Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 164
Schiffbruch an fremden Gestaden.
Alle Götter scheinen sich gegen Europa und ihr Schiff verschworen zu haben. Warum nur? Doch darüber nachzudenken, bleibt den seekranken und um ihr Leben kämpfenden Menschen an Bord nicht die Zeit. Brecher schütten immer wieder alles unter sich zu, und wenn sie wieder Atem holen können, jagen Todesangst noch einmal die Bilder des eigenen Lebens durch ihre Köpfe.
Chaturo hat längst die Kontrolle über die Boreia verloren, seine Schreie an die Mannschaft werden von Gischtwolken verschluckt. Verzweifelt suchen Europa, ihre beiden Söhne, Athanama Halt zu finden, aber umsonst. Das Schiff, das längst zum Spielball der Wellenberge geworden ist, scheint nur noch wie ein welkes Blatt auf dem schäumenden Wasser darauf zu warten, wehrlos in der Tiefe zu versinken, zu verschwinden, für immer.
Als wäre es bereits Nacht und sie stürzten gerade kopfüber in den Hades, so ist ihnen zumute.
Da gibt es einen mächtigen Schlag von unten gegen das Schiff. Wie kleine triefende Sandsäcke werden die Menschen gegen das Vorschiff geschleudert. Planken bersten. Angstschreie. Die Boreia bäumt sich noch einmal auf, um dann völlig auseinander zu brechen und zu sinken. Europa kann es nicht fassen: Soll ich so enden, ist das, was meine große Göttin für mich bestimmt hat? Verzweifelt versucht sie ihr Söhne in diesem Wasser und zersplitternden Holzgewirr zu erblicken. Aber da trifft sie schon die nächste Welle. Wütend stürmt sie über sie hin.
„Sadamanthys, Parsephon! Wo seid ihr?“ Sie schreit. Salzwasser füllt ihren Mund, ihre Nase, ihre Ohren. Sie bekommt ein Seil zu fassen. Doch als jetzt die Brecher ablaufen, steht das Schiff – oder das, was davon noch zu sehen ist – fest an der gleichen Stelle. Wir müssen an einem Riff festhängen, geht es dem Kapitän durch den Kopf. Dann muss auch Land in der Nähe sein. Aber wie das? Sie können doch noch gar nicht an der Küste von Sidon sein. Aber wo hat sie denn in den letzten Stunden der Sturm hingetrieben?
Oben im Olymp kichert Zeus zufrieden vor sich hin.
„Das hast du gut gemacht, Poseidon!“ plappert er leise vor sich hin und nippt an seinem Becher mit Nektar und Ambrosia. Nun ist er sich ganz sicher, dass diese stolze Prinzessin aus Phönizien, die er als weißer Stier nach Kreta entführt hatte, um sie dort in seiner Höhle…Nicht mehr dran denken, befiehlt er sich, nicht mehr dran denken. Jetzt hat sie ihre Strafe.