06 Aug.

AbB – Autobiographisches – Neue Versuche # 4

Erneute Annäherungen entlang der Lektüre von „DIE WAHRHEIT ÜBER EVA“.

Seit einiger Zeit liest der Floh in diesem Buch, das ihm Sybil und Martin zum Geburtstag geschenkt hatten. Es fällt auf fruchtbaren Boden, denn die Ungleichheit von Frauen und Männern ist auch sein großes Thema – nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner eigenen Biografie.

Dass dabei die Genesis als das vorgeführt wird, was sie ist: nämlich nicht mehr und nicht weniger als das Weiterfortschreiben eines alten Narrativs aus Mesopotamien. Somit bestätigt sich für den Floh der Gedanke, dass Europa sich fluten ließ von einer Bilderwelt, die ihr schon immer fremd war. Das ist allerdings in den letzten zweitausend Jahren gründlich in Vergessenheit geraten – die Sprache und das Christentum haben da ganze Arbeit geleistet.

Sein zweiter historischer Roman und die Texte, die er in seinem blog „Europa – Fortsetzung der alten Geschichte“ erfindet, spiegeln dieses Gegensteuern qua verwandter, aber eben abgewandelter Bilder wider. Das erfrischt ihn und lässt den Atem leichter gehen. Zu lange schon lastet auf der Brust des alten Europas der Alb, dass Männer, dass Gewalt und Leid die richtige Melange für jeden Lebensentwurf eines selbstbewussten Europäers zu sein habe. Lebensfreude, Solidarität der Geschlechter und Sinnengenuss kommen darin nur vor als materielle Belohnungssysteme: kalt, leblos und feindlich. Und so versklavte das Eigentum – auch eine Erfindung Mesopotamiens – nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer, wenn auch als scheinbare Gewinner im falschen Leben des homo sapiens.

Die Tage seit der schlimmen Flut im Ahrtal und der Nachbarschaft, in der fast 200 Menschen ertranken, zeigen nun überdeutlich dem satten Bundesbürger, dass Sachwerte kein sicherer Boden für ein gelingendes Leben sein können, sondern nur die solidarische und gefühlvolle Hilfe aller für alle in dieser Not.

Es bedarf wohl immer erst großer Katastrophen, um dem homo sapiens ungeschminkt vor Augen zu führen, dass er sich seit langem schon auf einem versteinerten Holzweg befindet – muss man wirklich erst wieder an die Generationen nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg oder nach dem Dreissigjährigen Krieg, dem Siebenjährigen Krieg
und den Napoleonischen Kriegen erinnern? – , um zu verstehen, dass nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer und inzwischen der gesamte ächzende Globus diejenigen sind, die eine Rechnung bezahlen müssen, die sie selbst, von wissenschaftlichem Furor begleitet, inszenierten – bis heute?

Der Gott der Neuzeit – wissenschaftliche Rationalität als d i e Zauberformel für scheinbare Objektivität, die es in Wirklichkeit aber gar nicht gibt – treibt seine Geschöpfe vor sich her, die wie Lemminge dem Abgrund entgegen rasen.

Gerne schreit er sein kleines „Halt!“ mit seinen Texten und seinem eigenen Lebensentwurf in die Welt. Es ist sein kleiner Beitrag – wie ein Kieselstein möge er Wellen ziehen – und viele ähnliche Kieselsteine bringen vielleicht dann auch ein größeres „Halt!“ in diese um Einhalt flehende Welt…

14 Juni

AbB Erneute Annäherungen # 3

Wider die Natur schon so lange…

Ist es nicht eigenartig, wie hartnäckig wir Europäer an einer Denk- und Glaubensart festhalten, die nicht nur der eigenen ehemaligen religiösen und alltäglichen Welt widersprach, sondern auch dem natürlichen Gang von Werden und Vergehen zuwider läuft?

In der eigenen Biographie wird dem sich Erinnernden deutlich, wie sehr er von Anfang an misstrauisch dem schnellen Zugriff im logischen Denkgebäude für das Richtige und „offensichtlich“ Falsche gegenüber stand. Es blieb ihm lange ein ungeklärtes Geheimnis, wie sicher sich die Erwachsenen um ihn herum in ihrer Begriffswelt und den dazu gehörigen Schlussfolgerungen bewegten – immer mit einem Mienenspiel, das jedem Zweifler unmissverständlich zu verstehen gab: „Stell dich nicht so an, ist doch ganz einfach, sprich es mehrfach nach und schon stellt sich Verstehen ein, wie von selbst, logisch!“

Wie war es möglich, dass man den luftigen Bildern von einem unsichtbaren Jenseits mit einem unsichtbaren Gott (dreifach!) zu folgen bereit war, nachdem das Diesseits als Jammertal, Sündenpfuhl und Irrweg schlecht gemacht worden war?

