27 Dez.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 168

Aphrodite in Eifersucht schön empört.

Im Olymp herrscht dicke Luft. Zeus würde am liebsten runter zu seinem Bruder Poseidon, um nicht Rede und Antwort stehen zu müssen. Hera wittert wieder so eine undurchsichtige Geschichte ihres Gatten und Athene spürt erneut, wie dünn das Eis ist, auf dem ihre Eltern tänzelnd ihre Beziehung inszenieren.

„Nein, nicht später, jetzt will ich ihn sprechen, jetzt!“ faucht Aphrodite mit Nachdruck, als sie im Foyer hin und her tigert. Hera hebt beschwichtigend ihre Arme, verdreht dabei ihre Augen und denkt zugleich: Dass die sich aber auch immer so aufspielen muss, echt!

„Athene, kannst du gerade mal zu deinem Vater ins Sprechzimmer gehen und ihn bitten herzukommen, ja?“

„Das ist sicher gar nicht mehr nötig – bei dem Lärmpegel, der hier gerade herrscht!“

Und wirklich, gerade als Aphrodite Athene über den Mund fahren will, erscheint Zeus im Flur des Olymp und tut so, als wäre er völlig überrascht vom Besuch Aphrodites:

„Aphrodite, liebe Tochter, wie schön, dass du uns besuchen kommst!“

Aphrodite atmet tief durch, stemmt ihre Hände in die Hüfte und legt auch gleich los:

„Papa, was soll das denn? Eine phönizische Prinzessin kommt da einfach mit ihren Freundinnen und mehreren Männern auf meine Insel – unangemeldet – und räkelt sich am Strand, als wäre sie zu Hause in ihrem Bad?“

Hera weiß sofort, von wem die Rede ist, Zeus natürlich auch, aber er spielt den völlig überraschten:

„Jetzt beruhige dich doch erst einmal, Aphrodite, komm, wir setzen uns in die Bar, trinken erst einmal etwas und reden dann in aller Ruhe über diesen Besuch auf deiner Insel, ja!“

Hera bekommt fast einen hysterischen Anfall, Aphrodite schüttelt nur beleidigt mit dem Kopf, während sich Athene köstlich amüsiert. Sie kennt ihren Vater nur zu gut; sein nervöses hin und her Tänzeln, sein zappliges Winken mit den Händen und sein leicht gerötetes Gesicht verraten nur zu deutlich, dass er ziemlich verlegen ist und lieber jetzt ganz woanders wäre.

Trotzdem bewegen sie sich nun alle Richtung Bar, wo Hera die Drinks zusammenmischt. Und als sie jetzt bequem in ihren Kissen liegen, hat sich auch die Spannung zwischen ihnen etwas gelegt.

„Prost!“ Zeus hält seinen Kelch hoch, lächelt, als wäre er der glücklichste Mensch, bzw. Gott auf der Welt und im Olymp, räuspert sich umständlich, nachdem er einen ordentlichen Schluck von seinem Nektar genommen hat und beginnt dann so:

„Tja, also, wenn du mich fragst, dann könnte ich vielleicht Poseidon fragen, ob der weiß, um wen es sich da handeln könnte.“

Aber da fährt ihm gleich Hera in die Parade:

„Also wirklich, tu doch nicht so, als wenn du nicht wüsstest, wer da gestrandet ist.“

Die Frauen schauen – den Atem anhaltend – alle auf Zeus, der jetzt den Mund aufsperrt, den Kopf hebt, große Augen macht und erst einmal vernehmlich einatmet:

„Ach so, ach so, du meinst diese Schiffbrüchigen, ach so! Tja, da ist nämlich gestern eine Gesandtschaft von Kreta los gesegelt, die wollten nach Sidon zum Orakel, glaub ich, aber unterwegs ist ihnen eine heftiger Sturm dazwischen geraten.“

„Na bitte! Siehst du Aphrodite, natürlich weiß er, wer das ist, stimmt‘s?“

Erwartungsvoll schaut Hera ihren Mann an, der aber mit dem Kopf schüttelt.

„Tut mir leid, mehr kann ich nicht dazu sagen, Genaueres wüsste aber sicher Poseidon.“

Hera macht komische, schnalzende Geräusche, schnauft wie ein Walross, und eröffnet dann der Runde:

„Es handelt sich bei dieser Fremden um eine gewisse Europa – ihre Eltern, Agenor und Thelephassa, waren das Königspaar von Sidon, beide aber inzwischen nicht mehr unter den Lebenden; diese Europa ist unterdessen mit dem Minos von Kreta verheiratet – oder?“

Zeus starrt seine Gattin an, als hätte die gerade gesagt, im Olymp sei eine schlimme Krankheit ausgebrochen; er kann es einfach nicht fassen. Wo hat Hera denn diese Informationen her, fragt er sich sehr peinlich berührt. Woher weiß sie das alles? Kennt sie vielleicht sogar seine „weißer-Stier-Entführungs-Geschichte“?

