18 Jan

Leseprobe – Historischer Roman Teil II – Blatt 103

Somythall auf dem Weg zur Göttin Atawima

Dünne Rauchsäulen stehen über Luxovium an diesem nebligen Wintermorgen. Zwei Raben zanken sich schon um einen schmutzigen Rest Brot an einer der vielen, dampfenden, warmen Quellen. Fliegen auf, stürzen nieder, immer wieder. Kreischen wollüstig durch die Stille dieses Morgens. Licht wächst langsam in den Tag, der eigentlich noch schlafen wollte. Ein Eichhörnchen buddelt zappelnd im frostigen Boden am Waldrand. Wo hatte ich denn nur die Nuss vergraben, zischt es dabei unwirsch vor sich hin? Wo nur, wo?

Jetzt kommt auch Bewegung im Steinhaus des Abtes auf: In der großen Küche schürt Pater Maurus das Feuer, legt trockene Scheite nach und hängt den großen Wassertopf an den Haken über den lustig tänzelnden Flämmchen. Rochwyn ist schon längst auf den Beinen, gibt gerade seinen Leuten letzte Anweisungen für die Abreise: Sänfte holen, Pferde satteln, die Packesel mit Essen und Wasserschläuchen beladen. Auch Somythall ist heute früh aufgewacht. Ihr morgentliches Gespräch mit der großen Göttin hat sie schon geführt. Sie ist in warme Gewänder gehüllt. Ihre Amme hat ihr beim Ankleiden geholfen. Die Schwangerschaft macht alles etwas beschwerlicher als sonst. Aber sie fährt gerne mit den Händen über den weiter wachsenden Bauch, spricht mit ihrem strampelnden Kind und atmet langsam und tief durch dabei. Immer wieder.

Das Wetter könnte zwar besser sein, aber zumindest ist es halbwegs trocken geblieben über Nacht.“ Abt Ambrosius möchte wohl gutes Wetter machen bei Rochwyn. Der hört aber gar nicht zu, trinkt hastig die warme Milch, die auf dem langen Tisch in mehrere Becher ausgeschenkt ist, wischt sich schmatzend den Mund ab und verlässt den Saal. Die anderen Mönchen sitzen schweigend an ihren Plätzen, mampfen Brot und versuchen nichts zu verpassen. Denn gerade tragen Rochwyns Leute säckeweise Sachen aus dem Haus. Wo wollen die denn hin? Weiß Abt Bernardus bescheid? Und warum macht sich Abt Ambrosius gerade so wichtig? Und diese schwangere Frau. Sollte die nicht besser im Warmen bleiben, in ihrem Zustand? Gestützt von Bruniguld, der Amme, verlässt die junge Frau gerade die kalte Vorhalle. Dann wird es wieder still im Kloster. Aber man hofft, dass am Abend im Kapitelsaal ihr Abt ausführlich berichten wird. Hoffentlich.

Ohne viel Lärm und Worte setzt sich der Trupp langsam in Bewegung. Rochwyn hatte seinen Leuten noch einmal eingeschärft, ja vorsichtig die Sänfte zu tragen. Vorne die Reiter, in der Mitte Somythall in der Sänfte – die Teppiche an den Seiten sind heruntergerollt, so dass niemand sehen kann, wer da getragen wird – und hinten Rochwyn als Nachhut mit den Packeseln und vier Bogenschützen.

Als sie am Stadtbrunnen von Luxovium vorbei kommen, tuscheln da bereits die Mädchen aufgeregt miteinander: Könnte das vielleicht Brunichild sein? Bei der weiß man ja nie, wo sie plötzlich auftaucht, die alte Zauberin und Königin. Vielleicht hat sie dem Abt eins ausgewischt, weil der Columban entwischen ließ, vielleicht…

Somythall lässt sich langsam in den Schlaf wiegen. Die Sänftenträger geben sich wirklich größte Mühe, ihr ihre Reise so bequem wie möglich zu machen. Und Bruniguld läuft nebenher, als wäre sie ein junges Reh. Sie ist so froh, dass sie nun zu Atawima reisen. Die junge Frau aus Hibernia wird dort göttliche Hilfe erhalten, da ist sie sich ganz sicher.

