29 Dez

Europa – Meditation # 306

Europa – Babylonische Sprachverwirrung? (Teil 1)

Zum Jahresende werden gewöhnlich Rückblicke montiert, die zwischen Gänsehaut-Feeling und „Na, da haben wir ja noch einmal Glück gehabt!“ changieren. So erzählen wir uns in Dauerschleife das gerade erst Vergangene als vergangen, (als würde das Vergangene nicht weiter unser treuer Begleiter und Einflüsterer sein!) schauen mutig und kritisch nach vorne und nehmen uns hier in Europa so einiges vor:

Möglichst bald klimaneutral zu wirtschaften!

Möglichst flächendeckend Schulen zu digitalisierten Hochburgen trimmen!

Möglichst Cyber-Kriminalität in den Griff zu bekommen!

Möglichst schnell die Inflation zu bremsen und wieder durchzustarten!

Möglichst vorne die 27 EU-Mitglieder im Chor der Weltmächte zu plazieren!

Dabei läuft die EU-Administration hechelnd hinter den großen Brüdern her, doch dabei geht ihnen mehr und mehr die Puste aus. Da aber in Mitteleuropa gerade eine neue Mannschaft die politische Ampel auf grün geschaltet hat, platzen die hochdotierten Beamten fast vor Euphorie und Optimismus aus den Nähten ihrer neuen Kollektionen. So basteln sie hektisch an einem progressiven Narrativ und sehen sich schon als Pioniere eines neuen Zeitalters.

Nicht so die vielen Länder Europas. Ihre jeweiligen Narrative – nach hinten wie nach vorne – speisen sich aus den reichen Sprachkammern der eigenen Sprachen. Ihre Wurzeln gehen auf wenige „Ahnen“ zurück: keltische, romanische, germanische vor allem.

In all diesen Ländern dominieren zur Zeit Zahlen und Begriffe der Pandemie die Sprachbilder: Quarantäne, Impfpflicht, Inzidenz, Genesene, Gegner. Gebetsmühlenartig werden Abend für Abend in den Medien die neuesten Tabellen und Graphiken – gerne auch mit Vergleichstabellen zu Ländern aus Übersee und Asien – unterhaltsam vorgeführt.

Wie sagen da die einschlägigen Psychologen bei so etwas gerne: „Das macht etwas mit einem!“

„DAS“ – wer oder was ist gemeint?

„ETWAS“ – wer oder was ist gemeint?

In den Familien wird gestritten, geschwiegen, Kopf geschüttelt, monologisiert. Wenn dann noch als nächstes Thema der Medien von den „Blasen“ im Internet berichtet wird, in denen sich die jungen Leute zu verlieren scheinen oder in denen sie sich ihr eigenes Körperbild demolieren lassen, dann wird nicht nur dort, sondern auch zu Hause auf die Wiederhol-Taste geklickt und schon

hat jeder seine feste Meinung, die er immer und immer wiederholt. Wie in den Medien, wie in den Blasen.

Dass aber auch über all diesen europäischen Ländern eine große Blase blubbert, die in schimmernden Farben glänzt, wird so nicht mehr erkannt, weil diese Dauer-Schleifen-Narratio längst als ganz individuelle Sehweise von jedem charakterisiert wird. Als wären es nicht alles probate Erfindungen unseres Gehirns, mit unseren Ängsten möglichst entlastend umzugehen. Der Fehler kann ja wohl nicht bei einem selbst liegen.

Die Begriffe Demokratie und Freiheit sind dabei der Saft, aus dem diese Blasen ihre Nahrung ziehen. Als Individualismus kommen sie daher und schmeicheln dem schwankenden Ego, dass es nichts und niemanden über sich dulden soll.

Es sei denn, eine Sintflut bricht über uns herein und zeigt uns die eigenen Grenzen auf: Wie sehr wir auf die uneigennützige Hilfe der anderen angewiesen sind. Schon immer.

Was soll also das Theater vom Widerstand gegen Bevormundung? Da bastelt sich doch tatsächlich eine laute Gruppe kurzerhand ein passendes Narrativ von den coolen Durchblickern, der unerbittlichen Elite der autonomen Denker, die sich einfach nicht von den Medien und deren Handlangern verführen oder gar vorführen lassen wollen!

(Fortsetzung folgt!)

28 Dez

Europa – Meditation # 305

Steter Tropfen höhlt den Stein.

Wachsen, wachsen, wachsen. Wir kennen das. Jetzt natürlich nur noch ökologisches Wachsen, naturbelassen, klar. Freie Fahrt ins Neue Jahr, die Ampel steht auf grün! Man muss es nur oft genug wiederholen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgen die Europäer zerknirscht und bankrott dem amerikanischen Lockruf, den „american way of life“ endlich zu kopieren, zu investieren, sich zu verschulden und einfach nur auf Verschwendung, Wachstum und die Börse zu setzen. Und als brave Schüler kopierten wir, was das Zeug hält, warfen Altes übereilt über Bord und fanden uns unwiderstehlich progressiv. Das dazu gehörige politische Modell, die sogenannte repräsentative Demokratie sollte auch schön wachsen. Neue Parteien wurden den alten übergestülpt, alte Muster wurden neu aufpoliert und mit Persil rein gewaschen, statt auf moralische Selbstvergewisserung, Läuterung und Schuldbekenntnis setzt Europa auf den Slogan von der Stunde NULL. Die auf der Strecke Gebliebenen und deren Nachfahren werden ins Kleingedruckte verbannt, besser noch tot geschwiegen.