„Also, also, meine liebe Aphrodite, weißt du was? Ich hole gerade mal Poseidon, der wird Heras Meinung sicher bestätigen oder widerlegen können – einverstanden?“

Und schon hat er sich sportlich aus seinem Kissen hoch gekämpft und läuft einfach davon. Die drei Frauen bleiben völlig sprachlos zurück.

21 Dez.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 167

Der Traum vom günstigen Orakel in Sidon.

Dann lösen sich die Stimmen und die Figuren in nichts auf. Und aus diesem dunklen Nichts wachsen, wie von einer leichten Brise herbei geweht, helle, duftende Bilder.

Ich bin zu Hause, denkt Europa. Meine Eltern schicken mich zum Tempel, ich soll bei der großen Göttin Astarte, Baals Gemahlin, fragen, was sie mir und meinen beiden Söhnen, Sadamanthys und Parsephon, zu prophezeien haben.

Der warme Wind auf meiner Haut tut so gut. Und das leise Wellenrauschen auch. Aber der Tempel in meiner Heimatstadt Sidon steht doch hoch oben auf der Akropolis. Wie kommt das Meer dorthin? Träume ich etwa, fragt sich Europa in ihrem Traum. Und die Mädchen eben, sprachen die nicht eine ganz andere Sprache als wir in Sidon?

„Mein Vater, mein Vater“, hört sich Europa gleichzeitig flehen, obwohl sie doch weiß, dass er längst tot ist, genau wie ihre Brüder Kadmos, Phoinix und Kilix. Aber er hört sie einfach nicht. Oder stellt er sich nur taub? Und das Blut an seinen Händen, ist das von meiner Mutter, von Telephassa?

Möwen kreischen über Europa.

„Haut ab, macht nicht solchen Lärm, ich kann sonst nicht verstehen, was mir die große Göttin gerade offenbaren möchte!“ zischt sie gegen das Möwengeschrei an.

Wolken ziehen jetzt über sie hin. Ihr Gewand trocknet allmählich. Im Tempel herrscht ein Dämmerlicht, obwohl es doch noch früh am Morgen ist. Aber es riecht gut. Ruft da jemand nach ihr?

Ihre Schritte hallen zwischen den hohen Säulen hin und her. Junge Priesterinnen stehen kichernd in einer Ecke. Europa schüttelt unwirsch ihren Kopf. Keine Ehrfurcht vor der großen Göttin Astarte?

Jetzt kniet sie vor dem riesigen Abbild des Götterpaares Astarte und Baal, die eng nebeneinander sitzen, die Hände liegen auf ihren Oberschenkeln. Lächeln sie oder meine ich das nur, denkt Europa.

„Dein Vater hat zwar wegen seiner schlimmen Bluttat tief unter der Erde zu büßen, aber deine Mutter, Telephassa, bittet uns, dir und deinen Söhnen zu helfen.“

Warum redet der Gott so langsam, warum schweigt Astarte?

„Soll ich weiter die Regentschaft für meine Söhne auf Kreta führen oder…?“

„Europa, Europa, lebst du noch?“ Chaturos Stimme ganz in der Nähe.

30 Okt.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 166

Die Irrfahrt des Floßes der Boreia.

Ihr Floß schwankt von einem Wellenberg zum nächsten. Europa, ihre beiden Söhne und Athanama halten sich an den Planken fest, so gut es geht. Die Angst hält sie wach, in dieser Nacht. Der Sturm ist zu einem starken Wind geschrumpft, und die Schiffbrüchigen phantasieren bereits ihr Ende. Kein Wasser, nichts zu essen und kein Land in Sicht. Nur Chaturo ist wild entschlossen, nicht aufzugeben.

„Wenn die Strömung uns weiter so trägt, schaffen wir es vielleicht bis zum nächsten Abend an die Küste Phönizien!“ sagt er nun schon zum zehnten Mal. Aber keiner glaubt ihm. Europa betet im Stillen zu ihrer Göttin. Es kann doch einfach nicht sein, dass sie und ihre beiden Söhne so enden. Nein, nein!