Und als nun die Leute in Luxovium ihr Tagewerk beginnen, ist die Reisegruppe schon im nahen Buchenwald verschwunden. Ihre Schritte hallen zwischen den hohen Stämmen als würde man behutsam Schwerter scheren. Nebelschwaden schweben unschlüssig wie traurige Fahnen im fahlen Licht, das durch die entblätterten Baumkronen kalt glänzend herabfällt. Die warme Atemluft der Tiere strömt wie silberne Fäden aus den Nüstern. Wer redet da mit wem? Sind es die alten Bäume, die da freundlich grüßen oder ist es das Farn, das da wedelnd flüstert? Somythall hebt im Halbschlaf ein bisschen den Vorhang zur Seite. Sie sieht ein Eichhörnchen über die dünnen Äste laufen. Was für eine Leichtigkeit! Lachend fliegen ihre Gedanken zur Göttin hinauf: Atawima, ich komme. Du kennst mich. Ich bin so voller Freude. Wir kennen die fast schon vergessene Botschaft vom Glück. Und wieder verfolgt sie wohlgefällig den Tanz des Eichhörnchens zwischen der Leere und den helfenden Bäumen. Als würden sie ihr zulächeln. Auch euch grüße ich von Herzen, flüstert Somythall jetzt ganz leise. Ihr habt uns auf unserer Reise von meiner Heimat, Hibernia, bis hierhin still und schützend begleitet. Ihr seid verlässliche Freunde. Danke. Und es scheint ihr jetzt so, als würden die alten Wesen leicht schwankend schmunzeln und so etwas raunen wie: Ach, das machen wir doch gerne, wir kennen euch doch, wir helfen doch jedem. Das ist unsere Freude am Leben, am Werden und Vergehen. Sind wir nicht alle verwandt miteinander? „Somythall? Ist das nicht ein wunderbarer Morgen hier im Wald?“ Es ist Bruniguld, die neben der Sänfte her läuft und zu ihr hinein schaut. Somythall nickt. Kann ihre Amme Gedanken lesen? „Ich könnte singen vor Glück, Bruniguld!“ erwidert Somythall fast jauchzend. Und das mitten im Winter, auf beschwerlicher Reise. Bruniguld kann kaum Schritt halten mit den Sänftenträgern. Aber das Ziel ihrer Reise macht sie so stark, dass sie einfach tapfer weiter neben der Sänfte her läuft. Somythalls Blick schweift wieder zurück zu den Nebelschwaden, die nun dünner und dünner zu werden scheinen, sich auflösen. Da sieht sie zwei Rehe in großen weiten Sprüngen seitlich von dem raschelnden Trupp an ihr vorbei hasten. Dann sind sie außerhalb ihres Blickfeldes. Schade. Gerade wollte ich sie noch grüßen, die zwei. Dann sieht sie die beiden wieder. Jetzt stehen sie bewegungslos da zwischen den Bäumen, schauen direkt zu ihr hin und grüßen freundlich zurück.Ein Lächeln wärmt ihr das Gesicht: Vielleicht hat die Göttin sie als freundliche Begrüßung ihnen entgegen geschickt.

10 Jan

Historischer Roman (Leseprobe – Blatt 102)

Pippa und Pippin beten zu Mamiwata

Ich will aber nicht“. Pippin steht vor Pippa und weigert sich mitzukommen.

Hör mal, du Träumer, wenn wir nicht die Unterstützung unserer Geister haben, wird dein Plan sicher scheitern.“

Streitend stehen sie im kalten Wintermorgen vor Pippins Verschlag. Der Himmel grau und tief, als wären sie schon in der Unterwelt. Hunde trotten achtlos an ihnen vorbei. Sie sind auf Nahrungssuche. Am Fluss Rauch von vielen Feuern, Fisch wird geräuchert oder gebraten. Der Geruch schmeichelt ihren Nasen, Pippa und Pippin frieren an Händen und Füßen. Ihre schmutzigen Kleider scheuern über die Haut und wärmen kaum.