Gut, schlecht entlohnte Legionäre, enttäuschte Veteranen und die vielen Sklaven und ihre Familien waren vielleicht bereit, an solch eine „späte Rettung und Belohnung im Jenseits“ glauben zu wollen, aber gleichzeitig die Natur als Bedrohung und Fremde zu verhöhnen, widerspricht doch dem Offensichtlichen.

Kleiner historischer Exkurs und Deutungsangebot:

Julian Apostata (360 -363) versuchte in kühnem Zugriff, dieses einseitige und misanthrope Glaubensangebot der jungen Christen und ihrer alten Bischöfe zurückzupfeifen: Es sollten wieder alle allen opfern dürfen, statt nur einem, der keine Götter neben sich duldete! Der Vielfalt in der Natur sollte wieder die Vielfalt der göttlichen Bilder entsprechen, mit der diese natürliche Vielfalt naturnah abgebildet schien. Aber das Glück war nicht auf seiner Seite. Er fiel bei einem Feldzug im Osten des römischen Reiches.

Aber schon zwei Jahre später – 365 – gab die Natur eine starke Antwort: die afrikanische Platte schob sich ruckartig weiter unter die eurasische und ein noch nie da gewesener Tsunami brauste im Mittelmeer von Westen nach Osten und riss tausende von Menschen in den Tod. Als wollte die Natur ein Zeichen geben: Ihr Erdlinge, ihr winzigen, verleugnet nicht eure Natur!

Zeit und Raum sind die Eckdaten von Werden und Vergehen. Darin hängt alles mit allem zusammen und nichts geht verloren, ja, im Gegenteil, es kehrt verwandelt zurück in neuer Form und überraschender Existenz. Das ist auch das Narrativ der östlichen Denker seit Jahrtausenden. Gerade erlebt auch der Osten so etwas wie eine Überfremdung mit einem Bildergebäude, das dem natürlichen und gewordenen Sein so sehr widerspricht. Es ist zwar nicht die Münchhausen-Geschichte vom „ewigen Leben nach dem Tod“ (Bethlehem lässt grüßen!), dafür aber die dialektische Täuschungs-Geschichte vom „materiellen Gewinn für alle beim gerechten Verteilen auf alle (Trier lässt grüßen!)“ – der Katholizismus hat seinen Ursprung im Osten; die Bilder sind fremde Bilder, die als die eigenen gebetsmühlenartig herbei gebetet werden. Der chinesische Sozialismus hat seinen Ursprung im Westen; die Bilder sind fremde Bilder, die als die eigenen gebetsmühlenartig herbei geredet werden. So taumelte man in die fremde Bilderwelt.

In beiden Irrgärten lässt sich gut träumen, andere abzuschlachten und eigene Leute mächtig werden zu lassen. Aber Frieden mit sich und der eigenen Natur lässt sich so nicht finden. Die Todesangst in der Pandemie lässt solche Irrgärten wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Kopfschüttelnd schaut die Natur diesem üblen Schauspiel zu. Dann zeigt sie den Probanden die gelb-rote Karte.

Und langsam, ganz langsam wagt sich der Erschrockene ans Überdenken altvertrauter Muster. So öffnet sich eine alte Tür nun wie neu. Vielleicht.

13 Mai

AbB – Erneute Annäherungen # 2

Apokrypher Schriftfund, 3. Jahrhundert nach europäischer Rechnung

Hat nicht Plato in seinem Symposion Sokrates die Priesterin Diotima über die Liebe dozieren lassen und war dieser Dialog seitdem nicht der Maßstab für die mit Lettern bekleidete und damit schamhaft verhüllte Bilderwelt der Geschlechtlichkeit ganz nur im Kopf beheimatet? Alles dem Ideal zu opfern, der Einbildung, dem leblosen und kalten Torso schöner Marmorkörper. Wo dieses Bild vom „gelungenen Lebensentwurf“ wie der kleine Junge bei Robert Musil, der aus seinem Fettgefängnis manchmal noch heraus zu winken scheint, gefangen sitzt seitdem wie Rapunzel im hohen Turme. Langes Haar erinnert noch an die Leiter zu Lebensfreude und Übermut samt wild wütigem Treiben.

