30 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 95

Europas Vater Agenor verliert Land und Leben.

Agenor, sein Reitergeneral Abressonios und die kleine Streitmacht kommen gut voran. Vor Einbruch der Dunkelheit wollen sie in der Oasenstadt Melweli den ersten Überraschungsschritt getan haben, um – dank der drei Hirten, die ihm den entscheidenden Hinweis gegeben hatten – um dem Hinterhalt seines Doch-Nicht-Schwiegersohn Ufroras, junger König von Assur, zuvorzukommen.

Agenor ist bester Dinge. Eben erst hat er Abressonios versprochen, ihn reich mit Land und Leuten zu beschenken, wenn das Kriegsglück auf ihrer Seite bleibt und er dabei sein Bestes gibt. Der General legt sich ihm vor Freude und Dankbarkeit vor die Füße, küßt sie und weint vor Seligkeit. Das tut dem König gut. Er ist in Geberlaune. Auch seine drei Söhne – Kadmos, Phoinix und Kilix – will er wieder in Gnaden aufnehmen, wenn sie ihre aufsässige Schwester Europa gefangen zurück gebracht haben werden. Selbst seiner Frau würde er alle ihre Eigenmächtigkeiten verzeihen, doch die ist ja leider vorzeitig in die Unterwelt abgereist. Schade. Schade.

Der Sand weht heiß in ihre Gesichter. Kurzer Halt. Die Soldaten brauchen eine Verschnaufpause. Wasser trinken. Die Vorräte sind zu Ende. Aber in der Oase werden sie ja reichlich frisches Wasser finden. Und fremde Frauen. Und Tanz am Feuer abends. So sind alle voller Zuversicht. Noch.

Da kommt der voraus geschickte Späher zurück, bringt sein dampfendes Pferd neben Agenor zum Stehen.

„Nun? Was hast du für Neuigkeiten?“ fragt schmunzelnd der König der Phönizier.

„Herr, die Oase werden wir – wenn wir schnell reiten – noch vor der Dämmerung erreichen. Die Leute dort ahnen nichts von unserem Vormarsch. Und Ufroras und sein Heer werden erst im Morgengrauen erwartet!“

Agenor strahlt. Seine drei Nomaden haben ihn also nicht betrogen.

„Wir machen kurzen Prozess, Abressonios. Schick schon einmal deine Reiter voraus!“

Abressonios nickt nur und bald sehen Agenors Leute nur noch eine große Staubwolke. Die Reiterei reitet schnell. Angekommen wüten sie gnadenlos in der Oase, wo gerade Kinder am Wasser spielen, Kamele weiden und Frauen das Abendmahl bereiten. Das Geschrei ist überall, bald auch Feuer und bald ist beides wieder vorbei. Melweli, die Oase. Bis dahin ein kleines Paradies.

Agenor sieht die Rauchwolke und tobt: Wie können die nur so dumm sein und Feuer legen. Abressonios werde ich dafür bestrafen, morgen Abend, wenn wir die Assurer besiegt haben, denkt er und verzieht dabei keine Miene. Als sie die Oase erreichen, kommt Abressonios ihm entgegen, steigt stolz vorm Pferd und meldet seine Heldentat:

„Herr, sie sind alle tot und alle Hütten platt. Meine Leute verscharren sie gerade alle im Sand.“

Agenor gibt ihm mit kleiner Geste zu verstehen, dass er seine Arbeit gut gemacht habe.

Die kalte Nacht verbringen sie unter einem glitzernden Sternenhimmel. Die Krieger träumen von der kommenden Schlacht und der Beute und den Auszeichnungen, die ihr König Agenor ihnen zuteil werden lassen wird. Nur das leise Schnauben der Pferde ist zu hören.

Noch vor Sonnenaufgang beziehen sie hinter hohen Dünen ihre Stellungen. Wenn die Assurer ohne jeden Verdacht und ohne jede Vorsicht vor der Oase auftauchen werden, sollen sie von den Seiten auf sie einstürmen, den Überraschungsmoment ausnutzen und sie überwältigen. So Agenors Plan. Der Reiterei soll dann der Rest überlassen bleiben.

Jetzt lauern die drei Verbände an den geplanten Plätzen – nicht sichtbar für die aus dem Osten erwarteten Feinde. Agenor hat Zelte in der Oase aufschlagen lassen, sie sollen die Sicht auf die niedergebrannten Hütten verdecken und gleichzeitig ein Zeichen sein, dass Agenor und sein Heer keine Ahnung haben, was auf sie zukommt.