Wenn wir nicht gleich los gehen, schaffen wir das heute nicht mehr. Also, kommst du mit oder nicht?“

Pippa ist es leid. Sie geht auch allein. Schließlich gehört sie mit zu den Tänzerinnen, die viermal im Jahr Mamiwata zu Ehren heimlich ein Fest feiern. Im ehemaligen Mithraskellerheiligtum. Pippin spürt es, er will keinen Streit mit den Geistern, also gibt er nach.

Glaub ja nicht, dass ich wegen dir mitkomme, Pippa. Mit geht es um die Unterstützung der alten Götter.“

Pippa lacht hämisch.

Ach ja, hast du dich nicht erst neulich taufen lassen, du Christ?“

Pippin tobt. Pippa versteht es einfach nicht. Er hat großes vor, da darf er nicht zimperlich sein.

Du weißt genau, warum ich getauft wurde. Ich hatte keine Möglichkeit, mich dem zu verweigern. Die Gunst des Bischofs wäre weg gewesen und ich hätte niemals den militärischen Segen für den Angriff auf die römische Villa bekommen, das weißt du doch. Also spiel dich hier nicht so auf.“

Pippa ist schon los gegangen, sie dreht sich nur kurz um und ruft ihm zu:

Ja, ja. Demnächst erzählst du mir noch, die alte Brunichild habe dich mit einem Zauber belegt, damit du ihr hilfst…“

Pippin zuckt zusammen. Brunichild? Wie kommt Pippa jetzt auf Brunichild?

Halt den Mund! Ich komme ja mit, aber nur um die Götter…“

Zu belügen! Wie vielen willst du denn noch opfern, bevor du los legst im Frühling zu deinem Kriegszug?“

Pippin rennt zu ihr hin, hält ihr von hinten den Mund zu und zischt in ihrem Rücken: „Bist du wahnsinnig? Wenn dich jemand hört. Mein Auftrag ist streng geheim. Der junge König hat mich zu absolutem Stillschweigen verpflichtet, selbst der Bischof darf es nicht wissen.“

Ja, ja. Hab ja verstanden. Deshalb musst du mir aber nicht gleich den Atem nehmen, du Wüstling!“

Pippin lässt von ihr ab. Aber er hat das Gefühl, jetzt wieder die Oberhand zu haben.

So laufen sie am Fluss entlang, lassen Lutetia hinter sich. Sie begegnen nur wenigen Menschen. Man geht sich aus dem Weg, schaut weg, wenn man sich trifft dieser Tage. Keiner traut mehr dem anderen. Ist es ein Spitzel des Königs oder des Bischofs oder Brunichilds oder der Mönche, die überall für den Bau ihrer Basilika zu Ehren des heiligen Dionysios betteln gehen? Pippa reicht Pippin ein Stück Brot, dass sie mitgenommen hatte.

Wir kommen gut voran. Hinter der nächsten Flussbiegung müsste bereits die Abzweigung kommen zum Hain und der Höhle.“

Pippin isst schweigend das harte Brot, schluckt, kaut und hustet vor sich hin. Er hat keine Lust etwas zu sagen. Pippa hat meistens den längeren Atem. Also lieber schweigen. Ich mache sowieso, was ich will, denkt er trotzig. Inzwischen sind sie an einem kleinen Bach entlang gestolpert, der nicht weit von hier in die Sequana mündet. Sie folgen einem Trampelpfad, der sie aus dem lichten Buchenwald zu einer Lichtung bringt.

Auf der anderen Seite, da vorne, da muss es sein“, flüstert Pippa. Pippin nickt. Er war hier noch nie. Natürlich hat er von seiner Mutter früher von den Schlangenbeschwörerin, von Mamiwata, gehört. Aber er hatte sie nie gefragt, was es damit auf sich hatte.

Später, als sie in der eiskalten Höhle stehen, wird ihm erst klar, dass Pippa sich hier auszukennen scheint. Ohne zu zögern geht sie voran, obwohl er kaum erkennen kann, wo sie gerade sind. Hinter einer Biegung kann er plötzlich einen schwachen Lichtschimmer wahrnehmen.

Da vorne ist der Tanzplatz mit der Opferplatte, direkt am schwarzen Wasser“, hört er Pippa flüstern. Wo kommt das Licht nur her, denkt er.

