31 Jul

Europa – Meditation # 406

Wie flüchtig sind all diese aufgeregten Augenblicke, Europa!

Die Print-Medien haben sie gequält, groß gemacht, geliebt, gehasst: das ehemalige KPD-Mitglied Martin Walser, den Kommunisten Marcel Reich-Ranicki, den BBC-Mitarbeiter Erich Fried. Für die allermeisten jungen Leute nicht einmal mehr ein Stichwort wert. Hä? Wer ist das denn? Wieviel Follower, auf welchen social medias sind sie aktiv? Keine Ahnung!

Dabei hatten die großen Blätter der sechziger und siebziger Jahre (DIE ZEIT, FAZ, SZ und FR, DER SPIEGEL, KONKRET…) längst ihre Feinde definiert:

Marcel Reich-Ranicki – längst aus Warschau in die ehemaligen Westzonen („Tri-Zonesien“) – emigriert, die eigene politische Vergangenheit weich gespült, um in Frankfurt, der Hochburg der Amerikaner, mit spitzester Feder schreibend und fechtend, sein Glück zu machen. Später dann im „Literarischen Quartett“ der schlecht gelaunte Dauer-Verriss-Spezialist, der für Quote sorgte und natürlich gegen den linken Romancier Martin Walser eine Breitseite nach der anderen lostrat, so dass der strampeln konnte, wie er wollte – er kam einfach auf keinen grünen Zweig.

Und wie dieser dann – nachdem ihn Reich-Ranicki 1978 scheinbar großherzig aus seiner linken Ecke gelockt hatte, in dem er dessen Novelle „Ein fliehendes Pferd“ übertrieben lobhudelnd pries und pries, dass die Rezenten in den anderen Print-Medien nur noch atemlos hinterher hecheln konnten – wie dieser Martin Walser dann seinerseits vom Leder zog, als er seinen Text „Der Tod eines Kritikers“ (2002) veröffentlichte und sich klamm heimlich freute ob der Blätterwald-Empörung europaweit.

Diese verbalen literarischen Kleinkriege taten der Auflage über Jahre im Feuilleton nur gut. In den Redaktionsstuben klatschte man sich ab, grinste dreist und freute sich diebisch. Es war wohl ein Heidenspaß und ziemlich wichtig natürlich.

Oder Erich Fried. Der Lyriker und Wanderer zwischen den Ländern Europas: Vom BBC-London ebenfalls in die ehemalige Westzone – „Tri-Zonesien“ – 1983 gab er – zwar nicht den großen Print-Medien, wohl aber einer ausgewählten Zuhörerschaft – zum Besten, was niemand hören wollte, er aber genau zu wissen behauptete: Der Tod der Terroristen in Stammheim gehe eindeutig auf das Konto eines Geheimdienstes, dessen Effizienz man ja sehr wohl kannte und auch heute noch in Europa und anderenorts zu fürchten weiß, bzw. zu schätzen weiß hinter vor gehaltener Hand, versteht sich. Ein Gefallen von einem Club für den anderen…Wem sind die Hintergründe denn da noch überhaupt bekannt – unter Jugendlichen etwa?

Wer erinnert sich denn noch daran? Wer kennt sie denn noch? Von den jungen Leuten wohl niemand, denn deren Poster-Boys spielen längst in einer völlig anderen Liga, die beinhart Tag für Tag dazu beiträgt, dass die Print-Medien den Bach runter gehen. Aber hallo! Seit wann gibt es denn erst den Begriff „social medias“ überhaupt? Gefühlt seit gestern erst – oder?

Nur einer von der alten Garde – Alexander Kluge – hat schon immer gesehen, dass es nichts anderes war als „Artisten, in der Zirkuskuppel ratlos“ (1968). Europaweit und längst auch global.

30 Jul

Europa – Meditation # 405

Das Sommerloch als „game-changer“

Die Angst geht um, weil die Medien nichts anderes zu lieben scheinen als das Fürchten lehren Tag und Nacht. Die Litanei der Krisen aber läuft längst leer – wie in leeren Kirchen eben auch.

