22 Jan

Europa – Mythos # 46

„Erzähl, erzähl!“

rufen die beiden jungen Frauen, Sarsa und Belursi, ganz aufgeregt durcheinander. Seit Tagen schon glauben sie in einem unaufhörlichen Rausch der Sinne zu leben. Angst, Freude, Lust, Zorn wechseln sich in ihnen ab wie lauter ungebetene Wechselbäder. Im Geäst der uralten Zeder, die gelassen im Innenhof des Tempelbereichs vor sich hin döst, jagen zwei Elstern vor und zurück, als wären sie auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Heftig wippen sie mit den langen Schwanzfedern, stolzieren elegant über einen breiten Ast und beschimpfen sich dabei lautstark. Die Priesterinnen und Europa schauen ihnen von ihrem Schattenplatz aus begeistert zu. Wenn man doch nur deren Sprache verstünde, denkt Chandaraissa. Sie sind alle bester Stimmung: Ihr Plan ist bisher voll aufgegangen. Der Minos von Kreta scheint besänftigt und hat der Idee eines neuen Tanz-Festes zu Ehren der großen Göttin zugestimmt. Die beiden aufgezwungenen Ehemänner haben nichts mitbekommen von dem Betrug, der sie um ihren Beischlaf mit den frisch vermählten Zwangs-Gattinnen gebracht hat, erzählen Sarsa und Belursi. Die Wächter mit ihren Brummschädeln meinen, es so toll des nachts getrieben zu haben, dass sie vor Liebesgier einfach die Besinnung verloren hätten. Sarsa kann vor Lachen gar nicht mehr weiter erzählen. Belursi prustet hinterher und versucht die Freundin mit Erzählen abzulösen: Sie könnten sich an rein gar nichts mehr erinnern, bekommt sie so gerade noch heraus. Das Kichern und die tonlosen Atemstöße der beiden ähneln ein bisschen den beiden Elstern oben in der Zeder, denkt schmunzelnd Europa. Sie hätten den vor Kopfschmerzen stöhnenden Männern ein kleines Theaterstück lustvoller Begeisterung geboten. Deren eher blödes Staunen sollte wohl zum Ausdruck bringen, dass sie demnach wirklich ganz außergewöhnlich gewesen seien, die so frech gehörnten. Und um dem Ganzen noch eine Krone aufzusetzen, hätten sie stotternd zu verstehen gegeben, dass die Wildheit und Leidenschaft ihrer Männer sie so gefordert hätten, dass sie nun für ein paar Tage aussetzen müssten, bis ihre wund geriebenen Stellen abgeheilt seien. Vor Verlegenheit hätten die beiden Mannsbilder dann gar nicht mehr gewusst, was sie sagen sollten, hätten nur zustimmend genickt und sich mit stolzen Blicken zu verstehen gegeben: Da können unsere Ehefrauen ja nur glücklich sein, dass sie so sinnliche Männer zugewiesen bekamen. Vor lauter Lachen kommen Sarsa und Belursi jetzt auch noch lustige Tränen, die keck die Wangen der beiden herunter stürzen. Europa und Chandaraissa freuen sich von Herzen mit den beiden. Sie werden aus diesem heimlichen Betrug einfach eine Gewohnheit machen, damit sie nie wirklich von diesen Rohlingen roh angefasst und missbraucht werden können. Und damit haben sie auch dem Minos von Kreta seinen Plan versaut. Gut so, denken sie, gut so. Europa schweift für einen Augenblick mit ihren Gedanken ab: Ist es dem selbstgefälligen Gott in der Höhle neulich nicht genauso gegangen? Könnte der nicht auf eine Gelegenheit warten, seine Demütigung vergessen zu machen? Sie weiß ja nichts von den Plänen, die die drei Brüder ausgeheckt haben. Nichts von dem Fluch, den der Obergott zusammen mit seinen Brüdern über alle Frauen ausgesprochen hat. Um solch unangenehme Gedanken zu vertreiben, stellt Europa in eine kleine Lachpause der Priesterinnen hinein – ohne darüber weiter nachzudenken – die Frage:

„Wollt ihr wissen, was ich heute Nacht geträumt habe?“

Und wie sie das wollen, sprudelt es aus deren Münder, und ob! Chandaraissa zieht verwundert die Augenbrauen hoch und lächelt ihrer Freundin aufmunternd zu. Da tut es Europa auch schon wieder leid, die Frage gestellt zu haben. Jetzt kann sie aber nicht mehr zurück. Sarsa lehnt sich genüsslich an den von der Sonne angenehm aufgewärmten Stamm einer Pinie – sieben davon stehen in einem Kreis um die alte Zeder herum – alle Schattenspender, stumme Zuhörer, geduldige Freunde der Menschen schon immer, die sie jedoch wie selbstverständlich nutzen und meistens übersehen. Europa atmet tief ein, schließt kurz die Augen, bevor sie so beginnt:

„Mir träumte, drei große schwarze Raben saßen auf einem dünnen Ast. Aufgeregt tippelten sie hin und her, hin und her.“

Chandaraissa unterbricht sie kurz:

„Oder waren es nicht doch Elstern? So wie die da oben in der Zeder? Vielleicht sind sie ja sogar aus deinem Traum mit in die Wirklichkeit hinüber geflogen?“

Europa schüttelt mit dem Kopf. Ihre Freundin hat immer so wunderbare Ideen. Aber es waren Raben, keine Elstern, und sie schienen wirklich schlechte Laune zu haben. Sie zankten sich laut und sehr unfreundlich. Daran kann sie sich noch ganz deutlich erinnern.

„Nein, es waren keine Elstern, er waren drei Raben. Das weiß ich noch ganz genau. Was sie sich zu sagen hatten, konnte ich nicht verstehen. Der wohl abgestorbene Ast, auf dem sie sich zankten, knarzte bedenklich. Ich saß am Eingang einer Höhle, hatte Angst, hatte Herzklopfen. Ich wusste nicht, warum ich vor dieser Höhle saß. Ich fühlte mich ganz schlecht. Dann brach der morsche Ast laut entzwei. Ich riss die Augen auf, hielt den Atem an, denn die drei schwarzen Tiere stürzten wild durcheinander wirbelnd und flatternd Richtung Erde, als könnten sie nicht fliegen, direkt auf mich zu. Schwer drückte mich die bange Frage zu Boden: Was wollen die von mir, was haben die vor? Schweiß gebadet wachte ich auf…“

Europa schaut hilfesuchend ihre Zuhörerinnen an. Mit offenen Mündern hatten sie zugehört. Nach dem ausgelassenen Lachen noch eben scheint plötzlich ein befremdlicher Ernst in der Luft zu wabern. Verlegen wischen sich die beiden jungen Priesterinnen die letzten Freudentränen von ihren Wangen. Keiner will etwas sagen, denn das Bedrohliche in diesem Traum ist allen nur zu deutlich. Europa ist die Stille sehr peinlich. Sie wollte wirklich nicht die ausgelassene Stimmung verderben. Doch das betretene Schweigen hat alle vier unbarmherzig im Griff. Warum hat sie das nur erzählt, warum hatte sie diesen Traum, warum sind sie jetzt alle so beklommen?

22 Nov

Europa – Mythos # 44

Die minoische Wende

Ein vielsagendes Raunen liegt in der Luft. Das heftige Gewitter, das in den Morgenstunden über die Insel gebraust war, hatte der Hitze des Tages unverhoffte, kühle Frische entgegengesetzt. Unsicher, neugierig und doch mit leichtem Atem stehen die so unvermittelt gerufenen Bewohner nun im weiten Innenhof des Palastes und warten auf den Minos von Kreta. Was will er von ihnen? Neue Abgaben? Mehr Arbeit im neu entstehenden Hafen? Will er wieder junge Töchter für den Dienst im Palast oder im Tempel der Hohenpriesterin? Oder geht es um die fremde Frau, die ihn betört haben soll? Oft, wenn die Boten des Minos durch die Stadt schreiten und ihre Hörner blasen, gab es nichts Gutes zu hören. War das Gewitter schon eine Vorwarnung gewesen? Zürnten vielleicht sogar die Götter? Dennoch ist hier und da in der Menge ein verhaltenes Lachen zu hören. Schließlich ruht die Arbeit, solange alle im Palast versammelt sind.

