11 Jun

Leseprobe – Historischer Roman II – Blatt 112

Es funktioniert noch immer, das Netzwerk der Römer

Julianus wird von wirren Träumen geplagt, seit einigen Nächten. Obwohl ihr heimlicher Verteidigungsplan Erfolg verspricht, scheinen ihm ihre Götter ferner und ferner. Die kalte Stille der Wintermonate in der Villa Marcellina hat nichts mehr von der Ruhe seiner Kindertage. Damals hatte ihm sein Vater morgens und abends vorgelesen. Aus der Anabasis des Xenephon, aus Ovids Metamorphosen und natürlich aus der Vergils Aeneis. Philemon und Baucis und Dido, die Amazonenkönigin – das waren die Figuren, mit denen er dann vor dem Einschlafen sprach.

„Hattest du denn keinen Zauber, um Aeneas davon abzuhalten, wieder weiter zu segeln?“ Dido lächelt müde.

„Hätte ich Erfolg gehabt, dann gäbe es kein Imperium Romanum, keinen stolzen Marcellus!“

„Das stimmt, Dido. Aber dafür hätte es vielleicht ein zauberhaftes Reich der Amazonen in ganz Afrika gegeben.“

Dido muss laut lachen.

„Du willst mir wohl schmeicheln, kleiner Römer!?“

Und jedes Mal bekam Julianus dabei Herzklopfen, er meinte dann sogar rot zu werden, so liebte er die Stimme der Königin. Niemals hätte er es aber gewagt, ihr seine Liebe zu gestehen, niemals.

Das ist jetzt lange her. Die Provinzen des Imperium Romanum zerfallen nach und nach. Auch hier in Gallien sind es nur noch Inseln, wo Latein gesprochen und geschrieben wird, wo Griechisch gelernt wird, wo den Göttern geopfert wird. Julianus weiß, dass sein Vater sich große Sorgen macht. Aber dass er nun die Villa so aufgerüstet hat, lässt ihn stolz sein auf den Vater. Er gibt nicht auf.

„Warum hast du die griechischen und römischen Historiker denn lesen müssen, Julianus?“, fragt er ihn oft. Und Julianus weiß die Antwort:

„Weil die Römer nach jeder Niederlage, nach jeder Krise wieder zurückkamen; aufgeben ist keine Option für einen Römer!“

Jetzt hört er in den Fluren Schritte, Stimmen. Der Vater scheint jemanden zu empfangen. Julianus steht auf, kleidet sich an und in den warmen Pelzmantel gehüllt verlässt er sein Zimmer. Als er die Tür zur Bibliothek leise öffnet, schauen die beiden Männer neugierig ihm entgegen:

„Ah, Julianus, schön, dass du dazu kommst. Unser treuer Freund aus Lutetia, Centurio Gajus Markus Fulcinius, bringt Wärme und Zuversicht in unsere Villa, wie immer.“

„Sei gegrüßt, Centurio.“ Julianus versucht ein Lächeln, aber die finstere Miene, mit der dieser nur stumm nickt, verheißt nichts Gutes. Philippus bringt gerade Brot und Wein. Man macht es sich auf den steinernen Liegen mit den weichen, vorgewärmten Kissen bequem. Marcellus, der Herr der Villa, hatte schon vor vielen Jahren die Idee gehabt, ähnlich wie im Speiseraum auch in der Bibliothek Liegen einzurichten, damit die

geistreiche Runde, die oft lange hier über große Themen der Götter und Menschen und die Vorväter disputieren wollte, auch ausharren konnte, oft bis weit in die Nacht hinein. Man isst von dem Brot, trinkt von dem Wein und wartet, dass der Gast das Wort ergreift. Die Stille in der Bibliothek lastet schwerer und schwerer auf den Wartenden. Endlich räuspert sich Gajus Markus.

„Lutetia ist ein stinkender Pfuhl. Wörtlich und im übertragenen Sinn.“

Julianus schaut zu seinem Lehrer Philippus. Wird das jetzt ein literarisches Symposium? Philippus lässt seine Mundwinkel fast unmerklich absinken, bewegt seinen alten weisen Kopf leicht hin und her, holt tief Luft und ergreift dann das Wort:

„Das ist eine düstere Eröffnung, Centurio. Uns sind beide Bedeutungen geläufig. Wann haben wir schon einmal etwas Gutes von dort berichtet bekommen?“

Marcellus pflichtet kopfnickend bei.

„Dennoch sind wir immer bestrebt, in Frieden mit dem Frankenfürsten zu leben.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Der Centurio macht eine lange Pause.