Tritt man dann endlich vor diese leer tönenden Instrumente, die eigentlich der Kommunikation dienen sollten – wie vor die Kirche auf den leeren, sonnenheißen Vorplatz, dann hilft nur noch die Flucht: vor der Hitze, vor dem Leerlauf, vor den Halbwahrheiten, vor den Besserwissern. Aber wohin?

In dieser äußeren und inneren Leere gibt es wahrlich nur noch einen Ort, der das vom Berieseln müde Herz wieder aufrichten kann: Du selbst. Denn hinter der Poker-Face-Haltung „weiß ich doch“ sehnt es sich nach Klarheit, Ehrlichkeit und Lebensfreude. Und die gibt es eben – wie eh und je – nur durch dich selbst und im Erleben mit Gleichgesinnten. Müdigkeit macht sich breit. Doch das Sommerloch einfach nur zu verschlafen, wäre doch zu billig. Denn – da war doch was! HÄ? Was denn?

Nun, du selbst, der es längst satt hat, sich von den Politikern vorbeten zu lassen, aktuelle Entscheidungen könnten nur von den Polit-Profis angemessen gefällt werden. Um dann aber immer wieder zu erleben, dass die wirklich anstehenden Entscheidungen wortreich vertagt, verschoben, vergeigt werden – nicht aber die eigene Altersvorsorge und der nächste Karriereschritt der sogenannten Profis.

Dir selbst wird in diesem stillen Sommerloch urplötzlich klar, dass auch die Medien, die sich so gerne als vierte Gewalt im politischen Alltag aufspielen, nur auf der Klaviatur des Beschönigens, Beschwichtigens und Benebelns zu spielen verstehen, statt wach zu rütteln, zu entlarven, wirklichem Aufbruch aus dem Trott und der Misere das Wort zu reden.

Warum denn dann nicht selbst nachdenken, mit den Nachbarn offen reden und die eigenen Kinder nicht an die Elektronik zu verkaufen? Das fängt schon damit an, dass die Familie im Sommerloch gemeinsam die Tage gestaltet – in einer analogen Welt zum Anfassen, zum Spüren und zum Erleben. Keine Zeitungen, keine Videos, keine digitalen Spiele.

Wie lebensfroh doch die Stimmen der eigenen Kinder klingen, wenn sie ausgelassen mit Freunden oder den Eltern und Geschwistern lachen, streiten, diskutieren. Wie schnell sind dann die mäßigen Angebote der Medien überflüssig, weil sie eher beim Vereinsamen helfen als beim Sinnfülle steigern. Da ist dann auch gleich kein Loch mehr, keine Leere, sondern Dichte, Fülle und Zufriedenheit.

22 Jul

AbB – Erneute Versuche – # 66 Leseprobe

Und wenn es doch kein Flipperspiel sein sollte?

So lange schon lässt sich die innere Stimme übertönen von den Echos früher Einflüsterungen.

Doch der Sehnsucht Flehen lässt sich dennoch nicht übergehen.

Alles scheint wohl geordnet nach Zahlen und Figuren festgeschrieben,

Wäre da nicht in immer wiederkehrenden Tagträumen dieser störende Ton,

Der von innen her gegen das rostende Gitter so gewöhnlicher Muster alltäglicher Bilder

Anschwillt und wieder verebbt und dann wieder erneut unüberhörbar lockt:

Was soll das aufwendige Theater vor hauchdünnen Kulissen schriller Einbildungen?

Was könnte nicht alles an lustvollen Augenblicken genossen werden,

Wenn Angst und Schuldgefühle als das erkannt würden, was sie sind:

Pappkameraden, Flipperkugeln, die heimtückisch ablenken von wirklicher Lebenslust,

Weil sie scheinbar unausweichlich wie öde Ölgötzen uns im Wege stehen.