26 Jan

Leseprobe – Historischer Roman II Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück Blatt 104

Ein unglaubliches Gespräch zwischen Göttern und Menschen

Sie waren zügig voran gekommen – trotz Sänfte, trotz Winter, trotz den unsicheren Zeiten. Somythall ist voller beflügelnder Bilder: Rochwyn, wie er sich sorgt und sorgt um sie; die Wolken und Wälder im Winter, wie sie sie wohlwollend zu begleiten scheinen. Ihre lautlose Kraft, ihre Beständigkeit und ihr Wandel. Das gleichbleibende Schwanken der Sänfte auf ihrem Marsch, die scheinbar nie erschöpften Sänftenträger. Es hatte nur etwas mehr als zwei Tage gedauert. Jetzt sind sie gut empfangen und untergebracht im hölzernen Gästehaus der Priesterinnen und alle ruhen sich aus.

Ihre Amme Bruniguld weicht nicht von ihrer Seite. Wenn sie Rast machten, erzählte sie Somythall immer wieder von den Priesterinnen: „Es sind unsere Vestalinnen!“ flüsterte sie verschwörerisch, und noch bevor Somythall überhaupt fragen konnte, wie sie das meine, legte sie ihren Zeigefinger auf die Lippen und sagte dann: „Herrin, du wirst sehen, warte nur!“

Sie soll mich nicht immer Herrin nennen, denkt Somythall; aber sie ist nicht davon abzubekommen. Jetzt ist es Zeit, hinauf zum Tempel der Göttin Atawima zu gehen. Rochwyn hatte ihr am frühen Nachmittag berichtet, was es alles über diesen breiten Hügel an Geschichten gab und gibt: Der Hügel sei ein Grab. Das Grab einer keltischen Prinzessin, die hier wie eine Göttin mit kostbaren Geschenken, ihrem Lieblingspferd, ihren Prachtkleidern bestattet worden sei. Vor mehreren hundert Jahren. Aus den kleinen Pfahlbauten der Wächter sei dann später eine Niederlassung von Priesterinnen der Isis geworden.

Isis?“ fragt Somythall hellhörig geworden.

Ja, als Gallien noch römische Provinz war, ist hier wohl mal eine Legion auf ihrem Weg nach Britannia vorbeigekommen und die hatten anscheinend viele Götterbilder mit dabei, unter anderem auch die von Sol, von Mithras und eben auch von Isis, mit ihrem Kind auf dem Schoß. Da sind dann welche hier hängen geblieben und haben einen geheimnisvollen Kult begründet. Man sagt, es sei eine Schlangengöttin, die hier nachts im Frühjahr erscheine. Atawima.“ Dabei schmunzelt Rochwyn. Er hatte sich nämlich in Luxovium nur unwissend gestellt, als sie ihn gefragt hatte, ob er sie begleiten wolle. Somythall spielt die empörte: „Du hast mich also betrogen!“ „Nein, ich wollte mich nur nicht vordrängen. Bruniguld hatte das ja schon für mich erledigt.“ Somythall ist sprachlos. So wunderbar umsorgt zu sein, tut ihr gut.

Jetzt, als sie kurz vor dem Hügelplateau schwer atmend angekommen sind, wird der weitere Weg beidseitig gesäumt von den Priesterinnen, die mit Fackeln da stehen und sich leicht verbeugen. Somythall kann es nicht glauben, denn alle haben auf ihren langen grauen Gewändern ein rötliches Zeichen aufgenäht, das sie aus ihrer Heimat kennt, aus den Erzählungen ihrer Großmutter: Ein Kreis, der auf einem Baum steht, mit zwei dicken Ästen quer darunter. Und dazu hatte ihre Großmutter immer eine Melodie gesummt. Altes Lied, sehr altes Lied, war alles, was sie dazu sagte, wenn Somythall sie danach fragte. „Wir Frauen sind die Wächterinnen einer frohen Botschaft, wir fühlen es einfach, wie Glück geschehen kann – wenn wir die Göttin nicht vergessen.“

Dann sind sie direkt vor dem Tempel, und diesen Augenblick wird sie nie, nie vergessen können. Ihr Blick fällt direkt durch das offene Tor ins Innere des Tempels, sie hat Weihrauch in der Nase und weit hinten, im schwachen Licht von Kerzen kann sie auch eine große Statue erkennen.

Oh, Göttin, mein Leben will ich…“ spricht Somythall lautlos in sich hinein; aber sie wird unterbrochen, es verschlägt ihr die Sprache, denn hinter dem Tempel, im fahlen Abendsonnenlicht ist der weite Himmel über und über mit tief hängenden schwarz-grauen Wolken verhängt, darunter noch ein dünner Streifen helleres Firmament; und jetzt fahren Blitze durch dieses düstere Gewölk, mehrere, und Somythall weiß, dass es die Göttin sein muss, die ihr diese großen hellen Zeichen sendet.