Man kann es bereits hören, bevor man sie sieht: Viele Pferde müssen da im Anmarsch sein. Dann zeigen sich die Vorhut und ein erster Reitertrupp. Agenor hatte seinem General eingeschärft, auf keinen Fall zu früh loszuschlagen, damit möglichst alle eingekesselt werden könnten. Der König ist unruhig. Er weiß nicht, warum. Eigentlich läuft doch alles nach Plan, ihr Sieg ist unvermeidlich. Warum diese Unruhe? Jetzt erscheint ihm auch noch das Bild seiner Frau, der gemeuchelten Königin, vor seinem inneren Auge. Sie scheint ihm etwas sagen zu wollen. Aber was? Da geht die Sonne auf. Der tiefrote Ball wächst langsam am Horizont über dem fernen Gebirgszug. Langsam. Und bringt fahles Licht zur Oase, wo ein schlimmes Blutbad bevorsteht, von dem noch niemand dort weiß.

Agenor spürt, wie sein Herz heftig schlägt, wie Schweißperlen auf seiner Stirn herunterlaufen. Warum schlägt er nicht los? Die arglosen Feinde sind jetzt nah genug, also los jetzt, los!

Und dann beginnt ein Dröhnen, ein Geschrei, als die drei Verbände nun auf die ahnungslosen Assurer los stürmen. Aber die scheinen gar nicht beeindruckt. Keine Panik, kein Davonlaufen, kein Angstgeschrei. Im Gegenteil. Agenor, der es gar nicht fassen kann, was er da sieht, bemerkt, wie die Assurer ihre langen Schilde vor sich aufbauen, einen neben den anderen in einem großen Kreis, den sie dabei gleichzeitig bilden. Wie ein eiserne Mauer, mannshoch, versteckt sich der wohl nicht überraschte Feind hinter diesem metallenen Bauwerk. Wie kann das sein?

Agenors Mannen – vorneweg sein General Abressonios – stürzen sich gerade immer noch mit wildem Kreigsgeschrei auf die feindlichen Soldaten hinter ihren Schilden. Doch im gleichen Augenblick sieht Agenor, der gerade erleichtert ausatmet, hinter seinen anstürmenden Verbänden in breiter Front eine riesige Streitmacht anrennen. Lautlos, völlig lautlos. Das muss ein böser Traum sein, denkt Agenor. Doch der nun anbrandenden Übermacht haben seine Krieger nichts entgegen zu setzen, zumal nun auch der eiserne Schilderkreis sich öffnet und die besten Männer von König Ufroras auch den Zweikampf suchen. Nun stecken sie in der Falle, zwischen zwei Fronten, ein zweites Blutbad muss nun die sonst so stille Oase über sich ergehen lassen. Diesmal aber sind es nicht Frauen und Kinder und Kamele, die herzzerreißend schreien, diesmal sind es die siegessicheren Phönizier, die da in ihrem Blut ertrinken.

Die Sonne, die inzwischen den schrecklichen Ort hell beleuchtet, sieht auch mitleidig, wie König Agenor gefangen genommen wird. Er hatte noch versucht, Richtung Westen zu fliehen. Er hat ein gutes Pferd. Aber es hatte nichts genutzt. Sie fangen ihn und bringen ihn zurück zur Oase, wo König Ufroras auf ihn wartet. Zitternd steht er nun vor seinem Beinahe-Schwiegersohn. Der grinst böse. Lässig lungert er auf einem Schemel:

„So hast du dir sicher unser Wiedersehen nicht vorgestellt, Agenor! Oder?“

Agenor glaubt in einem bösen Traum eingesperrt zu sein, böse Dämonen müssen ihn überwältigt haben. Er muss nur warten, bis dieser Traum vorbei ist. Also einfach mal mit spielen.

„Nein, fürwahr, so nicht. Aber sag mir, woher wusstest du, dass wir schon die Oase erreicht hatten?“

Da lachen Ufroras Paladine aus vollem Halse, der König stimmt ein. Schließlich gebietet er dem Gelächter Einhalt, und nach einer gehörigen Pause antwortet er so:

„Nun, Agenor, König von Phönizien, Vater der Europa, um die du mich betrogen hast, so höre: Du warst so dumm, ein großes Feuer am späten Nachmittag in der Oase zu entfachen. Das war uns ein sehr hilfreiches Zeichen. Danke auch dafür!“

Und wieder lachen alle, die um König Ufroras herum stehen. Agenor, dem die Angst ins Gesicht geschrieben steht, würde jetzt gerne seinen Reitergeneral Abressonios vierteilen lassen. Dieser Idiot. Er hat den klugen Plan zunichte gemacht.