„Euer Wein ist wie immer köstlich, euer Brot wie immer frisch und duftend. Aber dennoch will es mir nicht schmecken.“

Wieder folgt ein langes Schweigen. Marcellus, Julianus und Philippus wissen, dass schlechte Nachrichten ins Haus stehen. Vielleicht wollen die frisch getauften Franken ihrem Gott römische Heiden opfern, um seine Gunst zu sichern. Vielleicht werden sie deshalb den geplanten Überfall schon bald ausführen und nicht erst im Frühling. Da erlöst sie ihr Gast aus ihren Gedanken.

„Den, den du einen Fürsten nennst, ist eher ein Tier, denn ein Mensch.“

Julianus hält den Atem an. Was für ein Bild! Chlothar, das Tier!

„Gaius Marcus, ich kenne dich als besonnenen Redner, als behutsamen Richter. Was lässt dich so über den Frankenfürsten sprechen?“

Marcellus kann ein leises Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Dem alten Freund gegenüber will er höflich bleiben, aber er fühlt sich sehr unwohl dabei. Auch Julianus spürt die innere Anspannung seines Vaters.

„Nun, werter Marcellus, was ich neulich in Lutetia erleben musste, hätte ich gerne nicht erlebt. Chlothar hat Brunichild, die alte Burgunderkönigin,die seine Gefangene war, öffentlich foltern und vierteilen lassen.“

Das Schweigen, das nun folgt, will gar nicht enden. Den Männern scheint es so, als krieche die feindliche Kälte des Winters wie eine Verbündete dieses Tieres in diesen stillen Raum, um auch ihnen zu schaden.

„Die Fußbodenheizung braucht neue Nahrung“, flüstert Philippus. Alle schauen ihn erstaunt an, als erwachten sie gerade aus einem Albtraum.

„Ich werde veranlassen, dass Holz nachgelegt wird“, sagt er und geht.

01 Mai

Leseprobe – Historischer Roman II Blatt # 110

Der getaufte Schlächter von Albträumen geplagt.

Schweißgebadet reißt es ihn aus dem Schlaf. Fratzen hingen ihm ins Gesicht, grässliches Kichern tropfte ihnen aus den zahnlosen Mäulern. Glitschige Knöchel griffen nach seinem Hals, der Gestank war unausstehlich. Er musste sich dabei zusehen, wie er erbärmlich erstickte. Gehängte lachten ihn höhnisch aus.

„Gräääh…!“ Ein gurgelnder Ton steckt ihm in der Kehle fest. Das Bärenfell drückt ihn nieder. Er stößt es zornig von sich. Wieder versucht er zu rufen. Tonlos. Endlich öffnet sich die Tür zu seinem düsteren und kalten Schlafraum. Sie haben es also doch gehört.

„Holt mir den Bischof, sofort!“ zischt er den verstörten Mann an. Der fährt herum und stolpert aus dem dunklen Gemach nach draußen. Kaum hat Chlotar die Augen geschlossen, da sind sie wieder da. Jetzt zwar unscharf und verzerrt, aber dafür sind es mehr geworden. Sie grölen. Tanzen, hopsen, kreischen. Er reißt die Augen auf. Er wälzt sich von seinem Lager, rappelt sich hoch, zieht sich das schwere Bärenfell um den zitternden Leib. Wo bleibt der denn? Ich darf ihm nicht zeigen, wie ich mich fühle. Es würde ihn freuen. Dieser Mistkerl von Bischof. Der neue Gott soll jetzt mal zeigen, was er kann.

Da hört er im Vorraum Schritte, Geflüster.

„Wo bleibt er denn?“ schreit er wütend los.

Na endlich! Da kommt er ja. Arnulf. Er wirkt unsicher, fahrig. Er hat wohl Angst, denkt der König. Gut so. Soll er auch. Er atmet tief ein, streckt sich, setzt eine wild entschlossene Miene auf und faucht Arnulf an:

„Hast du nicht gesagt, unser neuer Gott könne uns auch unsere Träume deuten?“

Der Bischof versteht nicht, was die Frage soll. Ist das eine Falle?

„Er ist allmächtig, er ist…“ Der König unterbricht den Bischof schroff:

„Ja, ja. Ich kann es nicht mehr hören. Unsere alten Götter sind genauso mächtig. Oder? Aber, was ist mit den Träumen? Schickt er sie uns oder ist es Teufelswerk?“

Arnulf zögert mit der Antwort. Er weiß einfach nicht, wo das hinführen soll. Hat der König schlecht geträumt?