In den neuen Schulbüchern wimmelt es nur so von Amerikanismen, von Neuer Welt, Neubeginn und Optimismus. Ein Aufschwung ohnegleichen scheint dem aufgezwungenen Weg recht zu geben: Die Amerikaner sind einfach die richtigen Vorbilder. Fortschritt, Wachstum.

Jetzt, nach gerade mal 70 Jahren (!), ist der Katzenjammer ebenfalls ohnegleichen: Die Vorbilder bewaffnen sich bis an die Zähne, schicken die Verlierer ihres „Wachstumsspiels“ zu Hause in die Pampas, wo sie in schäbigen Wohnwagen TV-Werbespots inhalieren bis ins Delirium, überlassen die Afghanen ihrem Schicksal, nachdem die Amis selbst keine Lust mehr haben, dort weiter die „freie Welt“ gegen das Böse zu verteidigen. Aus die Maus. Die Verbündeten können nun selbst sehen, wie sie die in den Sand gesetzten leeren Versprechungen den Opfern plausibel machen.

Zum Glück gibt es jetzt die Pandemie. Ein Feuerwerk der probaten Ablenkung von den Irrwegen der letzten siebzig Jahren.

Nutzen wir sie, so lange sie dauert, am besten im Modus der Wiederholung:

Die Börse wird im kommenden Jahr so was von durch die Decke gehen, halleluja! Also Geld riskant anlegen, wer wagt gewinnt!

Der Egoismus ist trotz allem die Lösung: Wenn jeder malocht, wird das Wirtschafswachstum so was von durch die Decke gehen, dass allen Schwarzmalern ganz schwarz vor Augen werden wird!

Und die Internetforen werden auch im kommenden Jahr dafür sorgen, dass jeder weiter daran glauben kann, was er da Tag und Nacht vorgesetzt bekommt, ungefiltert und mangels Medienkompetenz auch einfach nur zu glauben.

Derweil arbeiten die Amis – fast schon wie Fundamentalisten – an der Demontage ihres eigenen Gesellschaftsmodells. Frohes Neues Jahr dann!

28 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 129

Europas Albtraum

Was für ein Augenblick: Immer noch laden schwitzende Männer volle Amphoren von Bord des Schiffes, immer noch betrachten Chandaraissa und Europa dieses Hafentreiben voller Neugierde und Lust, immer noch schwebt die Sonne gleißend über dem Wasser, aber gleichzeitig überschlagen sich in Europas Gedanken die Bilder, die sie völlig überfluten. Ihre Augen – geblendet von den inneren und äußeren Bildern des Augenblicks laden sie wie in einem nicht enden wollenden Lichtblitz ein zu einer Reise durch Raum und Zeit. Eine grauenvolle Flugreise.

Da steht der Riese Talos grinsend vor dem Hafen. Seine Hände schleudern gerade große Felsbrocken herab, sein grölendes Gelächter dabei schmerzt in ihren Ohren. Keiner scheint die Gefahr zu bemerken außer ihr. Aber die Atemluft, die sie jetzt braucht, um einen rettenden Schrei auszustoßen, hat sie nicht. Sie scheint stattdessen zu ersticken. Schon fällt sie ins nächste Bild dieser Blitzzeitreise.

Elefanten fallen in einer Schneelawine röchelnd zu Tal, dazwischen Männer, haltlos schweben sie in einem lautlosen Todesangstgestöhn auf eisigen Pisten, dann sind es Männer auf großen Seglern, die im Feuer der Segel verenden, Explosionen, während die Schiffe prustend in Wellenbergen versinken.

Nebelschwaden verstellen ihr jedoch den Blick; weiter um Atem ringend steht sie an schmalen Gräben, in den Männer übereinander zerrissen und tot daliegen, Ratten dazwischen, Ratten. Dann hört sie neben sich Chandaraissa flüstern: „Europa, was ist mit dir?“

Sie sieht sich selbst, wie sie langsam den Kopf schüttelt, weint, nach ihr greift, die Freundin aber nicht da ist.

Aber schreiende Männer, mit weit aufgerissenen Augen, von Blitzen zerfetzt, wieder in einer eisigen Winterlandschaft. Sie sieht sie schreien, hört sie aber nicht. Voller Angst hält sie sich die Ohren zu. Da kommen die Felsbrocken direkt über ihr herunter. Jeden Augenblick, werden sie alles unter sich zermalmen. Sie meint, ihre Mutter, Telephassa, zu rufen. Die aber hat sich abgewendet, verschwindet im Palast in Sidon, wo die Mörder auf sie warten. Europa will sie warnen, vergeblich. Endlich bekommt sie wieder Luft, ihr Blick wird wieder klar, ihre Stimme hörbar:

„Chandaraissa, wir dürfen nicht länger warten. Gewitterwolken brauen sich über uns zusammen, fürchterliche.“ Die Hohepriesterin schaut sie verblüfft an. „Europa, was redest du denn da? Kein Wölkchen am Himmel. Der sonnige Nachmittag hier im Hafen könnte friedlicher nicht sein.“

Europa beginnt zu weinen. Chandaraissa nimmt sie in ihre Arme. Und Athanama – oben an Deck des großen Seglers – winkt, als habe sie Europa erkannt.

Chandaraissa sieht es:

„Europa, schau, da oben, die Fremde winkt uns!“