„Sie antwortet mir.“

Auch glaubt sie ein fernes Grollen zu vernehmen. Und das mitten im Winter. Sie verliert fast die Besinnung, sie muss sich fest am Arm von Bruniguld abstützen.

Herrin, ist dir nicht gut?“ fragt erschrocken die Amme. Aber Somythall schüttelt lächelnd den Kopf, lässt sich einfach in den Tempel geleiten, mit geschlossenen Augen, denn sie ist jetzt im Gespräch mit der Göttin, der Blitze schleudernden, der Schlangengöttin, der Lichtfrau:

Wenn du mich bis hierhin begleitet hast, dann wirst du sicher auch noch den Rest meiner Reise schützend verfolgen oder?“ fährt sie fort in ihrem Gebet. Jetzt wird der Geruch von Weihrauch über stark, ihr wird leicht übel, sie sinkt auf die Knie, streckt die Arme aus und legt sich auf den steinernen Boden, direkt vor dem Abbild der Göttin. Sie weiß nicht: „Ist mir heiß oder ist mir kalt?“ Bruniguld tuschelt besorgt mit Rochwyn: vielleicht war diese Reise doch zu viel für eine schwangere Frau. Aber Rochwyn beschwichtigt sie.

Und Somythall glaubt die Stimme ihrer Göttin zu hören, während hinter ihnen die Priesterinnen gerade eine Melodie zu summen beginnen, die ihr irgendwie bekannt vorkommt.

Sorge dich nicht, Somythall, ich halte meine Hand über dich. Vertraue den Deinen – sie werden auch deine Niederkunft helfend und rettend begleiten.“

Später, als Somythall ihre Augen aufschlägt, ist sie allein in ihrer Zelle, die ihr die Priesterinnen für ihren Aufenthalt zur Verfügung gestellt hatten. Wie ist sie hier hin gekommen? Was ist passiert? Eben noch hatte sie doch mit der Göttin gesprochen, sie hatte ihr sogar geantwortet, meint sie. Warme Decken hüllen sie ein, fahles Mondlicht fällt durch das kleine Oberlicht. Sie ist allein. Da fühlt sie wieder das Strampeln ihres Kindes in ihrem Bauch und kann vor Glück kaum still sein. Singen möchte sie, singen vor Glück.

22 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 92

Die göttlichen Brüder im Intrigenrausch

Am liebsten würden die drei göttlichen Brüder jetzt einen kleinen Zwischenstopp auf dem Olymp einlegen, um die zwei feinen Intrigen ordentlich zu feiern. Aber Zeus winkt ab. Tochter Athene könnte ihnen auf die Spur kommen. Also lieber doch erst weiter nach Kreta.

Als was denn diesmal?“ fragt Poseidon enttäuscht. Er hat nämlich ziemlichen Durst und etwas Nektar und Ambrosia hätte er sich jetzt schon gerne gegönnt.

Als ganz normale Palastwächter von Archaikos.“

Gute Idee, Bruder, wirklich gute Idee“, lobt Hades überschwenglich.

Und schon sind sie da. Woltónos, Thórtys und Németos schleichen sich gerade durch die Gassen am Fuße des Palastes, als plötzlich drei Wächter vor ihnen stehen.

Halt! Wer seid ihr, wo wollt ihr hin?“ Dabei halten sie ihre Speere drohend auf die Brüste der drei müden Wanderer gerichtet. Dass Zeus, Poseidon und Hades dabei kaum ein Lachen unterdrücken können, merken natürlich vor lauter Angst und Schrecken Woltónos und seine zwei Helfer gar nicht.

Äh, also, das ist so, wir…“ stottert Woltónos los. Wird jetzt sein Plan vorzeitig an sein Ende kommen? Wieso sind zu dieser Zeit, an diesem Ort Wächter des Archaikos unterwegs? Er versteht es nicht. Und ihm will auch einfach keine gute Ausrede einfallen. So ein Mist aber auch, wirklich.