„Die Dummheit geht zu Lasten meines Reitergenerals Abressonios, mir wäre so etwas nicht passiert!“

Ufroras gibt mit kleiner Geste ein Zeichen. Sofort packen vier Männer Agenor an den Armen, zwingen ihn in die Knie und halten ihn so fest. Noch bevor der König protestieren kann, hört er die schneidende Stimme von König Ufroras:

„Schade. Hättest du den Fehler auf dich genommen, hätte ich dein Leben geschont, so aber sollst du unehrenhaft geköpft werden und den Geiern zum Fraß dienen.“

Agenor hört es und kann es nicht fassen. Ist denn dieser Albtraum immer noch nicht zu Ende? Gleichzeitig sieht er seine Familie um sich stehen, seine Frau, seine drei Söhne und Europa, die ungehorsame Tochter, die doch an allem Schuld ist. Dann hört er sehr deutlich und schneidend ein Zischen in der Luft. Der Henker versteht sein Handwerk. Blut läuft aus seinem Kopf, als der im Sand zu liegen kommt.

König Ufroras aber und seine Streitmacht feiern einen großen Sieg. Und am nächsten Tag marschieren sie in Eilmärschen zum großen Fluss, den sie auf einer aus vielen Booten zusammengestellten Brücke überqueren und noch ehe die schlimme Nachricht in Agenors Königsstadt anlangt, sind die Assyrer schon da. Es ist ein leichtes, die unbewachte Stadt einzunehmen. Die Einwohner werden als Sklaven mitgenommen, auch der Königsschatz darf nicht fehlen. Die meisten aber sind in den Gassen und Häusern der Stadt verblutet.

König Ufroras aber wird in seiner Stadt eine große Prachtstraße anlegen lassen. Die hohen Wände aus riesigen Quadersteinen sollen auf beiden Seiten zur Straße hin mit großen Reliefs gestaltet werden. Und in bunten Farben. Darauf soll in allen Einzelheiten der erfolgreiche Feldzug gegen die Phönizier nachgemeißelt werden: Die Überraschungsschlacht vor der Oase, der eiserne Mauerring, die sterbenden phönizischen Soldaten, die Enthauptung des feigen Königs – auch sein Fluchtversuch wird dort festgehalten werden – der Eilmarsch und die Einnahme von König Agenors Stadt, die Versklavung der Überlebenden und die reiche Beute, die sie jubelnd mit nach Hause nehmen.

So werden auch noch die Kinder und Kindeskinder von diesem glorreichen Feldzug von König Ufroras erzählen können und von der Schmach der besiegten Feinde.

17 Feb

Europa – Meditation # 177

Europa ächzt immer noch unter der Last des Stieres.

Das mythische Bild des weißen Stiers, den Zeus benutzte, um die Prinzessin zu verführen (wir sprechen heute ja gerne von einem „sehr, sehr alten Narrativ“) und nach Kreta zu bringen, war eigentlich immer schon ein Bild, das auf dem Kopf stand; denn eigentlich ist es doch Europa, die von Anfang an den falschen Fünfziger, den Götterbubi, auf ihren Schultern zu tragen und zu ertragen hatte. Weil es das Narrativ von schreibkundigen Männern war. Da aber die Geschichte schon so lange und so oft erzählt, bebildert, gemalt und gespielt wird, ist der eigentliche Gewaltakt nie durch ein gegenläufiges Narrativ entlarvt worden.

Ähnlich ist es wohl auch mit dem modernen Narrativ von Europa, das immer so erzählt wird, dass der große Bruder von Übersee die zerfledderte Europa sich auf die Schulter packte und wieder aufpeppelte nach 1945. So selbstlos, so hilfsbereit, so mitfühlend. Und schützend seine Hand über die geschändete hielt, auf dass nie wieder solches Ungemach über die Völker Europas hereinbrechen möge.

Dass aber derselbe Retter immer auch der eigennützige Bereicherer war und ist, der Europa brauchte, um seine eigene Wirtschaft wieder auf Friedenswirtschaft umstellen zu können, konnte man wunderbar ins Kleingedruckte verbannen. Man brauchte zusätzliche Absatzmärkte, Investitionsräume, Schuldner. Gerne schlüpften die geschundenen Europäer in die neue Rolle eines Abhängigen, die ihnen da aufgezwungen wurde. Im rosigen Narrativ der Nachkriegszeit wuchs wortgewaltig eine schier unschlagbare transatlantische Freundschaft heran. Musik, Film, Mode und Konsum kamen wie eine Frischzellenkur übers Meer geschippert. Besonders die Deutschen gaben ihr Bestes, um alles richtig zu machen, treuer Freund zu sein. Was für ein Narrativ!

