22 Apr

Leseprobe # 3 Echos aus gelebtem Leben – Autobiographiesplitter

23 Echo das dreiundzwanzigste 11-03-16

Aus:  Wolfgang Herrndorf. Arbeit und Struktur:

W.H. „15.12.2010 16:37 Prof. Moskopp zitiert Schiller, Benn, Wittgenstein. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, dies sei, so Prof. Moskopp, vermutlich zu plakativ (mot juste vergessen). Einigkeit mit Tom Lubbock, der Worte und Sprache verliert, und dennoch: „My thougths when I look at the world are vast, limitless and normal, same as they ever were.“

js – DO 16.12. 2010 14:40

Laura hatte auf dieser Seite des TG ein Zitat von Humboldt hingeschrieben:

Die Zeit ist nur ein leerer Raum, dem Begebenheiten, Gedanken und

Empfindungen erst Inhalt geben.

Und der alte Floh hat an diesem Tag einen zweiseitigen Eintrag in türkisfarbener Tinte verfasst: …Es ist der Tag (der Vortag, also der Tag, am dem W. H. seinen Prof. Moskopp-Eintrag verfasste), an dem er mit Nora per Zug nach Lübeck fährt, wo ihr Rigorosum um 13:00 Uhr stattfinden wird. Jetzt, wo er diesen langen und detaillierten Eintrag liest, kommen tatsächlich auch die Bilder wieder zurück; sicher etwas geschönt und mit Patina versehen, aber doch wohl im Bereich des Wahrhaftigen, tangential zumindest…

Fortsetzung am 12-03-16 16:12

Am 17.12.2010 15:43 schreibt W.H.: „Unangemeldeter Besuch eines jenseitsgewissen Christen, der mein Blog gelesen hat.“

Fast gleichzeitig steht im TG des pensionierten Flohs folgendes Zitat aus Jonathan Franzens FREIHEIT , S, 71 (weitere Verweise auf S. 72, 74, 104 und 105):

„Da sie sich an ihren Bewusstseinszustand während der ersten drei Jahre am College nicht erinnern kann, fürchtet die Autobiographin, dass sie sich einfach in keinem Zustand der Bewusstheit befand. Es kam ihr zwar so vor, als ob sie wach wäre, aber in Wirklichkeit muss sie geschlafwandelt sein.“

Der ironische Unterton in W.H.’s Eintrag zeigt unterschwellig seinen Unwillen: einmal gegen die Jenseitsgewissen und sicher auch gegen falsche Empathiker. Dazu passt auch gut der Eintrag von Laura auf der gleichen Seite wie das Franzen-Zitat (zu ihrem Geschenk gehörte eben nicht nur das leere Tagebuch, sondern eben auch viele Zitate über viele Seiten verteilt. Ein schönes Geschenk):

Wer nicht in die Welt passt, der ist immer nahe daran, sich selber zu

finden.“ (Hermann Hesse)

W.H.! Du hast dich ganz sicher gefunden – nicht zuletzt in deinen eigenen Texten!