Was denn nun, hä?“ Poseidon als Wächter macht jetzt richtig Dampf. „Was führt ihr im Schilde, mh?“

Thórtys und Nemetos sehen sich schon im Kerker unter dem Palast vermodern. Warum haben sie sich nur mit Woltónos auf diesen blöden Plan eingelassen, warum nur? Die drei Wächter lassen ihre Speere jetzt sinken und wechseln auch im Ton ihrer Fragen:

Kommt mal mit, wir werden euch in aller Ruhe am Stadtrand befragen. Bis dahin wisst ihr dann hoffentlich, was ihr sagen wollt.“

Und ohne überhaupt ein Widerwort erst abzuwarten, schieben sie die drei in Richtung Sonnenuntergang, zum westlichen Tor. Für einen Augenblick sind die drei erleichtert, aber eben nur kurz. Denn was wird aus der nächsten Befragung wohl werden? Die Angst hat sie voll im Griff. So trotten sie mit gesenktem Haupt vor den drei Wächtern her. Kaum jemand scheint Notiz nehmen zu wollen von diesen sechs Männern. Jedenfalls sind die Leute, die gerade unterwegs sind, alle mit anderen Dingen beschäftigt.

So, ihr drei“, fängt später, als sie im Schatten einer alten Korkeiche Halt gemacht haben, der ältere der drei Wächter in väterlichem Ton an, „ihr habt Glück im Unglück. Der Minos von Kreta sucht neue Leute für seine Palastwache. Und ihr seht so aus, als wäret ihr gerade auf dem Weg gewesen euch zu melden. Stimmt‘s?“

22 Jan

Europa – Meditation # 173

Rückkehr zur eigenen Natur der Erdlinge

Wie selbstverständlich wird den Kindern im Geschichtsunterricht seit Generationen etwas beigebracht vom Krieg großer Nationen gegeneinander. Von Staaten ist die Rede, als wären es zeitlose Instanzen, ganz gleich, ob über die Spätantike, dem Zeitalter der Völkerwanderung (auch so ein scheinbar selbstverständlicher Begriff) gesprochen wird oder über die Mayas. Immer ist dabei ungefragt Gewalt im Zentrum: die mächtigen Männer haben scheinbar das Recht, anderen Gruppen, Menschen, Gefangenen das Leben nehmen zu dürfen – das 19. und 20 Jh. ist voll von solchen gewaltsamen Vernichtungsorgien. Und auch im 21. Jh. setzt sich das alte Muster fort – die sogenannten Großmächte verfügen über Waffenarsenale, die scheinbar gebraucht werden sollen. Männer halten sie instand, Männer erfinden neue Varianten von Tötungsmaschinen – die unbemannte Drohne ist nur das vorläufig letzte Exemplar solcher Gewaltanwendung: Das Töten funktioniert inzwischen gesichtslos. Täter und Opfer kennen sich nur noch über den Bildschirm, wenn überhaupt. Und immer sei es „nur“ ein Selbstverteidigungstun, das selbst die Götter abnicken. Der andere ist der Schlimme, man selbst eigentlich friedliebend – so jedenfalls die Geschichte, die dazu öffentlich und in Schulen erzählt und nacherzählt wird. Höherer Auftrag, gottgewollt.

Aber dieses Bild bekommt zunehmend Kratzer, denn Nation und Krieg sind immer weniger emotionale Größen, hinter denen sich junge Männer von alten Hasen sammeln lassen. Von Frauen ganz zu schweigen.

Der Nation und auch dem Patriotismus geht die Luft aus – wie ein Kartenhaus stürzt lautlos Großmannssucht in sich zusammen (von den sowieso Unbelehrbaren einmal abgesehen) und stattdessen werden die offenkundigen Wunden endlich als das erkannt, was sie sind: Sinnlose Opfer auf einem Altar, der nur für selbstverliebte Machtmenschen und die Waffenindustrie aufgestellt wurde.

Nach zwei Weltkriegen sind die Kriege weltweit immer weniger wegen nationaler Begründungen denkbar. Das Denken erwacht langsam aus diesem langen Albtraumschlaf, weil die Verletzungen im globalen Maßstab nicht mehr national gerechtfertigt werden können. Auch die wirtschaftlichen Interessen Europas lassen sich nicht mehr hegemonial durchsetzen. China, Indien, Brasilien, USA und Russland aber halten nach wie vor ihren Macht-Tag-Traum für vernünftig und wirklich – jedenfalls versorgen die Medien im Auftrag mächtiger Männer den gemeinen Mann auch weiter ungebremst mit solchen Bildern der Vergangenheit, um weiter gewaltsam so Zukunft für die Menschen zu gestalten. Wirtschaftskriege seien eben unvermeidbar.

Doch in den Köpfen vieler – und hier könnte Europa endlich einmal gewaltfrei Avantgarde sein, als längst fällige Wiedergutmachung für die gewalttätigen Zumutungen der Europäer in den letzten Jahrhunderten – ist der Schalter längst auf grün umgestellt: Freie Fahrt für naturgemäßes Miteinander und Füreinander aller Lebewesen.