08 Jul

Yrrlanth – Historischer Roman – Leseprobe – Blatt 115

Wenn Mönche im Kapitelsaal aus der Rolle fallen.

Die Mitbrüder hören die kleine Glocke bimmeln, als brenne das Kloster gerade ab. In der Kälte und über der weißen Schneedecke klingt es erbärmlich schrill. Schnell laufen sie durch den unfertigen Kreuzgang zum Kapitelsaal. Ihr Abt wartet dort schon mit versteinerter Miene. Die Hände zum Gebet gefaltet kniet er dort. Hastig suchen die ankommenden Mönche ihre Plätze, auch Abt Ambrosius und seine kleine Schar sind wieder dabei.

Jetzt erhebt sich Abt Bernardus, räuspert sich:

„Gott prüft uns Tag für Tag. Auch heute wieder.“

Er macht eine Pause, schaut langsam im Kapitelsaal von einem zum anderen. Alle haben ihre Augen niedergeschlagen, die Hände auf den Oberschenkeln zittern. Was werden sie jetzt hören müssen?

„Unsere beiden Brüder, die Holz holen wollten, sind von einem Bären überfallen worden.“

„Nein!“ schreit da Bernardus auf, „nein, das darf nicht sein!“

Seine große Mission, zu der er mit seinen Brüdern aus Yrrlanth aufgebrochen war, findet einfach nicht Gottes Wohlgefallen. Aber warum? Warum?

Da betritt Thyrdys, Rochwyns bester Mann, den Saal. Entsetzt schauen ihn die Mönche an. Was will dieser Mann hier, gerade jetzt?

„Ihr seid nicht von mir gerufen worden, bester Mann, stört uns also nicht in dieser bitteren Stunde hier!“

Abt Bernardus hatte es leise, aber ohne jedes Zittern in der Stimme, gesagt. Alle nicken beifällig. Aber Thyrdys zeigt sich nicht beeindruckt.

„Duc Rochwyn schickt mich. Wir haben den verletzten Mönch ins Krankenlager bringen lassen, er wird wohl überleben. Den zweiten aber – oder besser das, was von ihm noch übrig ist – solltet ihr gleich beerdigen.“

Mit einem mitleidigen Zug um den Mund dreht sich Thyrdys um und lässt die entsetzten Mönche mit dem Gehörten allein. Leises Wimmern ist zu hören, Schluchzen.

„Hört auf zu heulen! Wer reinen Gewissens ist, muss Gott nicht fürchten.“

Abt Bernardus findet zurück zu seiner bewährten Härte. Nur so glaubt er, seine kleine Herde zusammenhalten zu können. Aber Abt Ambrosius will wissen, wer von den beiden überlebt hat.

„Wer ist der Tote, wer der Verletzte?“ fragt er unwirsch.

„Geh zum Lazarett, dann wirst du es wissen,“ erwidert Bernardus in verächtlichem Ton. Wir wollen lieber beten.“

Empört rappelt sich Abt Ambrosius hoch, winkt seinen Mitbrüdern, ihm zu folgen. Und hastig stürmen sie hinaus. Die zurückgebliebenen Mönche und Abt Bernardus fühlen sich gleich besser. Wie kann man nur so unbeherrscht sein, kommentieren sie wortlos die Szene. Alle sind erleichtert, dass sie am Morgen nicht zum Holz Holen ausgewählt worden waren.

„Zwei müssen jetzt los, Holz holen – Bruder Maurus, Bruder Martin!“