Dann erneut die Hörner. Es wird still, sehr still. Fast lautlos öffnen sich die Flügeltüren; alle blicken gebannt auf den Gang, über den nun der Minos zu ihnen heraustritt. Nur ein Flattern der Vögel ist zu hören. Sie machen sich davon. Ahnen sie Schlimmes? Oder wollen sie bloß zum Fischfang aufs Meer los? Aber was ist das? Hinter ihm – die Wächter, die ihm den Thron heraus bringen, hasten zu dem erhöhten Platz an der Kopfseite des großen Gevierts – erscheinen Frauengestalten. Viele sind es. Vorne weg Chandaraissa. Die Menge freut sich, denn die Hohepriesterin gilt als Wohltäterin. Und mit ihr treten ihre Priesterinnen hervor, alle in lange graue Tücher gehüllt, aus denen nur Hände und Gesichter herausragen. Was wird das werden? Ist jemand gestorben? Dann hätte man den langen dunklen Ton der Klagetuba längst hören müssen. Da war aber keiner gewesen. Und jetzt tritt noch jemand aus dem Halbdunkel des langen Ganges nach draußen. Die fremde Frau. Europa, so heißt sie wohl. Das hat sich längst herumgesprochen. Trotz der Stille ist die wachsende Neugier fast mit Händen zu greifen.  Die meisten machen lange Hälse, man will nichts verpassen. Auf den Stufen unterhalb des Throns stehen die grauen Frauen nun im Halbkreis alle da. Sagen keinen Ton, fast bewegungslos. Der Minos scheint die angespannte Stille zu genießen. Langsam schaut er sich um. Mal nach rechts, mal nach links. Er wartet. Alle können sehen, wie die ganz in Grau gekleideten Frauen atmen, wie sich die Brüste langsam heben, dann wieder sinken. Nur sie wissen, was jetzt geschehen wird.

Lange hatten sie mit ihrer Hohenpriesterin beraten, tagelang. Hatten nachgedacht, probiert, verworfen, neu entworfen. Hatten geübt. Europa hatte so viele Ideen für die Schrittfolge, die Tonfolge, die Stofffarben gehabt. Wie aufgeregt sie gewesen waren. Denn allmählich war ein Bild im großen Tempel der Göttin gewachsen, das sie so begeisterte. So etwas hatten sie noch nie versucht, noch nie gewagt. Ein Tanz, dazu Gänsehaut machende Töne, ein Aufeinander Zugehen, ein Sich Miteinander Verweben, wie in einem bunten Teppich, der wieder in einzelne Stränge zerfällt und wieder neu zusammen gewoben wird. Mal ein Sternenmuster, mal ein Viereck, das sich verkleinerte, dann wieder vergrößerte und mitten drin Europa, die wie ein roter Pfeil durch alle getanzten Formen hindurch flog, alle dann hinter sich her zog, bis eine neue Form wie aus dem Nichts heraus entstand. Bunt, geordnet, leicht und schnell zerfallend und in neue Bewegungen der Arme und Beine mündend. Hin und her und immer wieder und immer schneller und immer lauter, bis alles wieder abebbte, verklang, sich verlangsamte, sich beruhigte, um dann aufs Neue wieder anzuschwellen. Das Schönste aber waren die Gewänder. Denn unter dem grauen Mantel trugen sie fast völlig durchsichtige, leichte Tuchbahnen um sich gewickelt, die ihre Figur in den verschiedensten Farben verbargen und doch wieder nicht. Sie konnten sich zwar bei ihrem neuen Tanz nicht selber sehen, aber sie konnten es sich so gut vorstellen. Zumal Chandaraissa ihnen hinterher wortreich erzählte, wie wunderbar ihr Kunstwerk wirkte. Und Europa war die Vortänzerin. Die Schönste. Es musste dem Minos gefallen. Und nicht nur ihm. Da waren sie sich alle einig. Sie lachten, kicherten, schwärmten und sangen leise die Töne nach, die sie mit ihren Instrumenten geübt hatten. Drei besonders begabte junge Priesterinnen erwiesen sich als wahre Musikanten. So waren sie zu einer Zaubertruppe geworden, die sich selbst verzauberte und nur darauf wartete, auch die Zuschauer zu umgarnen.

