04 Mrz

Leseprobe aus den autobiographischen Blättern

Lordum, der Archäologe seines eigenen Lebens.

Die Stille tut gut. Sie verbündet sich mit der des Alls. Sie umarmt alles und jeden. Auch ihn, Lordum.

Was für einen langen Weg ist er gegangen! Wie einsam und ängstlich war er doch zu Beginn und völlig sprachlos!

Da schlug ihm die Stille in seinem kleinen Dachzimmer in der Jägerstraße schon ziemlich auf den Magen. Und unterm Bett lauerten hämisch die Dämonen. Das Schöne der Stille war dem Kind längst abhanden gekommen.

Und wie still ist es nun um ihn geworden, als alter Mann: So vielen Menschen ist er begegnet, so viele hat er so lange unterrichtet, mit so vielen hat er so oft Theaterstücke eingeübt, so lange und so viele. Was ist daraus geworden, Was ist aus diesen Menschen geworden, was für Bilder und Erinnerungen tragen sie noch von ihm in sich?

Freunde? Nein, keine.

Gute Bekannte? Ja, einige.

Jetzt? Die traditionellen Begegnungsformen haben sich klamm heimlich verabschiedet: Wer schreibt denn heute noch Briefe? So viele hat er oft und gerne geschrieben. Ob die noch irgendwo herum liegen, vielleicht sogar noch einmal gelesen werden? Wohl kaum.

Im Briefkasten nur noch Werbung, die abonnierten Zeitungen und Rechnungen.

Seitenweise schwarz gerahmte Anzeigen. Namen, Zahlen, Orte. Stille. Zeichen für das lautlose Verschwinden der Gestorbenen. Da, wo sie eben noch waren, sind sie nicht mehr. Die Leere füllt sich wieder mit neuem Leben. Am Ende zunehmende Stille, am Anfang zunehmendes Geschrei.

Und sein blog? Den füllt er Woche für Woche mit neuen Texten. Ob die gelesen werden, weiß er nicht.

Aber endlich hat er die Zeit und die Ruhe, Geschichten, Romane und philosophische Texte zu schreiben. Endlich. In erster Linie für sich selbst, für sein Selbstgespräch, für seine Selbstvergewisserung. Lautlos. Geheimnisvoll werden sie im Innern nach oben gespült, mischen sich ein ohne Voranmeldung, pausenlos. Wunderbar.

Und viel Freude bereitet ihm das Erfinden von Geschichten für die Enkelkinder: Die erste Serie – ca. 250 Geschichten – schlummern in den Dateien. Die zweite Serie – im Moment ca. 120 Geschichten – gibt es nun auch als Audio-Dateien. Wer hätte das gedacht. Laura hat ihm beigebracht,

wie man das macht. So verschickt er nun jede Woche vier Geschichten an die vier größeren Enkelkinder. Die jüngeren – Carlotta, Clara, Zoe und Johanna – müssen erst noch zur Sprache finden, dann wird er auch für sie Geschichten erfinden. Phantastische Spaziergänge, vielfarbig und voller Wunder und Geheimnisse, Woche für Woche.

Die Sprache hat ihren Dienst getan, die Sprache kann gehen. Er hat sie schätzen gelernt, hat sie sich auf der Zunge zergehen lassen, hat mit ihr gespielt und sie am Ende aber auch durchschaut. Die phantastische Lügnerin, sie! Seit der homo sapiens sie erfunden hat, ist viel Zeit vergangen, vieles vergessen worden. Und die Sprache hat sich scheinbar sogar selbstständig gemacht. Sie ist ihm eine Wirklichkeit geworden, obwohl sie doch nur eine Vorstellung, eine Einbildung bleibt.

Hier in der Kommende lebt er wie in einem kleinen Dorf. Morgens gehen die jungen Leute zur Arbeit und die Kinder zur Schule, dann wird es still im Innenhof und im altehrwürdigen Park. Abends fällt aus vielen Fenstern Licht auf den Rasen. Man sieht sie wenig, die Menschen. Die Alten sterben nach und nach…Die Elstern, Eichelhäher, Eichhörnchen und Meisen fliegen lautlos zwischen alten Bäumen hin und her und der eine oder die andere kehrt bereits repariert aus der Kardiologie zurück, als wäre nichts gewesen.

Und alle eingebunden in ihre täglichen Rituale, Gewohnheiten und Glaubenssätze. Wie die Jesiden, die Kurden, die Mennoniten, Mormonen, Angelikanen, Katholiken, Protestanten, Moslems, Hindus, Buddhisten. Allen gemein das erbärmliche, patriarchalische Grundmuster, dem sich zu lange schon als Co die Frauen unterwerfen. Gewalt und Erniedrigung nehmen sie schweigend in ihren Familien hinter verschlossenen Türen hin wie die Abfolge von Tag und Nacht.

Standard ist der Begriff Melancholie. Aber er trifft es überhaupt nicht. Er transportiert lediglich ein kulturelles Erbe, das sich im Wiederholen des Begriffs gemütlich einrichtete. Etwas wehleidig. Als wären es Gesetze der Natur, dabei spiegelt die Melancholie lediglich die Glasur über der kulturellen Evolution wider, die darunter weiter unerlöst vor sich hin wabert.

Viel eher träfe es die Wendung: eine leise, wärmende Freude umgab ihn, nahm ihn an die Hand, er ließ sich gerne von ihre führen. Still. Langsam.

26 Feb

Europa – Meditation # 380

Der Muster-Schüler Europas – schon immer.

Oder: Was tun, wenn man wieder zwischen den Stühlen hockt?

