04 Jan.

Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück # 74

Pippin sucht Kraft bei seiner Pippa

Es wollte einfach nicht hell werden, als Pippin durch die Schlammpfade stampft. Aus vielen Hütten steigt Rauch auf. Lutetia wacht auf. Hunde sträunen und bellen hier und da. Pippin erinnert sich plötzlich an den Ort, wo sie arbeitet und übernachtet, meistens. Und als er jetzt nach vorne schaut, unsicher mit flauem Gefühl im Bauch, meint er auch das Haus wiederzuerkennen. Raben fliegen ihm schreiend schräg durchs Bild. Das macht ihm natürlich Angst. Diese Schreihälse, so früh am Morgen. Was wollen sie ihm zukreischen? Er weicht in einen Nebenweg aus, kurz vor seinem neuen Ziel. Ein Schwein schrabbt grunzend an seinen Beinen vorbei. Vertrauter mieser Geruch. Hau ab, du blöde Sau, zischt er dem Tier hinterher. Aus seinen kleinen klugen Augen schaut es zu ihm fragend zurück. Was hab ich denn gemacht? Kann sein, dass das Schwein das gerade denkt, schafft sich Pippin grinsend etwas Luft in seinem niederdrückenden Denkgebäude. Er lacht. Jetzt steht er hinter dem Haus, in dem seine Pippina hoffentlich gerade am Herd steht. Ein kurzer Blick in die tief hängenden Wolken, als wenn von dort ihm vielleicht Mithras – wie kommt er denn jetzt gerade auf den? – ein aufmunterndes Zeichen geben sollte. Die Bilder vom Gemetzel im Mithräum melden sich prompt zurück. Weg damit! Weg! Schluckend wendet er sich wieder dem Türchen hinter dem Haus zu und hofft, Pippa tritt jetzt heraus.

Da öffnet sich knarzend die klapprige Tür und Pippa tritt noch völlig verschlafen und mit wild um sie herum wallendem Haar ins Freie. „Pippa!“ ruft Pippin freudig erschrocken, „ich kann es gar nicht fassen!“

Sie glotzt ihn an, als sei er eine dämonische Erscheinung, die es auf sie abgesehen hätte.

Mit der Hand hinter sich die Tür suchend stottert sie ungläubig:

Was willst du denn hier, hä?“

Ich musste dich unbedingt sehen“, dabei kommt er langsam näher, er will sie auf keinen Fall verscheuchen, er braucht sie jetzt so sehr, „der Bischof will mich sprechen und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“

Da fällt das Misstrauen von ihr ab wie welkes Laub und sie probiert schnell ihr schamlosestes Lächeln aus:

Ach was?! Der Bischof. Dieser miese Hund. Der sucht sicher wieder kostenlose Helfer für eines seiner nächsten Untaten, bestimmt. Also lass dir von dem nur keine Angst einjagen, der ist selber ein Angsthase.“ Dabei stemmt sie ausgelassen ihre Hände in die Hüften. Ihre Brüste bringen ihn fast um den Verstand. Und wie die redet!

Pippin kann nur staunen. Wo nimmt die denn ihre Dreistigkeit her, warum hat die keine Angst vor diesem Monster? Aber es tut gut, sie so reden zu hören. Das lässt ihn wieder etwas unbeschwerter atmen.

Könnte schon sein, das könnte dahinter stecken. Hab ich mir auch schon gedacht“, schiebt er noch schnell hinterher. Pippa durchschaut ihn natürlich sofort. Aber er gefällt ihr. Vielleicht kann sie ihn ja schön herrichten für sich, denkt sie lustvoll. Der ist ja richtig anhänglich. Gut, dann soll er mal hängen bleiben.

Was hältst du davon, wenn wir uns nach meinem Treffen mit diesem aufgeblasenen Arnulf in den Kellergewölben des Amphitheaters treffen. Da könnte ich dir gleich alles brühwarm erzählen.“

Pippin findet seine Rede richtig gut. So ganz ohne Angst war das herausgekommen, obwohl die Angst vor dem Treffen immer noch dadrunter rumort. Pippa nickt grinsend und läuft dann ohne noch etwas zu sagen los, schnappt sich den kleinen Bottich, um Wasser zu holen. Pippin schaut ihr gierig hinterher. Dieser Gang: Eine lockende Versuchung. Jetzt fühlt er sich schon viel besser. Der Bischof soll ja nicht meinen, er könne ihn einschüchtern. Pippa hat ja so recht.

