04 Apr

AbB – Erneute Annäherungen – 2021 – Leseprobe – Ostern

Dekamerone? Denkste! Es sind nicht nur zehn Tage, es sind Wochen und Monate…da kann man glatt tausend Geschichten erzählen – so als Überbrückung…

Die neue Pest hat nun schon mehr als ein ganzes Jahr den Erdball fest im Griff. Wird sie an einer Stelle zurückgedrängt, meldet sie sich umso gewaltiger an anderer Stelle wieder zu Wort. Sisyphus lässt grüßen. Aber die Erdlinge müssen weiter an einen Sieg glauben. Zu sehr schreckt sie verfrühter Tod.

Jetzt – es ist Ostersonntag 2021 – zeigt sich der Feiertag in grauen und kalten Gewändern und lustloser Aufmachung. Landauf, landab kämpfen die Menschen gegen Windmühlen, so scheint es. Deshalb sind sie wütend und wenig einsichtig. Sie wollen ihr altes Leben zurück. Aber wie? Überall lauert der unsichtbare Flieger, sich durch die Nasenlöcher heimlich in die Lungen einzuschleichen und dort sein mörderisches Treiben zu veranstalten.

Ein Totentanz – lautlos und höchstens röchelnd später dann.

Millionen sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Und jeden kann es treffen. Die Leugner genauso wie die Vorsichtigen. Und jeder bastelt weiter an seiner „wahren und frei erfundenen Geschichte“ wie ein leidenschaftlicher Rufer in der Wüste. Und die verwöhnten Zeitgenossen – Aufschieben Können ist keine Kunst mehr, höchstens noch ein Tun von Verlierern oder Heulsusen – spüren zwar, dass ihr Versumpfen im Digitalen Tag und Nacht weder Befriedigung noch Zuwachs bringt, aber sie halten jedes Besinnen auf die Neuentdeckung der Langsamkeit und Bescheidenheit für eine erbärmliche Schwäche, stattdessen beharren sie störrisch auf den eingeübten Mustern, als wären es Naturgesetze. Dabei könnte die Verlangsamung des Alltags eine Menge drängender Wahrheiten ans Licht spülen:

1. Die Erdlinge verbrauchen viel mehr als sie für ihr Auskommen nötig haben.

2. Die Erdlinge schikanieren gnadenlos die natürlichen Voraussetzungen ihres Überlebens.

3. Die Erdlinge verharren eingebildet in Mustern, die sie als unabänderlich für ihren Alltag ansehen.

4. Die Erdlinge spielen wie immer das Schwarze-Peter-Spiel: Schuld ist immer der andere, vor allem der Fremde oder das Fremde.

5. Die Erdlinge glauben zwar nicht mehr an die alten Götter, doch die neuen sind noch viel erbarmungsloser als die gestrigen.

6. Die Erdlinge könnten längst Hunger und Not auf ihrem Planeten abgestellt haben – sie müssten nur die KI dafür einsetzen.

02 Apr

Leseprobe zum historischen Roman II – YRRLANTH Blatt # 128

Diana, die Schützgöttin der Villa Marcellina, machtvolle Rächerin.

Gleich am Morgen nach dem vergeblichen Versuch der Franken, die Villa und ihre Bewohner zu vernichten, errichten die Sklaven einen großen Scheiterhaufen. Dann schleppen sie einen Toten nach dem anderen dorthin. Aufgespießt auf den Pfählen im Verteidigungsgraben von dem Südtor, von Pfeilen durchbohrt oder von den Kurzschwertern der Römer erschlagen. Lauter junge Männer, denen Pippin Beute, Reichtum und Ruhm versprochen hatte. Nun ein Raub der Flammen.

Andere Arbeiter reparieren die Dächer, die von Brandpfeilen getroffen worden waren, und die Frauen behandeln im großen Schlafsaal die Verletzten. Keine Toten. Marcellus ist stolz auf seine Leute, aber vor allem auf seinen Sohn. Denn dank seines Studiums des 7. Buches von Cäsars De Bello Gallico – wo er die Belagerung von Alesia ausführlich beschreibt – hatten auch ihr Belagerungsgraben und die Fallen ihre Funktion voll erfüllt: Die Feinde waren blindlings in ihr Verderben gerannt, die Pfeile der Verteidiger hatten den Rest erledigt.

Jetzt stehen Marcellus, der Herr der Villa, sein Sohn Julianus, dessen Lehrer Philippus und die Nachbarn Gajus und Barbinius im Tempel der Göttin Diana. Weihrauchduft erfüllt den hohen Raum. Die Männer ins Dankgebet vertieft.

