28 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 118

Der Tag vor dem Fest.

Berberdus, der Anführer des Rates der Alten, schaut mit finsterer Miene in die Runde der alten Ratsherren. Die schlechte Laune ist in allen Gesichtern leicht zu erkennen: Archaikos, der Minos von Kreta, will morgen mit dem neuen Fest seine Herrschaft festigen. Das haben sie alle zu verhindern versäumt. Im Gegenteil, sie haben sich von Chandaraissa, der Hohenpriesterin, sogar noch schmeicheln lassen: Sie würden als die dastehen, von denen gesagt werden würde, dass sie den Machtzuwachs und den Reichtum im Palast des Minos mit befördert hätten, weil das Fest eine Wende in der Geschichte Kretas markiere.

„Pallnemvus, wie denkst du über den morgigen Tag?“ fragt Berberdus scheinbar am Urteil des reichsten Mannes auf der Insel interessiert. Der spürt, dass da eine Falle droht. Er grinst breit.

„Wie wir alle, denke ich – oder?“ Die anderen nicken zustimmend. Berberdus ärgert sich, dass sein Trick nicht geglückt ist. Palnemvus hält sich weiter bedeckt. Alle wissen, dass es ihm im Grunde unwichtig ist, ob das Fest ein Erfolg wird oder nicht. Ihm ist nur wichtig, dass sein Reichtum sich weiter vermehren kann. Sonst nichts.

Gromdas, bekannt für seine Intrigen und Lügengeschichten, ergreift, um der peinlichen Stille ein Ende zu bereiten, das Wort:

„Werter Berberdus. Es sollte uns doch wohl ein Leichtes sein, morgen unter den Leuten, die sich sicher am neuen Fest berauschen werden, das eine oder andere Gerücht zu streuen…“

„Die fremde Frau habe dem Minos mit Kräutern sein Blut verdorben, er könne jetzt…“ mischt sich Zygmontis ein. Beifälliges Lachen von einigen der alten Räte.

„Zygmontis, du riechst wohl schon den Tod des Archaikos!“ Keltberias ist es, der den Zwischenruf von Zygmontis nutzt, um gegen ihn auszuteilen. Schließlich hat Keltberias nach wie vor einen guten Draht zu Archaikos. Er weiß, dass Zygmontis gerne selber der nächste Minos wäre.

Da meldet sich Collchades zu Wort:

„Werte Ratsherren! Die Steuereinnahmen fließen gerade reichlich, das Fest wird auch das Seine dazu beitragen, dass…“

Aber auch er wird unsanft unterbrochen.

„Collchades, kümmre du dich um deine Aufgabe als Übergangsleiter der Geschäfte des Sardonios. Der Minos wird schon zu gegebener Zeit den neuen Herrn der Zahlen, Namen und Steuerrollen ernennen. Also halte dich besser zurück, es könnte dir sonst noch schaden!“

Beifälliges Gemurmel. Berberdus ist sehr unzufrieden mit dem Verlauf der Sitzung. Er hatte gehofft, von den Ratsherren ein klares Votum zu bekommen, Archaikos daran zu erinnern, dass seine Macht immer noch über den Rat der Alten gesichert oder eben auch geschmälert wird. Dieses neidische Hauen und Stechen gerade hilft doch nur dem Minos, sich sicher und sicherer auf dem Thron zu fühlen.

Der kleine Ratssaal – schon seit so vielen Generationen eine entscheidende Kammer für das Wohl und Wehe der Insel – brummt in unschönen Tönen. Die Missklänge sind ein deutliches Zeichen für die Uneinigkeit unter den Ratsherren.

Berberdus, als der Vorsitzende, klopft laut mit dem Schlegel auf die Marmorplatte.

„Ruhe, Ruhe! Angesichts des Festes sollte der Rat der Alten eine starke Säule der Einheit und Klarheit sein. Unsere Aufgabe war und ist es doch, dem Minos immer vor Augen zu führen, dass er seine Macht geliehen hat – auf Zeit und zum Wohle des Volkes.“

Er macht eine bedeutende Pause, schaut in die Runde. Die Alten blicken schuldbewusst zu Boden, nicken. Ihre Hände liegen flach auf dem kalten Marmortisch, um den herum sie ihre Plätze haben.

Insgeheim ärgert es die Ratsherren, dass es Berberdus immer wieder gelingt, sie in eine Situation zu bringen, wo sie eher schuldbewusst schweigen sollten, als aufzubegehren. Keiner meldet sich zu Wort. So fährt Berberdus fort:

„Wir werden also morgen geschlossen auf unserer Tribüne im Tempelvorhof Platz nehmen und in würdiger Haltung den Minos empfangen. Das Volk soll nicht meinen können, es gäbe Streit zwischen uns.“

Und wieder macht er eine lange Pause.

„Keltberias! Geh gleich zum Minos und melde ihm, der Rat trägt das Fest voll mit. Man werde heute Abend noch Opfer vor dem Altar der großen Göttin darbringen, damit sie uns und dem Volk gewogen bleiben möge.“

Dann macht Berberdus die kleine, immer gleiche Handbewegung, die allen signalisiert: Die Sitzung ist geschlossen.

Wortlos verlassen alle den Saal. Keiner ist zufrieden. Berberdus spürt es deutlich. Vielleicht verläuft das Fest ja gar nicht so, wie es alle erwarten. Vielleicht kommt es zu schlimmen Zwischenfällen. Dieser Gedanken scheint alle beim Gehen zu beschäftigen. Eine erbärmliche Hoffnung, die die Unzufriedenheit nur mehrt.

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