02 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 70

Das Treffen in der Höhle der guten Geister

Das fühlt sich gar nicht gut an, denkt Thortys. Auch sein Kumpel macht keinen aufmunternden Eindruck. Und dann dieser Blick von Sardonios. Düster, bedrohlich. Was will der denn jetzt von ihnen? Fischen? Jagen? Wenn sie den doch nur los werden könnten, diesen eitlen Palasthengst. Verängstigt huscht sein Blick die bröcklige Decke der großen Höhle entlang. Fledermäuse? Oder die guten Geister selbst, die hier oft zusammenkommen? Wenn er nur wüsste, was Sardonios von ihnen will, wenn er es nur wüsste. Nemetos neben ihm glotzt wortlos vor sich hin. Und die Geschichte mit ihren Frauen ist ihm auch nicht geheuer.

Was bist du denn so unruhig?, fragt Nemetos gereizt.

Thortys fährt erschrocken aus seiner Grübelei hoch. Also glotzt er doch nicht bloß vor sich hin? Hat er mich insgeheim misstrauisch beobachtet?

Ich und unruhig? Wieso?“

Nur so, nur so“, knurrt Nemetos.

Draußen hören sie ein knackendes Geräusch. Sardonios?

Die beiden atmen hektisch ein und aus. Sie werfen sich kurz wortlos Blicke zu: Jetzt nur nicht ängstlich wirken. Wir haben alles im Griff. Klar doch.

Da erscheint auch schon der Herr der Listen und Zahlen im Eingang der Höhle. Seine Augen müssen sich erst an das Dunkel drinnen gewöhnen. Gleich bellt er los:

Wo steckt ihr denn?“

Hier Herr“, antworten sie sofort und kommen ihm entgegen. Sie gehen dabei sehr aufrecht und versuchen so etwas wie ein kleines Willkommenslächeln. Mit einer entschiedenen Geste gibt Sardonios ihnen zu verstehen, in die Hocke zu gehen, um seine Anweisungen demütig entgegenzunehmen. Heftiges Geflatter oben im Gewölbe der Höhle. Also doch keinen guten Geister, nur Vögel, Störenfriede.

Jetzt hört gut zu, denn ihr seid ausgewählt worden, dem Minos von Kreta einen großen Dienst zu erweisen.“

Sofort stellt sich bei ihnen in der Magengegend ein blödes Störgefühl ein: Großer Dienst? Das kennen sie. Immer wenn von „großem Dienst“ die Rede ist, gilt es Drecksarbeit zu erledigen. Immer. Zugleich nicken sie, als seien sie erfreut über diese Botschaft.

Die Fremde, Europa, ihr wisst schon, muss verschwinden. Archaikos hat sich bei den alten Sehern kundig gemacht und die haben ihn gewarnt: Die Fremde sei eine große Gefahr für Kreta und für ihn. Und es müsse schnell gehen, bevor etwas Schlimmes auf der Insel geschieht. Die alten Götter erwarteten das von ihm. Und so habe Archaikos ihn, Sardonios, beauftragt, das Nötige umgehend in die Wege zu leiten. Ihr versteht?“

Sardonios ist völlig überrascht über seine Geistesgegenwart, wie einfach diese frei erfundenen Sätze ihm über die Lippen gesprungen kamen.

Nemetos und Thortys verstehen gar nichts. Das einzige, was ihnen aber sofort klar wird, ist, dass sie mal wieder die Drecksarbeit erledigen müssen.

Wie immer. Mist.

18 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 56

Europa will es wissen: Archaikos soll es sein

Europa – gut gelaunt und begeistert von den jungen Priesterinnen – lässt sich im Palast bei Archaikos anmelden. Die Wachen, misstrauisch wie immer, verschwinden knurrend im langen kühlen Gang, in dem Licht wie bunte Fäden zu schaukeln und zu flimmern scheint. Ist es ein gutes Zeichen, Göttin, fragt sich Europa und wartet auf deren Antwort beim Warten auf die Rückkehr der Wächter. Die Stille tut ihr gut, sie lehnt sich genüsslich an die kühle Wand und meint die göttliche Stimme zu hören. Zwar nur flüsternd leise, aber doch vernehmbar: Sei stark, die altvertrauten Lieder werden weiter helfen. Was soll das nun wieder heißen, denkt sie unzufrieden. Sie könnte jetzt deutlichere Botschaften viel besser gebrauchen. Tief durchatmend schließt sie die Augen, genießt dabei den weichen Luftstrom, den sie durch die Nase kräftig einsaugt, und geht in Gedanken noch einmal zurück in den Tempel: Die drei Fremden haben sich nur schlecht verstellt. Ich habe sie erkannt. ER und zwei Helfer. Der arme, er braucht also Hilfe, um mir beizukommen. Das gibt ihr noch mehr Kraft für die kommenden Stunden. Ich muss nur an mich glauben und an die Zukunft meiner Botschaft vom Glück. Da kommen die zwei auch schon wieder. Erst schattenhaft, gespenstisch, dann geschmeidig und groß.