Pippin ist sprachlos. Unversehens hat ihn ein geheimnisvolles Gefühl übermannt. Eigenartiger Geruch steigt ihm in die Nase, glitzernde Wassertropfen fallen von der Höhlendecke ins schwarze Wasser. Die kleinen Wellenkreise schimmern, als wären es Lippen die geheime Botschaften lautlos weitergeben. Dickes Geäst hängt von oben herab, als wären es Schlangen. Und dann ist er völlig starr vor Staunen. Pippa beginnt zu tanzen, sie streckt ihre Arme weit nach oben, lässt sie langsam wieder herabgleiten, dreht sich dabei auf der Stelle und schwankt mit ihrem schlanken Körper hin und her, als wäre sie eine Schlangenbeschwörerin. Gleichzeitig erregt ihn das Bild über die Maßen. Sein Atem geht schnell, sein Glied schwillt an, seine Augen glotzen übergroß auf diesen Zaubertanz vor schwarzem Wasser. Jetzt zieht sie ihn zu sich, zieht ihn herunter auf die Knie. Er spürt nichts von dem nasskalten Stein, von der Härte, die ihm da entgegen kommt. Er glaubt in einem Traum zu sein, zu fliegen, zu tanzen, ja, sogar zu singen. Pippa umarmt ihn fest dabei. Zusammen schwanken sie nun hin und her, summend, mit geschlossenen Augen.

Mamiwata, Mamiwata, sei uns gewogen, wir sind deine Diener. Mamiwata“. Pippa spricht das Gebet leise vor, immer wieder, bis auch Pippin einstimmt. Niemals hätte er gedacht, dass so etwas mit ihm passieren könnte. Niemals. Seine Lippen formen nur noch betend ihren Namen: „Mamiwata, Mamiwata.“

02 Jan

Blatt 101 – Historischer Roman (Leseprobe)

Die geheimnisvolle Geschichte der Amme

Während die beiden Äbte im Kloster des Columbans misstrauisch einander umkreisen, immer in der Hoffnung, dass der andere sich verrät, liegt Somythall im Halbschlaf und hochschwanger halb im warmen Wasser der römischen Therme und träumt sich in das Bild des Dionysos, der scheinbar wohlwollend auf sie hinabschaut. Neben ihr kniet Bruniguld, ihre Amme. Sie knetet in gleichbleibender Bewegung ihrer Hände und schmalen Finger Arme und Nacken Somythalls.

Ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen, mein Kind“, flüstert Bruniguld.

Somythall schließt genüsslich die Augen. Sie schwitzt angenehm, denkt immerzu an das Kind, das da in ihr wächst.

Willst du es nicht hören?“

Was?“

Das Geheimnis.“

Wenn Bruniguld wüsste, was ich für Geheimnisse erzählen könnte. Somythall denkt an ihre Großmutter, an Brighid, im fernen Louernia. Voegrun. Ein Stich fährt ihr durch den Leib. Voegrun Coemgen. Ob er an sie denkt, der schöne? Sie würde gerne Bruniguld von Atawima erzählen, der großen Göttin. Da kommt ihr aber Brunigulds Stimme dazwischen:

Gar nicht weit von hier – höchstens zwei oder drei Tagesreisen der untergehenden Sonne entgegen – hat sie ihren Tempel, weit über tausend Jahre wohnt sie dort schon.“

Somythall fühlt einen leichten Schauer durch ihren warmen Leib gehen. Von wem redet Bruniguld da? Als sie jetzt wieder die Augen einen Spalt weit öffnet und in das Lächeln des Dionysos sinkt, fährt ihr die Erinnerung an ihre Entführung durch den Kopf. Der Schreck ist fast so groß wie damals, als es passierte, als Rochwyn mit seinen Leuten auf die Jagd gegangen waren, als…

Atawima. Sie heißt Atawima. Seit über tausend Jahren geben ihre Priesterinnen dort ihre fast schon vergessene Botschaft vom Glück weiter. Hast du nie davon gehört?“

Somythall kann es nicht fassen. Hatte Bruniguld gerade von der fast schon vergessenen Botschaft vom Glück geflüstert?