Neben den social media sind die traditionellen Medien nach wie vor der Transmissionsriemen alter und neuer Narrative.

Das lässt sich anschaulich an den neuesten Schlagzeilen zu einer angemeldeten Demonstration in Berlin zeigen: Wenn dort Tausende besorgte Bundesbürger solidarisch vor weiterer Eskalation warnen -vorne weg zwei Frauen, die stets ihre geistige Unbestechlichkeit auf ihre Fahne geschrieben haben – dann ist das nicht nur ihr gutes Recht in Sachen freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum, sondern auch das dringend notwendige Signal, sich nicht mit den heulenden Wölfen gemein zu machen, die so tun, als würden sie in ihre Rolle von der bösen Gegenseite doch nur gezwungen. Die meisten Medien tönen wie ein chorus mysticus in die gleiche Richtung: Wir müssen uns intensiver um unsere Rolle als treuester Bündnispartner profilieren. Die Zeit des Zauderns hat uns weit zurück geworfen. Drum jetzt alle mal schnell links und rechts überholen und sich als furchtlose Vorhut „mir nach!“ hervortun!

Was haben die Amis nicht alles Gutes in Mitteleuropa geleistet:

1. Im Bündnis mit den Kommunisten die Faschisten besiegt – „no fraternization!“

2. Im Vertrauen auf die Lernfähigkeit der Mitteleuropäer uns eine zweite Chance gegeben – „reeducation!“

Und wir haben brav und stumm mitgespielt. Haben sehr, sehr schnell gelernt, dass „the american way of life“ die Zukunft Europas bestimmen soll. Dass dabei die eigene Geschichte leichtfertig über Bord geworfen wurde, erweist sich angesichts der zweiten Welle amerikanischer Wohltaten – den social media – als ziemlich fragwürdig und vielleicht sogar als schmerzliche Sackgasse. Und die oft beschworene Nibelungentreue der Mitteleuropäer wird wieder einmal gebetsmühlenartig mit Angstszenarien befeuert: Ohne unseren großen Bruder aus Übersee geraten wir unter die Räder! Wenn doch endlich einmal der Muster-Knabe erwachsen werden wollte, endlich an der Seite der anderen europäischen Völker selbstbewusst die Weltmachtphantasien und Machtspiele der Großen Drei mutig in Frage stellen würde und die Reden mutiger Frauen gerne aufgreifen würde, um zu zögern, zu beschwichtigen, zur Besonnenheit aufzurufen. Das wäre dann ein erster Schritt heraus aus der scheinbaren „Alternativlosigkeit weiterer Waffenlieferungen und Drohgebärden und Sanktionsszenarien“.

25 Feb

Historischer Roman II – YRRLANTH – Leseprobe – Blatt 167

Julianus bestattet seinen Vater Marcellus.

Was für eine Ende! Julianus kann es immer noch nicht fassen. Er sieht sich immer noch neben dieser eitlen Lügnerin sitzen, sieht sie den Pokal zum Mund führen und erinnert sich auch genau an den Blick, wie sie seinen Vater beobachtete beim Trinken. Stolz. Siegesgewiss und auch voller Bosheit. Wie dumm ich doch wahr, hadert er jetzt mit sich selbst. Ich hätte es wissen müssen: Traue diesen Franken nicht! Und wieder gehen ihm die Bilder durch den Kopf, als diese Finsterlinge anrückten, um ihn festzunehmen. Und was für ein Wunder: Die fränkischen Leibeigenen seines neuen Lehens verteidigen ihn. Welche Götter hatten ihm da beigestanden? Er weiß es nicht.

Vor sich – auf dem Scheiterhaufen – sein Vater. Die Giftmischerin ist längst außerhalb der Villa in einer schnell gegrabenen Grube unter die Erde gebracht worden. Die Sklaven der Villa haben es voller Zorn für ihn erledigt. Schweigend stehen sie um den Scheiterhaufen herum. Tränenschwer, mit geneigten Häuptern.

Im Dämmerschein dieses unglückseligen Tages greift Julianus nun zur Fackel, die sein alter Lehrer, Philippus, für ihn bereit hält. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen der Villa stehen in einem großen Kreis um ihren toten pater familiae herum. Sie wissen, was sie mit ihm alles verlieren, sie ahnen, dass die Zukunft nur düster für sie sein wird. Die Franken verachten die Römer. Nicht nur weil sie lesen und schreiben können, die Römer, nein, auch weil sie auf eine lange und stolze Geschichte zurückblicken können. Weil sie immer noch ihren alten Göttern opfern.

In weiße Laken gehüllt liegt er oben auf dem hohen Katafalk, der edle und gebildete Senator Marcellus. Tot. Vergiftet. Was für ein unwürdiges Ende für diesen weisen Mann. Philippus, der ja auch Marcellus Berater war in all den schwierigen Jahren, lässt seinen Tränen freien Lauf.

Die Flammen greifen gierig um sich, lodern flackernd auf. Julianus hebt nun beide Arme hoch und ruft lauf:

„Sol invictus, sol invictus! Wir dienen dir, wir opfern dir, wir flehen um deine Hilfe – lass diese ruchlose Tat nicht ungesühnt geschehen sein!“

Da heben auch alle anderen Trauernden ihre Arme, rufen gemeinsam Sol Invictus an – obwohl sie alle getaufte Christen sind, inzwischen. Verbeugen sich bis zum Boden, recken erneut ihre Arme und wiederholen in einem fort den Namen des römischen Gottes: Sol Invictus, sol invictus!

Und Julianus verspricht seinem Vater, ihn zu rächen.