmern der Gegenwart auszusteigen…

Dazu würde dann auch die begonnene Erzählung von der phönizischen Prinzessin Europa gut passen, die als Botin der fast schon vergessenen Botschaft vom Glück Menschen zu verbinden weiß – über jedwede Grenzen hinaus; seien es nun Sprachgrenzen, Kulturgrenzen, Glaubensgrenzen oder Geschichtsgrenzen…