31 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 100

Alles hängt mit Allem zusammen.

Es gibt auf diesem wunderbaren Planeten von Zeit zu Zeit Momente, die wie Knotenpunkte einer unendlichen Geschichte miteinander vernetzt bleiben und in manchen Menschen wohltuende Kräfte freisetzen, weil sie sich als Teil dieser großen Glückswelle fühlen und davon den Mitmenschen so viel wie möglich abgeben möchten.

So fühlt sich in diesem Augenblick auch Chandaraissa, die Hohepriesterin der großen Göttin. Sie hat das Gefühl zu schweben, als sie jetzt zum Tempel eilt. Und die Menschen, denen sie begegnet, grüßen sie ehrerbietig und beglückt. Freudvolle Schwingungen schweben hin und her, berühren Kinder, Alte und müde Fischer, die ihren mageren Fang auf einmal wie ein großes Geschenk ansehen und einfach nur glücklich lächeln. Was liegt da in der Luft?

„Europa, Europa!“ so ruft sie durch die kühlen Gänge des Tempels, „wo steckst du denn?“

Verblüfft schauen die jungen Priesterinnen aus ihren Zellen, als sie ihre Herrin im Gang rufen und vorbeihuschen sehen. Was ist mit ihr? Warum strahlt sie so? Da gibt es gleich genug zu erzählen. Wenn Chandaraissa so gut gelaunt ist, dann kommt das auch ihnen zu gute. Übermütiges Gekicher und prustendes Getuschel füllt die Luft im Anbau des Tempels. Als lade die Bienenkönigin ihr Volk zu einem überraschenden Empfang, so surrt es wieder einmal durch die Gänge.

Europa ist gerade in einem wohligen Tagtraum gefangen, als sie Chandaraissas Stimme hört. Hört sie es in ihrem Traum oder ist sie es wirklich? Als sie jetzt die Augen öffnet, sich im Dämmerschein ihrer Zelle von ihrem Lager erhebt, wird ihr klar, dass ihr Traum in die Wirklichkeit hinein verströmt. Denn da steht auch schon Chandaraissa in der Tür:

„Europa! Darf ich herein kommen?“

„Was für ein Frage, liebste Freundin!“ antwortet Europa und winkt sie zu sich herein. Sie umarmen sich fest und innig. Dann erzählt Chandaraissa von dem Sinneswandel der alten Ratsherren. Europa kann es gar nicht fassen. Aber es fällt ihr nicht schwer, die Botschaft zu deuten: Die große Göttin hat eben Großes mit ihnen vor und die fast schon vergessene Botschaft vom Glück breitet sich weiter unaufhaltsam aus. Die Hohepriesterin und Europa sind die Boten und durch die Verbindung mit dem Minos von Kreta wird der Auftrag der großen Göttin umso leichter zu erfüllen sein. Da können auch drei schwarze Raben nichts dran ändern, geht es Europa plötzlich durch den Kopf. Alles hängt eben mit allem zusammen. Und die Lebensfreude stärkt die Menschen in ihrem Wollen und Tun zu immer mehr Zuversicht und Freundlichkeit.

30 Mai

Europa – Meditation # 201

Das hohle Echo europäischer Weltmachtträume.

In Europa laufen sich die Medien gerade in ihrem neuen Thema warm: Endlich lässt sich die Welt wieder in zwei Teile teilen: In die gute eigene und in die nicht so gute fremde.

Ein Muster, das so alt ist wie die Welt.

Was den neuen Bildgestaltern allerdings nicht klar zu sein scheint, ist die Tatsache, dass wir Europäer jetzt gewissermaßen auf die Rückseite der eigenen Bilder schauen können.

Vorne strahlte stets der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg europäischer Weltbeglückungs-Expeditionen. Nach und nach wurde ein Kontinent nach dem anderen wirtschaftlich und meistens auch politisch einverleibt. Kolonien nannte man das dann. Und zu Hause gab es daraufhin den Kolonialwarenladen und unglaubliche Gewinne weniger. Der ehemals christlich grundierte Missionsauftrag wurde nach und nach aufklärerisch und fortschrittlich aufgehübscht. Die Betroffenen hatten immer die „Wahl“: Sich der Fortschritts-Karawane freiwillig zu unterwerfen oder vorzeitig das Zeitliche segnen zu müssen oder in Knebelverträgen stranguliert zu werden. Und in zwei Weltkriegen wurde die alte Beute unter den Siegern neu verteilt.

Dann kamen die Jahrzehnte des Niedergangs der Kolonialpolitik und der Beginn der Unabhängigkeit. Diese entpuppte sich allerdings als korrupte Kopie europäischer Muster zugunsten der neuen Eliten. Nationaler Reichtum versickert seitdem in privaten Kanälen.