Schon von klein auf werden die Wörter sorgsam sortiert nach erwünscht und unerwünscht. Gelehrig saugen es die Kleinen schon mit der Muttermilch auf. Da schmeckt es noch nach wärmendem Fleisch und flüssiger Lust nach mehr. Dann aber kommt das Selber Denken hinzu. Es baut sich gehorsam entlang des Gehörten die eigenen Luftschlösser, in denen die wahre Lust zu Hause sein soll. Je dünner die Luft, umso intensiver der Genuss, lautet das selbst erdachte Motto solcher Lebensfluchtpläne. Und wer sich diesem großen Bild nicht anzuschließen weiß, sieht sich verbannt in die Niederungen unmenschlicher Schwachheiten und erniedrigendem Versagen.

Dann begegnet er der Kunst – einer Welt, die ihn völlig verunsichert, denn nun soll wieder die Genauigkeit k e i n e Gewähr leisten für Lebensnähe und Wirklichkeit, nun soll das gelten, was das Kind gelernt hat zu verneinen: Das Vage, das Schillernde, das Bodenlose, das Verführerische.

Aber in der Alma Mater wieder hilft ihm wortreich die Lehre der Weisheit erneut auf die Beine: Du musst nur immer weiter denken, Wortgebirge aufhäufen und besteigen, dann erwartet dich oben der große Überblick über dich, die Welt und alles, was sie zusammenhält. Drunter aber brodelt weiter – wie im Kern der Erde – glühend heiß die wunderbare Wollust und wartet auf ihren unvermeidlichen und insgeheim ersehnten neuen Auftritt.

Bis dahin aber umstellen den ratlosen Menschen Gebote und Verbote zuhauf, damit er lerne, sich selbst zu verneinen. Und Strafe auch.

Aber hat nicht schon Friedrich Nietzsche in seiner Fröhlichen Wissenschaft (schon im Begriff schimmert die pure Lust hindurch!) unter der vielsagenden Zahl 69 – sie ist das Bild für die Wucht der Triebe – gesagt: „Was sagt dein Gewissen? – Werde, der du bist!“

Nun hat man unlängst eine apokryphe Schrift gefunden, in der jenseits von solchem Beschwichtigen der Triebwelt ein anderes Gelage samt Dialog überliefert ist. Nicht von alten Männern verfasst, sondern von jungen Priesterinnen eines Kultes, die der fast schon vergessenen Botschaft vom Glück verpflichtet sind. In Höhlen feierten sie dionysische Feste und eine hat wohl aufgeschrieben, was sie dachten, damals. Da fallen lautlos die Wortgebirge wie welke Blätter in sich zusammen.

Fast könnte man meinen, es sei ein Text aus der Feder von Lukrez, der ja auch als teuflisch ins Abseits geschoben wurde, weil seine Botschaft in eine der Erde verpflichteten Weise das Lied vom lustvollen Werden und Vergehen in den Mittelpunkt gestellt hatte: de rerum natura.

„Und alle Lust will mehr“, steht da geschrieben. Und wieder ist es eine Priesterin, die solches huldvoll kündet, lüstern lockend den tumben Mann, denn das Tier im denkenden Panther lässt sich einfach nicht bändigen. Warum auch? Venus ist die nackte Gestalt, deren Schönheit und Anziehungskraft keiner sich entziehen kann.

„Was also ist die Mitte der Existenz allen Seienden?“ fragt der weise Mann die schmunzelnde Priesterin – für Augenblicke könnte man sie sogar für die anziehende Melancholia halten – und lauscht mit klopfendem Herzen ihren Worten:

„Nun, schon die Frage führt schnurstracks in die Irre“, tönt ihre dunkle Stimme weich und warm.

„Wie das?“ fragt verwirrt der ratlose Mensch und hofft dabei sehnlichst auf Erlösung – jenseits von Wortgirlanden und Begriffswasserfällen.

„Es bedarf keiner Mitte, die zu finden wäre, es ist in dir selbst. Du hast dich nur gelehrt, es zu vergessen. Und dieses ‚in dir selbst‘ tanzt überall in dir, es ist dein ganzer Körper, der darin lebendig webt, schwebt und wirbelt.“

„Das verstehe ich nicht“, flüstert verstört der zitternd Zuhörende.

„Es ist auch nicht zu verstehen, es ist einfach nur zu leben. Und der Weg dorthin ist immer schon da, du hast nur gelernt, ihn gründlich zu übersehen.“

Da schließt er verunsichert die Augen und versucht dieser Botschaft in sich selbst zu begegnen. Und gerne hilft sie ihm dabei, die Glückliche.

Hier ist das Fragment zu Ende.

Wie es wohl weiter geht?

Muss es das denn überhaupt noch?