Dann war es noch einmal spannend geworden. Chandaraissa und Europa hatten um eine Audienz beim Minos nachgesucht. Sie mussten ja  i h n  davon überzeugen, dass ein neues Fest gefeiert werden sollte, das seine Weisheit preisen sollte, das den Frieden zwischen den Männern und den Frauen besiegeln sollte, das alle begeistern sollte. Europa hatte sich zu diesem Anlass das Tanzgewand angezogen, hatte sich vor ihm aus dem grauen Mantel geschält und ihn staunen lassen. Ja, er war sprachlos gewesen. Zuerst. Chandaraissa und Europa konnten sehen, wie erregt er war, wie ein fast irrer Glanz in seinen Augen wuchs, wie sein Atem schwer und schwerer ging, er sich mit seinen Händen fest an den Thronlehnen halten musste. Dann hatte er sich wohl wieder unter Kontrolle. Spielte den unentschlossenen, zögerlichen, obwohl er am liebsten gesagt hätte, er wolle den Tanz sofort und zuerst nur für sich allein sehen und hören. Aber er durfte natürlich nicht als überwältigt dastehen. Also schwieg er lange, als wenn er sehr, sehr lange nachdenken müsste. Die beiden Frauen hatten das Spiel längst durchschaut, spielten aber ebenfalls mit und mimten die völlig verunsicherten und ängstlichen Antragstellerinnen, die befürchten mussten, dass ihre Bitte durchfallen würde. Schließlich hatte der Minos wohl das Gefühl gehabt, die Frauen lange genug auf die Folter gespannt zu haben, ließ ein Lächeln in seinem finsteren Gesicht wachsen und rang sich scheinbar zu einem Ja durch. Chandaraissa und Europa waren so erleichtert, dass sie fast weinend vor Freude in die Knie gingen, die Hände dankend falteten und ihn entwaffnend anstrahlten.

So war das gewesen und jetzt würde der Minos von Kreta es bekannt geben. Ein neues Fest. Für alle. Und als Geschenk der Priesterinnen und Europas ein Zaubertanz. Beim nächsten Vollmond soll es abends am Strand als Fest des Volkes – vom Minos gewährt – stattfinden. Es soll reichlich zu essen und zu trinken dazu geben. Alle sollen sich freuen können. Und hinterher würden alle mit Fackeln in einer langen Prozession zum Tempel der großen Göttin ziehen um gemeinsam zu danken.

Jetzt haben sich auch die vom Gewitterregen frisch gewaschenen Sonnenstrahlen bis in den Innenhof herunter gesenkt. Die Wärme tut allen gut. Sie schmeichelt den Sinnen, regt die Phantasie der ungeduldig Wartenden heimlich an. Das Raunen, das den Auftritt der Frauen angefacht hatte, verklingt sofort, denn der Minos erhebt sich bedächtig, lächelt freundlich auf sein Volk herab und verkündet dann umständlich seine Neuigkeit, die in der Geschichte der Insel alles verändern wird. Das aber weiß weder der stolze Verkünder noch die verblüfften und hoch erfreuten Zuhörer. Von den drei Götterbrüdern ganz zu schweigen. Sie haben dummerweise diese wichtige Ankündigung einfach oben im Olymp verschlafen.

13 Aug

Europa – Mythos # 41

Ein Bettler macht den verzagten Frauen Mut

Sarsa hält den Atem an. Was, wenn Nemetos den Rausch nicht überlebt? Ängstlich beugt sie sich über den reglos daliegenden Mann; sie versucht ihn atmen zu hören. Inzwischen ist es so dunkel in der übel riechenden Hütte ihres Zwangsgatten, dass sie ihn kaum noch erkennen kann. Sie meint, ihn atmen zu hören. Erleichtert richtet sie sich wieder auf. Da kommt ihr der rettende Gedanke: Ich muss zu Belarsi, muss wissen, wie es ihr mit Thortys gegangen ist, ob der auch wie tot da liegt. Tastend sucht sie den Ausgang zu finden, stößt mit der Hand heftig gegen die Brettertür. Ein Schmerz fährt ihr durch den Arm. Sie muss sich einen Splitter unter den Fingernagel gerammt haben. Tapfer unterdrückt sie einen Schmerzensschrei. Mit der Zunge sucht sie die Stelle, schmeckt ihr Blut, fühlt den Splitter. Schnell zieht sie ihn mit ihren Vorderzähnen heraus. Glück gehabt. Der eigenartige Geschmack des Blutes gefällt ihr. Vorsichtig späht sie auf die dunkle Gasse. Kein Mensch weit und breit. Schnell schlüpft sie ins Freie. Sie ist völlig verwirrt: Wie soll das weiter gehen? Chandaraissa kann doch nicht Nacht für Nacht dieses Getränk für sie bereit stellen. Sternenhimmel über ihr. Der Anblick beflügelt sie. Als sie aber auf die Hütte von Belursi und Thortys zu schleicht, bleibt sie wie vom Blitz getroffen stehen, hält vor Schreck den Atem an. Da ist eine Gestalt direkt vor ihr.