„Der Minos von Kreta will dich jetzt sehen. Folge uns!“ sagt verächtlich der jüngere der beiden. Der ältere nickt nur fast unmerklich, dreht sich dann gleich wieder um. Die Speerspitze seiner Waffe blitzt dabei wie ein großer Stern, der am Abendhimmel zitternd strahlt. So geht es schnellen Schrittes durch die Gänge und Zwischensäle. Europa kennt sich schon etwas besser aus inzwischen. Trotzdem staunt sie über die herrlichen Tiergestalten an den Wänden, fast lebendig scheinen sie die drei laufend zu begleiten. Europa wundert sich, wie wenig fremd die Bilderwelt auf sie wirkt. Kennt sie diesen Anblick von früher her? Bei ihr zuhause, im Palast der Eltern, gab es solche eleganten Wandgemälde gar nicht. Schwarze Linien, gelbe Striche, rote Kreise. Nein, daran will sie jetzt aber gar nicht denken. Ihr herrischer Vater und die besserwisserische Mutter möchte sie lieber draußen lassen, wenn sie Archaikos trifft. Sie will leicht, heiter, reizvoll scheinen. Dann könnte es ihr gelingen.

Mit solchen Gedanken beschäftigt durcheilen sie einen Gang nach dem anderen. Schließlich machen die beiden Wächter, die sie keines Blickes gewürdigt hatten auf diesem eiligen Gang, vor der schweren Holztür der Gemächer des Minos von Kreta halt.

Dreimal klopfen sie mit ihren Speeren auf die glatten Steinplatten – dröhnend drücken die tiefen Töne gegen die Flügeltür. Europa spürt eine wohltuende Aufregung in ihrem Innern. Und schon öffnen sich die Flügel, die Wächter treten zur Seite und lassen Europa durch. Gleich hinter ihr schließen sich die hölzernen Flügel wieder, lautlos werden sie von den beiden Wächtern innen verschlossen. Sie spürt, wie deren Blicke sie zu durchbohren scheinen. Aber da kommt ihr schon Archaikos mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. Er lacht. Also keine Gefahr? Europa wird sehen. Sie muss ihn heute Nacht für sich gewinnen, nicht nur als Liebhaber, das ist ihr ja schon längst gelungen. Nein, als Ehemann.

10 Feb

Europa – Mythos # 48

Die Mutter Europas kehrt aus der Unterwelt zurück

Nebelschwaden zerstäuben lautlos in früh wehenden Lüften. Schroffe Felswände glänzen matt von kaltem Morgentau. Es liegt ein müdes Raunen in der Luft wie Klagelaute von tief herauf. Aus Klüften melden sich fahle Schatten so zu Wort:

„Telephassa, Telephassa, komm, lass das Weinen, weg mit dem Zorn! Wir führen dich zu lichteren Gegenden. Dorthin, wo deine Tochter Europa hingelangte, als sie vor der Gewalt ihres Vaters floh. Erinner‘ dich an deine alte Kraft und Würde – du hattest einen lichten Auftrag von uns allen und du hattest so gut begonnen. Schau doch, wie deine Tochter rätselt, was sie denken, was sie tun soll!“

Wie in einer kleinen Einsiedelei wacht sie nun auf. Die Wunden sind wunderbar geheilt. Der Mörderbande Tat zum Glück umsonst gewesen. Die wohlbekannte Königin war ja längst mit ihren drei Söhnen Kadmos, Phoinix und Kilix heimlich geflohen und so den Häschern entgangen. Zusammen wollten sie die entführte Tochter und Schwester Europa finden und befreien. Telephassa erinnert sich jetzt daran und lauscht dem wispernden Flüstern, das an ihr luftig vorbei huscht. Langsam gewöhnen sich die immer noch müden Augen ans junge Morgenlicht. Es tut gut erwacht zu sein, wenn auch die Albträume schwer an ihr zerrten.