„Herr, Christus ist unser Retter. In jeder Not.“

Chlotar tobt innerlich. Das tut ihm gut, denn es vertreibt die üblen Bilder der Nacht. Zugleich wird ihm klar, dass der Bischof Angst vor ihm hat. Das tut ihm so richtig gut. Jetzt gelingt ihm sogar schon wieder ein Grinsen.

„Geh jetzt wieder. Später können wir das Gespräch fortsetzen. Deine Antworten stellen mich nicht zufrieden. Denk darüber nach, Arnulf!“

Mit einer kleinen Geste gibt er dem Bischof zu verstehen zu gehen. Der verbeugt sich unsicher und huscht hinaus.

Wieder allein mit seinen schlimmen Bildern der Nacht weiß der König nicht, wem er sich anvertrauen könnte. Dem Bischof jedenfalls nicht.

09 Apr

Leseprobe – Historischer Roman II Blatt # 109

Somythalls Träume

Während in Lutetia Pippa und Pippin Zeugen eines bestialischen Geschehens sein müssen, hat Duc Rochwyn Somythall längst wieder nach Luxovium zurückbringen lassen. Ihre Amme, Bruniguld, wird von den frommen Frauen gepflegt. Sie ist außer Lebensgefahr. Somythall lässt sich wieder in der feucht warmen Luft der alten Therme in ihre Tagträume treiben. Insgeheim wünscht sie sich, dass die alte Burgunderin, Brunichild,doch auch Atawima anbeten möge, wie sie. Eigenartig, denkt sie, warum muss ich jetzt gerade an sie denken. Später, wenn sie hört, was in Lutetia geschah, als sie im warmen Wasser an die Burgunderin denken musste, ist sie sich ganz sicher, dass sie Schwestern sind, dass sie die gleiche Botschaft weiter geben wollen. Dann rutscht sie in den Schlaf, weich gebetet auf einer hölzernen Liege. Und bald wandert sie in einem dämmrigen Traum in einen lichten Wald. Eichen und Buchen stehen friedlich und stumm beieinander. Sie tuscheln leise. Denn in einer kleinen Laubhütte beherbergen sie gerade ein stolzes Paar. Sie sind fast schon ein ganzes Jahr hier allein in diesem endlosen Wald. Sie mussten fliehen, denn ihre heimliche Liebe war entdeckt worden. Jetzt gerade schaut sie selig auf sein schlafendes Gesicht. Der Geliebte träumt und träumt. Sein langes, blondes Haar hat sich zu beiden Seiten seines Gesichts hingewellt wie ein goldenes Vlies. Mit der Macht all ihrer liebenden Gefühle überschüttet sie ihn in einem fort. Hier müssen sie keine Angst um sich und ihre Liebe haben. Hier sind sie zwar alleine, aber frei. Somythall spricht sie an:

„Sag mir, Liebe, wer seid ihr und warum weilt ihr hier? Kennen wir uns nicht?“

Da dreht sich die Liebende erstaunt um, nickt und bewegt dann ihre Lippen, aber Somythall kann sie nicht hören. „Bitte, sprich etwas lauter, bitte!“ fleht sie die Fremde neben dem schlafenden Mann an. Jetzt sieht sie auch, dass ein wehmütiger Zug auf seinem Gesicht ruht. Träumt er gerade einen traurigen Traum? Ein paar Sonnenstrahlen finden sogar den Weg herunter bis in die kleine Hütte. Lichtflecke zittern auf ihren Gesichtern. Da weiß Somythall, dass sie die beiden nicht stören soll. Sie zieht sich vorsichtig zurück, winkt. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht winkt auch die fremde Frau ihr zurück. Der Wald. Der Wald. Wie komme ich hier wieder heraus? Somythall lehnt sich erschöpft an einen moosbewachsenen Stamm. Vor ihr eine Lichtung. Aber was ist mit der Sonne geschehen? Sie scheint nicht mehr. Eher wirkt das Licht wie Mondlicht, fahl, kalt, fremd. Und da kommt eine Frauengestalt, tritt in den matten Schein. Sie geht gebeugt, ein langer Umhang schützt ihren Leib, ihre schütteren Haare fallen über ihr Gesicht, dennoch glaubt Somythall jetzt erkennen zu können, wer es ist. Die Burgunderin. Jetzt winkt sie ihr müde zu. Was will sie sagen? Mit Herzschmerz wacht Somythall unversehens auf, Herzklopfen. Tränen laufen ihr über die Wangen. Was war das? „Ich muss es Bruniguld erzählen.“