Atathima?“ Somythall tut so, als habe sie diesen Namen noch nie gehört.

Nein, Atawima. Du hörst mir ja gar nicht zu.“

Bruniguld ist verunsichert. Sie war sich ganz sicher, dass Somythall bescheid weiß. Sie war sich ganz sicher. Und jetzt kennt sie nicht einmal ihren Namen! Sollte ich mich so getäuscht haben? Bruniguld schweigt, knetet Somythalls Arme und verliert sich im großen Mosaik, auf dem zahhllose Wassertropfen glänzen oder in eigenartigen Linien an der Wand hinabrutschen wie erschöpfte Bergsteiger. Wasserdampf wabert zwischen den beiden Frauen und den alten goldglänzenden Figuren an der Wand.

Ob ich vor der Geburt dort noch hinreisen sollte?“

Da geht es wie ein Freudenschrei durch Brunigulds Körper: Ich habe mich also doch nicht getäuscht, sie weiß, wovon ich rede.

Es hat seit Tagen nicht mehr geregnet oder geschneit. Die Wege scheinen begehbar zu sein. Du könntest dich ja in deiner Sänfte tragen lassen.“

Eine innere Stimme sagt Somythall, dass sie gehen soll, dass sie gerufen wird, dass die große Göttin ihre Hand über sie hält, dass es auch für die Geburt gut wäre.

Rochwyn sollte aber mitkommen. Er würde mich sonst sicher nicht gehen lassen.“

Bruniguld hätte eigentlich gerne protestiert, aber da ist gar kein Drängen in ihr, das auszudrücken. Wie kann das sein, fragt sie sich. Wie kann Atawima einverstanden sein?

Rochwyns Geschlecht – du weißt, er und seine Familie stammen aus Arelatum – ist den alten Göttern stets treu geblieben. Die Christen findet er verlogen und herrschsüchtig, auch die Arianer, die Westgoten. Sein Vater hat sogar enge Beziehungen zu Guntram, dem König der Burgunder, gehabt, er war sogar der Taufpate von Theuderich. Du weißt doch, dass Brunichild dessen Vormundschaft inne hat oder?“

Brunichild? Du solltest nicht einmal ihren Namen ausprechen! Sie ist eine Zauberin, die Königin von ganz Gallien werden möchte. Nenne nicht ihren Namen, nie!“

Somythall hält den Atem an. Bruniguld hatte ihr fast weh getan, als sie den Namen der fränkischen Königin aussprach. Warum diese Ablehnung? Vielleicht könnte auch Brunichild für die fast schon vergessene Botschaft vom Glück gewonnen werden, vielleicht arbeitet sie sogar insgeheim auf Seiten der großen Göttin. Wie könnte sie auch sonst so mächtig und von den Männern gefürchtet sein, denkt Somythall. Aber sie schweigt. Bruniguld wertet ihr Schweigen als Einverständnis. Ihre knetenden Finger lösen sich ein bisschen aus ihrem festen Zugriff. Sie seufzt wie eine Alte, die ihr Enkelkind endlich überzeugt hat, ihr zu gehorchen.

Somythall schließt ihre Augen wieder ganz. Auch sie seufzt und atmet tief ein und aus.

So wird ja auch ihr Warten auf die Niederkunft verkürzt, denkt sie erleichtert. Und zu Atawima wollte sie eigentlich schon auf der Hinreise. Doch da war die Entführung dazwischen gekommen. Und wie aus heiterstem Wintersonnenhimmel fällt ihr Julianus ein, die Villa, Marcellus, Philippos. Warum gerade jetzt? Sie lässt sich einfach wohlig in einen Tagtraum fallen: Als sie die Vorhänge ihrer Sänfte zurückschlägt, um einen ersten Blick auf den Tempel von Atawima zu werfen, steht mit strahlendem Lächeln im Gesicht Julianus vor ihr, verbeugt sich tief und sagt dann in gepflegtem Latein:

Herrin, ich begrüße euch hier an diesem heiligen Ort. Ich soll euch Grüße ausrichten von unserer Schutzgöttin, von Diana.“