21 Jan

Europa – Meditation # 248

„Allein – mir fehlt der Glaube!“

Mit vorauseilender Zustimmung verfolgten gestern die Medien in Europa die Zeremonie in Washington. Man war ja so erleichtert, dass der eine endlich weg war und der andere endlich darf.

Anders dagegen die begleitenden Reaktionen aus China: „Es geht der Bösewicht, es kommt ein Heuchler.“

Nun, soweit muss man nicht unbedingt gleich gehen. Aber etwas mehr Bodenhaftung bei aller Euphorie wäre doch wohl angebracht.

Wenn man sich über den Wortvorrat beim Vorgänger immer wieder gerne gruselte, so sollte man beim Nachfolger nicht ohne Bedächtigkeit reagieren. Denn die Zeremonie – in allem wie eben solche Anlässe dort abgearbeitet werden – hatte einen wahrlich hohen Ton und das Beschwören des Beistandes des christlichen Gottes von kompetenter Seite tat ein übriges. So waren alle hinter ihren Masken guten Mutes und ließen sich gerne von den Beschwörungsformel umgarnen. Es tat ja so gut, nach all den dürftigen Jahren, in denen es nur um Deals und nicht um hehre Werte ging. Die Spielregeln des Systems stehen seit gestern wieder unter dem Motto:

„Ohne Einheit gibt es keinen Frieden“.

Salbungsvoll begleitet von hochtönende Salven scheinbar schwerwiegender Abstrakta, als da sind:

„Tag der Einheit und der Hoffnung“

und

„Die Demokratie hat gesiegt“.

Und dann dieses „ever“, „ever“, „ever“ mit dem dieses System ins Sakrale, Zeitlose gehoben werden musste – ‚demokratia‘ for ever! Hätte der Vorgänger in ähnlicher Wiederholungsform seine Deutung des Systems beschworen, wären die Medien mit Wollust über ihn her gefallen. Oder?

Und der Bösewicht lädt im Abflug noch – wie immer superlativisch – ein unverwechselbares Statement hinterher:

„Was wir getan haben, ist in jeder Hinsicht erstaunlich“.

Doch genauso erstaunlich ist auch die Bereitschaft der Zuhörer bei Bidens Rede, dass der Glaube an die Einheit gemeinsam in der Wirklichkeit 2021 implantiert werden könnte. Zwar harte Arbeit, aber sonst kein Ding!

Und in Europa freut man sich schon auf den neuen Mann – alles wird gut oder zumindest besser als vorher, da sind sich alle frohlockend einig.

Als könnte man den beinharten kapitalistischen Konkurrenzkampf mit salbungsvollen Versprechungen zähmen und zivilisieren. Sein wahres Gesicht wurde uns allzu hautnah vier Jahre vor Augen geführt, jetzt können wir endlich wieder durch die Brille der Weichzeichnung unsere Absatzmarktkämpfe wunderbar aufhübschen. Damit lässt sich viel besser schlafen und viel schöner träumen.

Wie gerne wir doch unser Langzeitgedächtnis in einen wohlverdienten Urlaub schicken, jetzt wo wir doch alle unwillig zu Hause hocken sollen!

20 Jan

Leseprobe – AbB – Autobiographische Blätter Erneute Annäherungen an ein Leben #1

AbB – Erneute Annäherungen an alte Narrative # 1 ab Januar 2021

Nach der eindrucksvollen Lektüre von DAS JAHRHUNDERT DER GISÈLE – Mythos und Wirklichkeit einer Künstlerin. Von Annet Mooij – Büchergilde Gutenberg 2020 will der Floh noch einmal parallel dazu seine eigene Geschichte fragmentarisch neu erzählen, denn die Gleichzeitigkeit der beiden so verschiedenen Leben ermöglicht viele Spiegelungen der Zeit in verschiedenen Biographien und Erzählungen.