Nun aber steht die erwachsen gewordene Nachkriegs-Europa da und wundert sich: Hatte man sich etwas in die Tasche gelogen, hatte man einfach übersehen wollen, dass der Transfer neben Geld und Waren flach und eher hohl war? Dass der amerikanische Eigennutz nun ungeschminkt die Dinge beim Namen nennt, die bisher blumisch verpackt waren? Dass der derzeitige Präsident nichts Neues aus der Tasche zaubert, sondern nur unverblümt in die eigene Tasche wirtschaften will – und wer nicht spurt, muss dann eben sehen, wo er bleibt? Das ist der NEW DEAL 2020 .

Erzählen wir also in Europa die Geschichte einfach so, wie sie wirklich war und jetzt auch ist: Keine Freundschaft, sondern ein günstiges Geschäft für die Amerikaner, das nun so nicht mehr weiter geführt werden kann. Der Gewinn muss sicher gestellt bleiben. Punkt. Onkel Trump könnte als schlechter Zeus-Mime von seinen Berater ja folgenden Spruch vor seinem nächsten Twitter-Schnellschuss eingeflüstert bekommen:

Wenn du zum Weibe (Europa) gehst, vergiss die Peitsche nicht!“

22 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 92

Die göttlichen Brüder im Intrigenrausch

Am liebsten würden die drei göttlichen Brüder jetzt einen kleinen Zwischenstopp auf dem Olymp einlegen, um die zwei feinen Intrigen ordentlich zu feiern. Aber Zeus winkt ab. Tochter Athene könnte ihnen auf die Spur kommen. Also lieber doch erst weiter nach Kreta.

Als was denn diesmal?“ fragt Poseidon enttäuscht. Er hat nämlich ziemlichen Durst und etwas Nektar und Ambrosia hätte er sich jetzt schon gerne gegönnt.

Als ganz normale Palastwächter von Archaikos.“

Gute Idee, Bruder, wirklich gute Idee“, lobt Hades überschwenglich.

Und schon sind sie da. Woltónos, Thórtys und Németos schleichen sich gerade durch die Gassen am Fuße des Palastes, als plötzlich drei Wächter vor ihnen stehen.

Halt! Wer seid ihr, wo wollt ihr hin?“ Dabei halten sie ihre Speere drohend auf die Brüste der drei müden Wanderer gerichtet. Dass Zeus, Poseidon und Hades dabei kaum ein Lachen unterdrücken können, merken natürlich vor lauter Angst und Schrecken Woltónos und seine zwei Helfer gar nicht.

Äh, also, das ist so, wir…“ stottert Woltónos los. Wird jetzt sein Plan vorzeitig an sein Ende kommen? Wieso sind zu dieser Zeit, an diesem Ort Wächter des Archaikos unterwegs? Er versteht es nicht. Und ihm will auch einfach keine gute Ausrede einfallen. So ein Mist aber auch, wirklich.

Was denn nun, hä?“ Poseidon als Wächter macht jetzt richtig Dampf. „Was führt ihr im Schilde, mh?“

Thórtys und Nemetos sehen sich schon im Kerker unter dem Palast vermodern. Warum haben sie sich nur mit Woltónos auf diesen blöden Plan eingelassen, warum nur? Die drei Wächter lassen ihre Speere jetzt sinken und wechseln auch im Ton ihrer Fragen:

Kommt mal mit, wir werden euch in aller Ruhe am Stadtrand befragen. Bis dahin wisst ihr dann hoffentlich, was ihr sagen wollt.“

Und ohne überhaupt ein Widerwort erst abzuwarten, schieben sie die drei in Richtung Sonnenuntergang, zum westlichen Tor. Für einen Augenblick sind die drei erleichtert, aber eben nur kurz. Denn was wird aus der nächsten Befragung wohl werden? Die Angst hat sie voll im Griff. So trotten sie mit gesenktem Haupt vor den drei Wächtern her. Kaum jemand scheint Notiz nehmen zu wollen von diesen sechs Männern. Jedenfalls sind die Leute, die gerade unterwegs sind, alle mit anderen Dingen beschäftigt.

So, ihr drei“, fängt später, als sie im Schatten einer alten Korkeiche Halt gemacht haben, der ältere der drei Wächter in väterlichem Ton an, „ihr habt Glück im Unglück. Der Minos von Kreta sucht neue Leute für seine Palastwache. Und ihr seht so aus, als wäret ihr gerade auf dem Weg gewesen euch zu melden. Stimmt‘s?“