31 Dez.

Autobiographisches – Leseprobe zum Anfang seines Lebens

D e z e m b e r 2022 / J a n u a r 2023

In der lebendigen Sanduhr lautlosem Fließen

– fast vorzeitig ertrunken

I

Halbhoher Holzzaun schnürt den Garten ein, zwei Kirschbäume kümmert

es wenig, dass im Sand zu ihren Füßen ein kleiner Wicht sich wichtig tut.

Sind wohl erste Übungen im Mienenspiel, die er da probiert, noch ungelenk.

Ein Zitteraal wäre dagegen sicher ein König im kleinen Schauspielhaus des

hageren Papiertigers, der sich selbst beim Gesang der wohlwollenden Amsel

nicht wohl zu fühlen wagt. Dass seine kleinen Füßchen Schutz im warmen

weichen Sand zu finden suchen, merkt er nicht einmal, der stumme

Träumer, er. Für nichts weiß er die Namen, für nichts ist ihm das

blendende Flimmern gut, wenn doch nur die Stunden schneller gingen!

So hockt er – wie ein Zwerg-Indianer – grummelnd da und tut so,

als wäre all das so einfach und ganz klar. Man muss ihm nichts erklären,

er hört sowie so nicht zu. Auch wenn auf der Straße nebenan manchmal

Kinder lachen, macht er weiter sein gespieltes, ernstes Gesicht. Die Angst

hält ihn bei Laune und Angst haben tun alle andern sicher nicht.

27 Nov.

Leseprobe – Das Dekameron neu erzählt – 2022 Blatt # 68

Klipenias Tanz im blendenden Feuerkranz.

Zu glitzerndem Staub zerfallen altvertraute Muster. Abendluft erfrischt bei jedem Atemzug die jungen Leute. Traumwandlerisch nähern sie sich einander. Wer gibt da wem die zitternde Hand? Was für ein Beben geht da durch die schwankenden Leiber? Als wären noch Reste des Abendsonnenlichts im Rundtempel der Eos schwebend geblieben. Die Augen helfen ihnen sich zu wundern. Eine Tänzerin mittendrin. Nackte Arme greifen in einen endlosen Sternenhimmel. Fingerspitzen winken dem Dunkel entgegen. Und der rotgewandete Körper windet sich wohlig inmitten des Runds. Es ist wohl Klipenia, die große Zauberin. Lordum spürt Neifiles Atem an seiner Schulter. Lächelt die Tänzerin ihnen entgegen? Als sie langsam zu Boden sinken, empfangen weiche Kissen sie. Er hört, wie Lukimeeló nicht weit von ihnen entfernt, leise kichert. Lordum kann im Augenwinkel sehen, wie sie winkt. Wem zu?

Jetzt spürt er Neifiles Hand an seinem Hals. Ihr Streicheln bringt ihn um seinen Verstand. Gerne legt er ihn zur Seite. Alles, was gilt, ist jetzt in seinem Blick. Kleiderlos bald wärmen sie sich gern mit sich. Seine Zunge tanzt längst an einem samten weichen Ort. Oder bildet er sich das nur ein? Weil der stumme Tanz der schönen Zauberin ihm hilft, gemächlich aus der Zeit zu fallen. Langsam stürzend tief hinab, baden sie jetzt beide im Verschwenden. Ihr lockendes Lachen verbindet zumal, ein ferner Seufzer streicht fast lautlos an ihnen vorbei. Wer war es denn? Oder sind sie es selbst, die ihren eigenen Tönen neu begegnen. Wie sie weich aus ihnen strömen, als wären es wärmende Wasserfälle des Glücks, der Lebensfreude.

Ob da gerade nicht sogar die Nachtigall noch einmal singt? Ist es ihr Wunsch, ist es wahr? Da ist keiner mehr in diesem Augenblick, der sich nicht dem Tanz Klipenias ganz hinzugeben wünscht. Keiner.

Freundlich deckt die Dunkelheit ihren schützenden Schleier über sie alle hin. Schamlos sinken sie in feinen Schlaf. Für einen beglückenden Augenblick nur. Ihnen aber scheint er erquickend lange zu dauern. Denn wenn sie dann wieder die so wohltuend müden Augen öffnen, nach und nach, ist die Wärme ihrer Körper ihnen ein wunderbares Kleid. Kostbar schimmernd in der allmählich mondhellen Nacht.

Und als Lordum nun Neifile neben sich wiedererkennt, sieht er noch gerade, wie die Göttin aus dem Tempelrund tritt, ihm zuzuwinken scheint und schon verschwunden ist.

01 Nov.

AbB – „Neue Serie“ ab November 2022 – Leseprobe

„In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Weltgeschichte‘ : aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben. – So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt.“ (Friedrich Nietzsche)

Der kleine Floh – so scheint es ihm aus seiner Altersperspektive gesehen – hatte von Anfang an ein großes Misstrauen gegen diese „hochmütigen“ Erwachsenen, die für alles und jedes nicht nur einen fremd klingenden Begriff, sondern auch wortreiche Erklärungen hatten, die sie unablässig im Brustton höchster Sinngebung hinaus posaunten. Er aber hielt stumm und mit finsterer Miene dagegen. Gepaart mit der Angst, die ihn schon im Mutterleib als Dauergast nervte, waren seine Ausgangsbedingungen wahrlich bescheiden zu nennen. Ratlos stand er am Rande und konnte sich nur immer wieder wundern, wie selbstbewusst und arrogant die Erwachsenen die Welt im Griff zu haben schienen. Und da er völlig allein zu sein schien mit seiner Ratlosigkeit, hielt er sich lange für völlig fehl am Platz. Alle sahen wie Sieger aus, nur er war der große Verlierer. Das fand er ziemlich ungerecht, was ihn nur noch wütender machte. Aber auch mit seiner Wut war er völlig allein. Also profiliert er sich als der düstere Schweiger, der das Gefühl hat, einen Film anzuschauen, in dem jeder eine Rolle spielt und er nur Zaungast ist. Doch er traut ihnen nicht über den Weg. Im Grunde hält er sie alle für Bluffer, Lügner, Artisten in der Zirkuskuppel ratlos, aber es ist ihm noch nicht bewusst, es fehlen ihm die sprachlichen Mittel – erst sehr viel später wird er sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen versuchen: Er bemächtigt sich ihrer Sprachspiele und wendet sie lustvoll gegen sie. Jetzt, wo er als alter Floh erneut Nietzsche liest, (damals in Bonn und auch später in Freiburg hatte er nichts verstanden beim Lesen von Nietzsche-Texten, weil er sich auch dem bewussten Lesen verweigerte) – kann er nur staunen, wie verwandt sie beide im Denken sind: Nur geht er jetzt noch einen Schritt weiter als Nietzsche, lässt sich auf kein Spiel mit der Sprache mehr ein, sondern zertrümmert mit Wonne all die Wortklimmzüge der kulturellen Evolution, um da zu sich selbst zurückzukehren, wo das Wesen, die Natur des Lebens, pocht: im sinnlichen Sein körperlicher Vereinigung. Die Verbote, Tabus und Angstszenarien, die mittels der Patrixomanie von Geburt an allen gegen den eigenen Trieb anerzogen und ordentlich eingeübt werden, sind die schmerzende Zwangsjacke, aus der man sich befreien muss, um schwerelos im Wesentlichen anzukommen. Doch es scheint, dass dem homo sapiens die Zerstörung der Natur und seiner selbst lieber ist, als eingestehen zu müssen, dass er der dümmliche Verursacher dieser Sackgassenparade zum eigenen Untergang ist.