Im Epilog schreibt Mooij u.a.: (S. 413): „Gisèles Treue zur Castrum-Gemeinschaft ließ ihre mentale Strategie des Aufhübschens und Idealisierens auf die Dauer zu einer Überlebensstrategie werden. Dem lag keine bewusste Entscheidung oder ein ausgeklügelter Plan zugrunde, sondern es war eher etwas, das sich im Laufe der Zeit entwickelte. Was als die natürliche Neigung einer einsamen Internatsschülerin mit reicher Phantasie begann, dann in einer familiären Situation zur Entfaltung kam, in der Skandale und Gesichtsverlust um jeden Preis vermieden werden mussten und der gute Ruf heilig war, wuchs sich zu einer emotionalen Notwendigkeit in einer Umgebung aus, in der Mythos und Wirklichkeit, Ideal und Realität oft weit auseinander lagen.“ Schon hier muss der Floh nervige Fragen stellen: „Und sie, wie wollen wir denn i h r e ‚mentale Strategie‘ nennen? Hat nicht jeder so etwas Ähnliches in seinem Repertoire des Denken und Tagträumens vorrätig, um sich selbst verständlich und vertretbar zu machen, was sich aber eigentlich dem denkenden Zugriff immer wieder entzieht, wenn es zum Festhalten kommt?

(S. 412) „Das war in der Tat die Vorgehensweise Gisèles: Sie ‚erhob‘ ihre Lebensgeschichte nicht, indem sie sie zusammenphantasierte, sondern indem sie die Wirklichkeit korrigiert. Sie gab ihr einen Dreh und einen märchenhaften Glanz, die sie selbst glücklicher machten und die Zuschauer fasziniert zurückließen. Hinter diesem Umgang mit der Wirklichkeit verbarg sich der wahre ‚magische Realismus‘ Gisèles.“ Und noch eine Frage möchte der Floh – en passent sozusagen – stellen: Wäre es nicht denkbar, dass mit dem Begriff Mythos etwas behutsamer umgegangen werden sollte? Sonst könnte vielleicht durch die Hintertür bloß ein bisschen Aufhübschen stattfinden, das den Wahrheitsannäherungen aber abträglich wäre!

Doch nun will er sich – nach diesem kleinen Exkurs in den Epilog – dem Anfang dieser Biographie zuwenden:

S. 17 –„Herkunft und Erziehung spielen im Leben eines jeden Menschen eine entscheidende Rolle – bei weitem nicht immer eine positive, doch Gisèle konnte in dieser Hinsicht besonders zufrieden sein. Sie hatte einen stark entwickelten Familiensinn und fühlte sich in ihrem Milieu so behaglich aufgehoben wie in einem Pelzmantel. Dieses warme Gefühl der Verwandtschaft galt nicht nur ihren Eltern. Das Wissen über und die Affinität zu ihren Großeltern und den weiter zurückliegenden Ahnen wurden ihr von Kindesbeinen an vermittelt, so wie es in den höheren Kreisen, in denen sie zur Welt kam, eher die Regel als die Ausnahme war. Gisèle war empfänglich dafür.“

Und bei dem Floh? Gab es da auch so etwas wie ein „warmes Gefühl der Verwandtschaft“ in seiner Familiengeschichte?

Wohl kaum. Statt wärmendem Pelzmantel wohl eher Kühlschrank. Weder zu seinen Großeltern, noch zu seinen Eltern hatte er ein zutrauliches Verhältnis. Meist standen oder saßen sie sich schweigend gegenüber. Was hätte man auch sagen sollen? Das Leben der Großeltern, von dem er nur sehr bruchstückhaft erzählt bekam, wenn überhaupt, muss im letzten Viertel des 19. Jahrhundert in Unterfranken genauso wie im Vorgebirge bei Bonn mühsam und entbehrungsreich gewesen sein. Seufzendes Schweigen war darüber ausgebreitet und von den Mühen des Ersten Weltkrieges erst recht keine Spur. Vielleicht ein dunkelbraunes Foto in feldgrauer Uniform. Auch von den Hungermonaten 1916/17 nichts. Vergrämte Gesichter, ja, aber den Enkeln gegenüber höchstens ein Klappern mit den losen Gebissen.

Die Eltern seines Vaters waren von Schwabach nach Siegburg ausgewandert, um in Troisdorf bei Dynamit Nobel Arbeit zu bekommen. Eine Schreinerfamilie war es. Franz Seiler senior, Franz Seiler junior, seien Opa, sein Vater. Anders die Eltern seiner Mutter. Denen gelang es, in Siegburg eine florierende Metzgerei aufzubauen, so dass eine Tochter sogar in den dreißiger Jahren in Köln auf der Musikakademie Gesang studieren durfte. Sybilla Losem. Und wenn der Satz von der entscheidenden Rolle der Herkunft und der Erziehung richtig ist, dann wurden seine Eltern vor und nach dem Ersten Weltkrieg selbstredend im Sinne der schwarzen Pädagogik erzogen, überwölbt von einem herben Katholizismus, in dem Sünde und Strafe sicher die kalten Eckpfeiler des Portals zu den Seelen waren.