„Hohe Göttin, seit so vielen Generationen schon hältst du deine schützende Hand über uns. Diesmal standen wir am Abgrund, dem Tod so nah. Aber du hast unsere Gebete erhört. Die Feinde sind alle tot. Wir werden dir ein großes Opferfest als Dank anbieten. Nimm es huldvoll an!“

Die Männer verharren still versunken lange dort, ihre Blicke versenken sich ins Abbild der Göttin, vorne in der Apsis. Streng schaut sie ins Weite, entschlossen die Hand am Bogen, den Köcher voller Pfeile und ihre Gewand gebauscht vom Wind.

„Meine Rache ist furchtbar und unerbittlich, schon immer. Die Anmaßung der Franken mit ihrem kleinen syrischen Gott hat sie blind gemacht für meine Kraft. So musste ich diese strenge Strafe über sie alle aussprechen. Seht euch vor, im Schutz der Wälder wächst weiter meine wilde Macht! Seht euch vor!“

Julianus phantasiert sich den Spruch der Göttin voller Inbrunst ins Gedächtnis, als habe sie gerade zu ihm persönlich gesprochen.

„Göttin, ich danke dir so sehr. Nun habe ich nur noch eine Bitte: Lass die Frau aus dem fernen Yrrlanth nicht zuschanden werden, lass sie leben, lass sie…“

Da kommen ihm die Tränen. Gut, dass niemand auf ihn schaut gerade.

02 Apr

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 115

Die Rückkehr der glücklosen Brüder nach Sidon / Teil II

Die drei schaffen es doch nicht vor Einbruch der Dunkelheit bis nach Sidon, ihrer Heimatstadt. Im Windschatten eines roten Felsenüberhangs fallen sie in tiefen Schlaf. Träume quälen sie dabei immer wieder. Ein grässlicher Riese – ihrem Vater, Agenor, König von Sidon und Phönizien nicht unähnlich – wirft sie wie welke Blätter ins Meer. Schreiend und mit Herzklopfen schrecken sie hoch.

„Ich hatte einen fürchterlichen Traum“, flüstert Kadmos in die mondlose Nacht.

„Ich auch.“ Kilix traut sich gar nicht, seinen Brüder zu erzählen, was er geträumt hat. Vater und Mutter als Totengeister in Höhlen umherirrend, er ruft sie an, sie antworten nicht, scheinen ihnen nicht einmal zu hören. Dann lachen sie höhnisch und lösen sich in Nebelschwaden auf.

„Und ich erst!“ meldet sich stotternd Phoinix, „ich lief hinter unserer Schwester her. Rief laut ihren Namen: Europa, Europa! Da dreht sie sich um, aber sie ist es gar nicht, es ist eine andere, eine Priesterin, ich kenne sie nicht. Sie lacht mich aus und weg ist sie.“

Die drei Brüder starren in die kalten Nacht. Was hat das zu bedeuten? Warum schicken ihre Götter ihnen solche Träume?

Sie finden keinen Schlaf mehr. So brechen sie noch vor dem Morgengrauen auf. Sidon. Was wird der Vater sagen? Sie kommen unverrichteter Dinge zurück.

Als über den Hügeln im Osten schließlich kalt und bronzen die Sonne aufgeht, können sie es nicht fassen, was sich ihren Blicken bietet:

Da, wo ihre stolze Geburtsstadt liegt, jetzt nichts als Trümmer. Die Stadtmauer eingerissen, Häuser, Paläste, alle eingestürzt, schwarz von Ruß die Reste. Ist das ein weiterer Albtraum, fragen sich die Brüder. Wie benommen nähern sie sich der nun von der Morgensonne mitleidslos beleuchteten Ruinenlandschaft, ihrer Stadt.

Am ehemaligen Stadttor finden sie schlafende Menschen. Hunde, Katzen, Maulesel stehen hungernd in ihrer Nähe; wie ein zerstörtes Standbild mutet es an, wie ein Trauerspiel auf einer verwaisten Bühne, wie lebend tot.

„He, du, wach auch!“

Die Brüder rütteln einen der Schläfer auf. Es ist eine Alte. Sie rührt sich kaum.

„Hä, was soll das, lasst mich in Ruh oder bringt es zu Ende, gleich!“ zischt sie die Drei an.

„Wir sind König Agenors Söhne, sag uns, was hier geschehen ist!“

Da bekommt die alten einen fürchterlichen Kicher- und Lachanfall, sie hustet, schluckt, kreischt:

„Des Köngs Agenors Söhne. Ihr Armen, da seid ihr nun Waisenkinder, Agenor und das gesamte Heer gibt es nicht mehr. Ufroras, der König der Assyrer,und seine wilden Horden haben alles niedergemacht, gnadenlos, alles! Die Rache des gehörnten Brautwerbers.“