„Keine Angst, Sarsa, es wird alles gut werden. Ich habe hier ein kleines Geschenk für dich, über das sich deine Freundin Belursi sicher freuen wird. Hier, nimm nur!“

Wie Eisregen prasseln die Fragen auf sie ein, die in ihrem Kopf durcheinander purzeln. Gleichzeitig läuft ihre eine wohltuende Gänsehaut den Rücken herunter. Woher kennt der meinen Namen, wer ist das? Den habe ich noch nie gesehen. Warum habe ich keine Angst, jetzt? Ohne zu zögern, greift sie zu, als der Bettler ihr seine Hand entgegenstreckt. Wie ein warmer Schwindel fegt ein fremdes Gefühl durch ihren Körper, als sie den Stein in ihrer Hand spürt. Glatt, fast in der Form eines kleinen Vogeleis. Kühl fühlt er sich an. Kühl? Wie…? Sarsa ist völlig verwirrt, aber guter Dinge, eigenartigerweise.

„Danke. Wo kommst du her, ich habe dich hier noch nie gesehen? Bist du gerade am Palast angekommen, bist du nicht von der Insel? Was machst du hier in dieser Gasse? Und wie heißt du überhaupt?“

Sarsa wundert sich selbst über ihre Fragen. Aber ihre Neugierde hat ihr Lust gemacht, den Bettler mit Fragen zu überhäufen. Fast hätte sie vergessen, dass sie doch zu Belursi eilen wollte, um zu sehen, ob es der Freundin genauso mit Thortys gegangen ist, wie ihr mit Nemetos. Der Fremde lacht:

„Sysoniod. Geh nur zu Belursi. Sie wartet schon auf dich. Sie sehnt sich sogar nach dir.“

Jetzt wird ihr aber wirklich unheimlich. Sysoniod? Nie gehört. Er kennt auch Belursi? Ist es vielleicht ein Spion von Sardonios, der sie ans Messer liefern soll? Sarsa wirft die Fragen lachend in den Wind. Sie spürt, wie sehr sie sich nach ihrer Freundin sehnt. Im Davonlaufen ruft sie noch leise ein „Danke!“ zu dem eigenartigen Fremden und hastet weiter zur Hütte des Nemetos. Ohne zu zögern öffnet sie das, was wohl die Tür sein soll, erkennt schemenhaft einen Mann, der am Boden liegt und neben ihm Belursi. Kichernd. Da muss sie auch kichern und wirft sich jauchzend auf die Freundin. In der einen Hand hält sie das Geschenk, mit dem sie jetzt Belursi über den Bauch fährt. Da löst sich ein leises Stöhnen aus dem Mund der Freundin.

„Komm!“ flüstert Belursi, „ich habe schon so auf dich gewartet.“

Und bevor Sarsa überhaupt noch etwas lachend erwidern kann, spürt sie die feuchten, weichen Lippen von Belursi auf den eigenen. Inbrünstig erwidert sie diesen lüsternen Kuss und wundert sich, dass ihr dieser Augenblick irgendwie bekannt vorkommt. Hatte sie diese leidenschaftliche Umarmung, in die sie sich nun fallen lassen, schon geträumt oder sogar phantasiert? Und warum ist da auch nicht ein Sandkorn von Angst mit dabei? Warum kann ich das jetzt so genießen? Der Stein, so rund und glatt geformt in ihrer Hand, wandert – als wäre er solcher geheimer Wege längst schon kundig – zwischen ihnen hin und her. Selbst das Bild des Fremden stört sie nicht in ihrem Genuss. Er ist mit dabei. Die beiden können lange nicht mehr von sich lassen, küssen, streicheln und verwöhnen sich mit unsagbaren Zärtlichkeiten. Neben den Liebenden liegt im Dunkeln der betäubte Thortys sabbernd da und weiß nichts von ihrem Glück.