22 Apr.

Leseprobe # 2 Ausschnitt aus dem historischen Roman, zweiter Teil

Es geht nichts verloren, sagte schon Lukrez

Julianus spricht gerade mit Somythall über die letzten Unterrichtsstunden bei seinem wunderbaren Lehrer Philippus. Sie haben nicht mehr viel Zeit. Somythall wird in den nächsten Tagen aufbrechen, denn Rochwyn möchte sie noch vor Einbruch des Winters sicher nach Luxovium bringen. Dort gibt es weise Frauen, die ihr bei der Geburt helfen können. De rerum naturae. Somythall muss immer wieder schmunzeln, wenn sie ihm zuhört. Er ist so begeistert. So voller Lebensfreude. Da fällt ihr wieder ihre Großmutter ein: Ihr Gesicht, wenn sie ihr summend und mit strahlenden Augen alte Geschichten erzählt hatte. Mit einem wohlig wärmenden Kichern am Ende. Die Frauen, von denen die Großmutter da gesprochen hatte, waren auch so voller Lebensfreude, Liebeslust und Glücksgefühlen gewesen. Lukrez und die Urururgroßmutter ihre Großmutter müssen Freunde gewesen sein, denkt sie. Die strahlenden Gesichter, die sich Somythall dabei immer vorgestellt hatte, ähnelten dem von Julianus jetzt. Genau. Sie fühlen wohl das gleiche, denken in verwandten Bildern, träumen ähnliche Träume, strahlen die gleiche Wärme und Zuneigung aus wie er, jetzt.

Gibt es vielleicht geheime Töne und Energien jenseits von Zeit und Raum, die sie alle miteinander verbinden?

„Wie meinst du das, Julianus?“

Julianus ist begeistert. Dass Somythall so neugierig ist, macht ihn fast schwindlig vor Freude. Schade, dass die Sprache nur Wort für Wort das Gedachte herausbekommt. Lieber würde er alles, was er gerade denkt, auf einmal zu ihren Füßen legen. Mit ihr darauf eng umschlungen tanzen oder auch noch mehr. Nach mehreren Atemzügen und Liebe vollsten Blicken fährt er hastig fort:

Es hängt alles zusammen, das Größte mit dem kleinsten und umgekehrt, das Vergangene mit dem Gegenwärtigen und Zukünftigen. Lukrez ist sogar der Meinung, dass der klingende und schwingende Kosmos mit all dem verbunden ist; es gehe nichts verloren. Auch von uns selbst nicht.

Denn alles, was zerfällt – bis zu den kleinsten Atomen – wird wieder neu zusammengesetzt. Und das Neue hat in seinem Gedächtnis und in seinem Körper das Ehemalige dabei. So sei Werden und Vergehen miteinander verschränkt und fest verknüpft für immer. Selbst die Götter unterliegen diesem Fluss der Dinge und Atome.“

Somythall kann es nicht fassen. Wovor sollte sie dann noch Angst haben müssen? Sie und Julianus bleiben für immer miteinander verbunden. Eine warme Welle voller Lebensfreude überschwemmt ihren aufgeregten Körper.

Die Götter auch? Wie schön, dann sind sie uns ja viel näher und verwandter als die meisten glauben. Deine Götter genauso wie die meinen. Oder?“

Julianus nickt nur. Wortlos sitzen sie auf der kühlen Marmorbank. Die Schriftrollen in den Nischen um sie herum scheinen auf einmal zu flüstern. Auch sie wollen ihre Geschichten erzählen, wollen – wenn auch nur sehr, sehr leise – mitteilen, dass sie alles hören und verstehen können, was um sie herum gesagt wird. Und dass es genau zu dem passt, was sie selbst zu sagen haben, schon so lange.

Dass bald eine Feuersbrunst sie noch leiser und kleiner werden lassen wird, ist ihnen völlig einerlei.

Jetzt ist wieder ein solcher Augenblick, der Verwandtes unbedingt fühlen lässt. Jetzt. Somythall und Julianus saugen mit ihrem Atem all das in sich auf, lassen es in sich Herberge finden, Frieden. Der junge Römer sucht die Hand der schwangeren fremden Frau. Die bunten Figuren auf den Wänden scheinen zu schmunzeln. Alles hat in diesem Augenblick seinen richtigen Platz, alles passt zusammen. Und die zwei jungen Menschen spüren es auch. Als wüchse ungefragt eine wunderbare Kraft in ihnen, als löste sich von ihnen jedwede Schwere. So kommt es ihnen vor. Ausgelöst durch ein Buch, das vor so langer Zeit schon geschrieben worden war. Von einem römischen Autor, von Lukrez, der sich wiederum eng verbunden fühlte mit Gleichgesinnten aus den längst vergessenen griechischen Welten.

Da öffnet sich die Tür. Die Abendsonne zeichnet den Körper des Eintretenden in scharfen Linien, sein Gesicht schattenumhüllt. Aber sie kennen diese Gestalt genau. Es ist Rochwyn. Er kommt, um Somythall abzuholen. Selbst der nahende Abschied verliert unversehens seine Schwere. Die beiden stehen gemeinsam auf, umarmen sich wortlos und lösen sich voneinander.