Nun erscheint von der anderen Seite der Erdkugel ein neuer Missionar – auch da standen Europäer Pate: Karl Marx und Friedrich Engels, neu interpretiert von Lenin und Mao. Die neuen Beglücker verleihen Geld wie Heu und versprechen Wohlstand und elektrisierenden Fortschritt.

Die gleichen Medien, die so lange die westliche Weltknebelung als bahnbrechende Erfolgsgeschichte kolportierten, erkennen nun im Spiegelbild dieses Musters sich selbst nicht mehr.

Jetzt ist es eine globale Bedrohung, die da auf Europa zukommt, gegen die man sich mit allen Mitteln stemmen muss, denn die Gesundbeter aus dem Fernen Osten sind Lügner, sagen die westlichen Medien; Lügner, die nur den eigenen ökonomischen Einfluss im Blick haben und sonst nichts.

Als es die Gesundbeter aus dem Nahen Westen waren, kam kaum jemand auf den Gedanken, von Lügen und Betrug zu reden – da sahen die Europäer so aus wie Heilsbringer, die der Welt nur helfen wollen, das Paradies schon auf der Erde selbst zu gestalten.

Jetzt – und damit schließt sich der Kreis der Schwarz-Weiß-Malerei – seien die anbrandenden fremden Heilsbringer diejenigen, die die Hölle auf Erden einrichten wollen.

30 Mai

Autobiographisches – Neue Versuche – Leseprobe # 38

Neue Versuche entlang von „Eine Odyssee“ von Daniel Mendelsohn # 38

S. 315 – „Wieder ging mir durch den Kopf, was Brendan an dem Tag gesagt hatte. Vielleicht könnte man ja sagen, dass dies eine Geschichte über das Zuhören ist. Darüber, wie die eigene Sichtweise die Wahrnehmung beeinflusst. Tatsächlich ist es doch so, dass Polyphem von vornherein nur hört, was er hören will.

(Da fällt dem alten Floh natürlich auf Anhieb auch noch Mephistoteles ein, der bei seinem Vertrag mit Faust auch nicht richtig zuhört; er ist ja viel zu aufgeregt, weil er glaubt, den Fisch im Netz zu haben. Was nun den kleinen Floh betrifft – natürlich wie immer heraufbeschworen in den wohlwollenden Bildern des alten Flohs – so ist er sich nicht so sicher, ob das auch auf ihn zutrifft. Denn eigentlich wollte er gar nicht nur das hören, was er hören will; er wollte eigentlich gar nichts hören. Denn jedes Mal stellte sich beim „Zuhören“ das mulmige Gefühl ein, er versteht es nicht, sollte es aber wohl verstehen können. Somit bastelte er sich ein Hörverfahren, dass beim scheinbaren Zuhören einfach auf Durchzug schaltete – und zwar so effektiv, dass er tatsächlich nichts mehr erinnerte, danach. Das wüste Selbsttor, das er dabei jedes Mal schoss, war ihm natürlich gar nicht klar. Und eigenartiger Weise kam er sogar durch mit dieser Unsinns-Methode. Erst viel, viel später – zuerst beim Lesen, wo er nämlich auch nicht sich selber zuhörte von Anfang an, so dass er hinterher überhaupt keine Ahnung hatte von dem, was er gerade gelesen hatte – bringt er sich im Selbststudium und in kleinen Schritten das Zuhören und Antworten bei; aber auch hier ist wie bei all seinen geistigen Klimmzügen die Intuition der Transmissionsriemen, der ihm brauchbare Ergebnisse ermöglicht, von denen die anderen dann meinen, er habe sie durch analytische Denkschritte herbeigeführt. Darüber hinaus hatte er das große Glück, dass Salome in sein Leben trat und mit ihrer Stimme und ihren Geschichten die Wende in seinem Leben ermöglichte.

Grundsätzlich hören und sehen wir Erdlinge wie selbstverständlich immer nur das, was wir hören und sehen wollen. Dazu ist die individuelle Sehweise per definitionem basal: weil jedes Gehirn eingeschlossen bleibt im eigenen Bilderwald, sind alle Verallgemeinerungen n a t ü r l i c h e r –

w e i s e willkürlich und unzutreffend. Mit Hilfe der Sprache – die aber auch im selben Bilderwald geerdet ist – versuchen sie dann eine begehbare Brücke zu schlagen zum Bilderwald des Gegenüber. Es bleibt aber der Satz:

Die Grundsituation jeglicher Kommunikation ist das Missverständnis.

Das versucht der alte Floh immer vorauseilend mitzudenken, um die Annäherung möglichst friedfertig und günstig zu gestalten. Und dass jemand wie Sokrates deshalb lieber die Frage in den Mittelpunkt stellt, als die Antwort, zeigt doch nur, wie klug dieser Mann ist –

Ich weiß, dass ich (es) nicht weiß.

So ist das Leben eine endlose und zauberhafte Reise zu sich selbst und den anderen. Die einzig sichere Ankunft dabei ist nur der eigene Tod.)