Agenor, ihr blindwütiger Gatte, tobt da wie ein Tier. Fleht Poseidon, seinen Vater, um Hilfe an. Vergeblich. Denn der feiert gerade mit seinen Brüdern Zeus und Hades den Beginn der neuen Männermacht. Wie sie zumindest hoffen. Zuviel haben sie getrunken, zu laut gegrölt, zu schwer gegessen. Europa verfluchen, die Frauen unter die Knute der Männer zwingen, das ist nach ihrem Geschmack. Und auf dem Tanzfest, das mit dem Beginn des Frühlings auf Kreta erstmals gefeiert werden soll, wollen sie der Hohenpriesterin und Europa einen unvergesslichen Denkzettel abliefern. Einen demütigenden, einen hämischen. Zeus muss eben einfach dieser phönizischen Prinzessin zeigen, dass ihr Hochmut dem Obergott gegenüber gnadenlos geahndet werden muss. Gnadenlos. Und bald. Wie unselige Geister der Unterwelt, so tanzten sie durch ihren Traum. Gräulich lachend und geifernd. Sie wurde an eine kalte Wand gedrängt. Die drei schienen sie erdrücken zu wollen. Lüstern und todbringend. Aber es war nur ein Traum. Erwacht durfte sie – geleitet von den guten Geistern der großen Göttin – aus der Unterwelt entweichen. Zu dumm aber auch, dass Hades gerade unterwegs ist und seinen Kater auskuriert. So war es eine leichte Flucht. Sie sollte sich nur nicht umdrehen, rieten ihr die einflüsternden Stimmen. Wozu auch, dachte sie, wozu?

Auf welches Meer schaut sie da jetzt? Wo sind ihre drei Söhne geblieben? Was soll ich tun? Telephassa lehnt sich erschöpft an die kalte Felswand. Die Stimmen werden immer leiser, als wollten sie sich von ihr verabschieden. Aber sie hat doch noch so viele Fragen! Flehend schließt sie die Augen. Wartet. Hofft. Dann kommen aber wie von selbst die rettenden Gedanken. Ich habe einen Auftrag, die Göttin steht mir bei. Ich werde zurück zu den Menschen gehen, werde Fragen stellen, werde Hilfe bekommen. Tief atmet sie ein, genießt die frische Morgenluft und die wohltuende Stille. Und wie eine Einladung klingt ihr das ferne Rauschen der Brandung. Komm, Telephassa, komm und lass dich nicht aufhalten! Der große, Leben spendende Äther trägt dich, verbindet dich mit allem, auch mit deiner Tochter Europa, auch mit deinen Söhnen. Also, mach dich auf den Weg, hilf ihr mit all deiner Weisheit, Liebe und Gelassenheit! Was wohl die Möwen meinen, die gerade so laut unter ihr am Strand zu streiten scheinen? Oder ist es Lebensfreude, Ausgelassenheit, die sie so schreien lässt?

Und ist der Mut ihrer Tochter Europa nicht staunenswert? Ganz alleine hat sie sich aufgemacht.

Telephassa will sie finden, will ihr helfen. Es fühlt sich gut an. Sie will auf jedes Zeichen, das sich in ihr – wenn auch noch so leise – rühren sollte, lauschen, damit sie nicht in die Irre geht. Ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was die nächsten Tage bringen werden, macht sie sich weiter tief ein- und ausatmend auf den Weg. Sie will am Meer entlang gehen, bis sie auf Menschen stößt, die ihr weiterhelfen werden. Dieser Vorsatz, den sie da gerade in sich wachsen lässt, ist wie ein erfrischendes Getränk, das sie belebt, stärkt und sicher macht. Es ist gut, was ich vorhabe. Auch der Albtraum hatte seinen Sinn darin. Er liegt hinter mir wie eine wichtige Warnung: Sei auf der Hut, die fast schon vergessene Botschaft vom Glück will weitererzählt werden. Jeden Tag muss sie neu gelebt werden, erneut verteidigt werden. Nur so wird sie in den Herzen der Menschen wachsen können, nur so kann sie den Menschen Glück bringen, Lebensfreude. Tu es!

Telephassa hüpft fast vor Freude den Hang hinab zum Meer. Ihr Übermut verleiht ihr geradezu Flügel. Alles um sie herum scheint sie wie in einer Sänfte zu tragen. Leicht, heiter, mühelos. Der Seevögel Tanz am Himmel, der schäumende Glanz der Wellen, das wärmende Licht des Morgens – all das tut ihr so gut und gibt ihr das Gefühl zuhause zu sein. Beschenkt, beglückt, begeistert.