In diesen Echoraum wurde 1945 dann der Floh geboren, noch in den letzten Wochen der sechsjährigen Schlächterei.

Dazu passt aus seiner Sicht wie die Faust aufs Auge ein Dürrenmatt-Zitat zu dessen eigener Kindheit:

„…Nach eigenem Bekunden hatte Dürrenmatt schon als Kind „diese Empfindung des

Grausamen, diese Empfindung des Eingepferchtseins, des Unübersichtlichen, ich möchte

fast sagen: Das Empfinden des Minotaurus, der inmitten des Labyrinths sitzt und nicht

weiß, was auf ihn zukommt. Ich glaube, ich war ein Kind, das sehr unter Angstgefühlen

und darunter litt, dass es sehr viele Dinge nicht durchschaute.“

17 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 111

Katerstimmung im Olymp.

Die drei glücklosen göttlichen Brüder sitzen bedrückt in ihrer Bar auf dem Olymp, trinken Nektar und Ambrosia, schlürfen gelangweilt vor sich hin und starren ins Leere.

Zeus war nicht entgangen, dass seine allzu kluge Tochter Athene nicht zu Hause war; so konnten sie nach ihrem missglückten Unternehmen „Europas Brüder in die Irre leiten“ ungesehen auf den Olymp zurückkehren und Kriegsrat halten.

Nicht nur hatten diese drei Brüder der verruchten Europa bös mitgespielt – ihre wirklich klugen Pläne waren allerdings alle daneben gegangen – sondern auch auf Kreta läuft alles aus dem Ruder:

– der Minos will wieder heiraten

– Europa soll seine neue Frau werden, obwohl sie schwanger ist

– Die Hohepriesterin übt weiter fleißig mit ihren Novizinnen an diesem Tanz, der zum Frühlingsfest vor dem Palast aufgeführt werden soll

– alle ihre Verbündeten auf der Insel haben jämmerlich versagt. Jetzt müssten sie es eben selber in die Hand nehmen.

„Dieses Tanzfest darf auch gar keinen Fall stattfinden.“ Zeus versucht seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Aber seine beiden Brüder, Poseidon und Hades, spüren genau, dass ihr Bruder nur wütend und ratlos ist.

„Tja, wie wahr, wie wahr“, stimmt ihm Poseidon lustlos zu.

„Haben ja noch jede Menge Zeit“, versucht Hades zu trösten.

Da geht die Tür auf und Hera steht staunend im Türrahmen:

„Was ist denn hier los? Ihr sehr ja ziemlich niedergeschlagen aus. Wer hat euch denn diesmal ein Schnippchen geschlagen?“

Zeus ist es gar nicht recht, dass seine Frau ihn hier so sieht. Und überhaupt. Eigentlich taucht sie hier nie auf. Komisch. Im fällt einfach keine witzige Antwort ein, damit alle lachen können und der peinliche Moment überspielt wäre.

„Wir üben gerade für ein neues Theaterstück, dass unser Tausendsassa Dionysos mit uns aufführen möchte. Da müssen wir eine ganz düstere, traurige Szene drin spielen, stimmt‘s?“

Hera bekommt einen Lachanfall. Sie glaubt denen kein Wort.

„Ach ja? Dionysos spielt mit euch Theater? Wenn ihr wüsstest, wie recht ihr habt.“

Mit schallendem Gelächter knallt sie die Tür zur Bar wieder zu. Zeus, Hades und Poseidon schauen sich verdutzt an. Wie hat sie das gemeint? Hat Dionysos sie etwa auch hinters Licht geführt? Als hätten sie nicht schon genug Probleme mit dieser eingebildeten Europa.

Da geht die Tür schon wieder auf, Zeus kann es nicht fassen, leichenblass:

„Ach hier bist du, Papa, ich hatte dich auf der Erde gesucht. Wolltest du da nicht…?“