„Bitte, große Göttin, erhöre mein Flehen, rette uns, rette uns!“ so betet sie. Und wenn Chaturo wieder seinen Satz von ihrer Rettung wiederholt, nickt sie tapfer dazu. Athanama geht es sehr schlecht. Sie muss sich immer wieder übergeben. Wir werden alle hier auf dem Wasser sterben. Da ist sie sich ganz sicher. Auch wenn ihre Freundin, Europa, sie zum Durchhalten überreden will, sie hat den Glauben daran verloren. Und Chaturo, ihr Chaturo, mit dem sie so wunderbar auf Kreta verbunden war, muss seinen Verstand verloren haben. Wie könnte er sonst in dieser ausweglosen Lage immer wieder sagen, dass sie es zur Küste schaffen werden? Jetzt hat auch noch der Wind nachgelassen. Wie sollen sie denn da voran kommen?

Das Floß der Boreia – von oben betrachtet, vom Olymp zum Beispiel – mit den verzweifelten Menschen darauf – sieht aus wie ein kleines Stück Treibholz mit winzigen Stoffknäueln beladen.

„Eine große Welle und alle werden vom Floß herunter gewischt!“ geht es Zeus da oben durch den Kopf, als er am frühen Morgen gähnend auf die Erde und sein Meer herab schaut. Es kribbelt ihn in seinen Fingern. Dann wäre er sie endlich los.

„Was ist mit dir, bist du krank oder warum schon so früh auf den Beinen und starrst so nach da unten?“

Heras Stimme geht ihm durch Mark und Bein. Sie hat wirklich eine besonders glückliche Art, immer gerade dann zu erscheinen, wenn er sie überhaupt nicht sehen will, tobt es in ihm.

„Ich? Och, ich habe nur schlecht geschlafen und überlege gerade, ob ich meinen Bruder Poseidon da unten heute besuchen soll.“

„Den? Sag mal, wie vergesslich bist du denn eigentlich? Dein Bruder ist seit gestern unterwegs nach Hesperien, Äpfel zählen!“

Das ist Zeus nun wirklich echt peinlich.

„Stimmt, stimmt, liebe Gemahlin“, säuselt er, so gut er kann, „sollte wohl besser noch mal schlafen gehen!“

Hera kann nur den Kopf schütteln. Und Zeus ärgert sich, dass er das mit der Welle und dem Floß nun doch nicht machen kann. Mist!

Und während oben im Olymp dieses Frühmorgengespräch über die Bühne geht, schrabbt unten auf dem Meer das Floß der Borea gerade über ein Riff und bleibt ächzend daran hängen. Die übermüdeten und durstenden Menschen an Bord des Floßes rutschen – völlig unvorbereitet auf dieses plötzliche Anhalten – purzelnd ins Wasser. Schreie. Todesängste. Keiner von ihnen kann schwimmen. Als letzter rutscht Chaturo, der Kapitän der Borea, ins kalte Nass. Taumelnd gehen Europa, Athanama, Sadamanthys und Parsephon unter, schlucken salziges Wasser, fuchteln mit den Armen verzweifelt hin und her, strampeln mit ihren Beinen, als ihre Füße auf Felsbrocken stoßen. „Sadamanthys, Parsephon!“ schreit Europa verzweifelt, als sie sich schwankend aufzurichten sucht, Luft schnappt, sich umschaut und es nicht fassen kann, denn auch die anderen tauchen neben und vor ihr wild prustend wieder auf, rutschen wieder ab, gehen unter, tauchen wieder auf und gelangen so, ohne dass sie wissen, dass sie genau in die richtige Richtung torkeln, schreiend, japsend, spuckend. Selbst Chaturo schafft es, Luft zu holen, hinterher zu waten, wieder hinzufallen, auszurutschen, unterzugehen, wieder aufzutauchen, Salzwasser zu spucken.

Später, als sie alle schwer atmend am Ufer liegen, wissen sie wirklich nicht, ob das alles nur ein schöner Traum ist – im letzten Augenblick, bevor sie ertrinken und sterben werden – da geht im Osten auch noch die Sonne auf und Chaturo, dessen Augen brennen von dem vielen Salzwasser, das darüber geflossen war in den letzten Stunden, flüstert erneut die letzten Worte seines Satzes: „…die Küste Phöniziens, die Küste Phöniziens…“ Es ist dann Europa, die sich als erste schwer atmend erhebt, in die Knie geht und zitternd betet: „Große Göttin, du hast uns gerettet. Wir danken dir.“

Dann schlafen sie alle vor Erschöpfung einfach ein.

„Thalia, schau mal, da liegen ja Menschen am Strand!“ Es ist Kimeéa, die sie entdeckt hat. Sie wollten den Aufgang der Morgensonne hier am Strand erleben, jetzt nähern sie sich vorsichtig den Fremden, den schlafenden.