03 Jul

Europa – Meditation # 347

Ungebremstes Loblied auf die westlichen Demokratien.

In der SZ konnte man vor kurzem vor lauter euphorischer Texte kaum noch Atem holen, so wurde da gejubelt und beweihräuchert:

Der „Westen“ (die schlichten Formel-Begriffe schmeicheln der von der Pandemie gekränkten Konsumseele wie Samt und Seide) tritt energisch Putlers Regime mit allen Mitteln politisch, ökonomisch und militärisch entgegen. Wow!

„Die USA engagieren sich wieder stärker in Europa, das Militärbündnis stärkt mit vielen Soldaten die Ostflanke und wächst mit Schweden und Finnland im Norden.“

Wie eh und je: panem et circenses. Große Open-Air-Konzerte können endlich wieder stattfinden, Fress-Gassen platzen aus allen Nähten und Sport-Events unterhalten die genervten Zeitgenossen – Flüge werden gestrichen, Staus auf Straßen und Gleisen fordern Engelsgeduld. Aber wer hat die denn schon – angesichts blank liegender Anspruchshaltungen?

Da endlich wieder ein eindeutiges Feindbild fixiert werden kann – früher nannte man das sybillinisch „Sozial-Imperialismus“ – können alle Ressourcen wie selbstverständlich für Munition, Panzer, Kriegsschiffe und Bomber ausgegeben werden. Für die Gehälter-Streitereien in den helfenden Berufen ist da jetzt nun wirklich keine Zeit – also bitte!

Die Prioritäten sind doch offensichtlich: Die Demokratie – transparente Debatten von Parlamentsdebatten einerseits und clandestine Absprachen von Managern der Rüstungsindustrien andererseits, mit entsprechenden Boni – tut ihr bestes, die Wähler bei Laune zu halten. Schließlich ist doch schon die bloße Wirtschaftskraft der westlichen Demokratien so überwältigend groß, dass Kritiker nichts weiter scheinen, als schlecht gelaunte Verlierer im Konkurrenzkampf, der beweist, dass jeder, der will, nach wie vor vom Tellerwäscher zum Milliardär werden kann (die schlechten Charaktereigenschaften, die da knallhart zu Buche schlagen, können die Moralisten gerne an den Universitäten verhackstücken, vor Ort sind sie einfach die Voraussetzung für Erfolg); dass die Verlierer und Gekränkten, also die absolute Mehrheit in den westlichen Demokratien, nicht über die Runden kommen, krank werden (von den hybriden Krankheiten der Gewinner soll hier gar nicht erst gesprochen werden!) und unglücklich sind, soll nun federnd aufgefangen werden in einem Loblied auf die Solidarität der Verteidiger westlicher Werte, die entschlossen und geeint dem Bösen unerschrocken die Stirn bieten.

Nichts weiter als ein mieses Ablenkungsmanöver – insgeheim werden die Profiteure dem Putler sicher dankbar sein für seine martialische Vorlage.

Also sollen die Looser auch noch ein schlechtes Gewissen haben – denn die Galionsfiguren der westlichen Systeme sind ja solche Strahlemänner und -frauen, sie kennen nur ein Ziel, selbstlos die Demokratien zu verteidigen, als ginge es um ihren kleinen Garten, der von üblen Bonzen bedroht wird.

01 Jul

Europa – Meditation # 346

Wie die Europäer Sinn-Schneisen fräsen – wortreich.

Als vor sieben Monaten mit großem Pomp und Tüten voller Optimismus das Neue Jahr 2022 stürmisch begrüßt wurde – Feuerwerke inclusive – hatten sich die Europäer bereits schön eingerichtet in einer Welt, die zwar von Krisen geschüttelt war, aber nicht hoffnungslos schien. Start-ups und influencer schossen aus dem Boden, die Jugend hoffte – zusammen mit der kritischen Begleitung von friday for future-freaks – auf einfach elektrisierendes Morgenrot. Man war lange genug eingesperrt gewesen. Die Wende zum Besseren schien eingeläutet zu sein.

Schien.

Denn schon zwei Monate später verkündete die politische Klasse eine neue Wende ganz anderer Art: Alte Muster feierten urplötzlich Urständ, die Rüstungsindustrie musste sich nicht länger schämen ob ihrer Gewinne, nein, sie sprang über Nacht in den Rang einer Europa-Retterin. Wer hätte das gedacht?

Und die Grünen mutierten zu Hütern von Grund und Boden und der nationalen Sicherheit, so dass die Klimakrise auf Rang zwei rutschte und wortreich und voller Pathos den erstaunten Wählern erklärt werden musste.

Jetzt – zum Beginn des heißen Sommers – müssen erneut die Sinn-Gebungen nach justiert werden. Man wundert sich über gar nichts mehr.

Als wäre das Schwarz-Weiß-Muster des Kalten Krieges und des Ost-West-Konfliktes kein Oldie mehr, sondern brandneue Ware aus dem Kaufhaus der unerbittlichen Sinn-Stifter.

Jetzt ist der Begriff der „WENDE“ ausgelaugt, jetzt brauchen wir Europäer einen neuen, windschnittigeren: „TRANSFORMATIONEN“, heißt die neue Zauberformel – und dass gar von „einer der größten Transformationen der Menschheitsgeschichte“ geraunt wird, zeigt, dass wir in Sachen Superlative immer noch wieder einen drauf zu legen uns nicht schämen müssen.

Woher und wohin dieses „trans“ uns führen soll, bleibt dagegen dunkel. Erhellend könnte vielleicht TRANS-VERSE dabei zur Seite stehen, indem wir einfach aus dem Chaos der Sinnangebote und Wirklichkeitskatastrophen federleicht enteilen und uns viral und avatarmäßig neu aufstellen, als wäre das Leben ein Federballspiel. (Kleiner wunderbarer Nebeneffekt wäre dann: dass viele, viele neue Geräte verkauft werden könnten und atemberaubende Software-Spiele von den großen Vier aus Übersee, von den Energiewerten ganz zu schweigen – wohl dem, der sich bereits mit den entsprechenden Aktienanteilen seine Altersvorsorge geregelt hat!

Auch das „Habeck-Paradoxon“ wird so zum neuen Sinn-puzzle-Spiel, das natürlich auch „Gehen Sie zurück auf Anfang“ als Sinnangebot im Werbeprospekt bereit hält. Es wird also nicht mehr mit dem Pflug ein Zeichen in den Boden gepflügt, sondern mit dem Heimwerker-Fräser eine schnelle Sinn-Spalte ins Sein gefräst, Kollateralschäden werden im Kleingedruckten ausgewiesen. Na, dann mal vorwärts – bzw. weiter so!