06 Mrz

Europa – Meditation # 182

Die Natur bietet uns eine Pause an.

Europa im März 2020. Der Vorfrühling zeigt schon einmal, was er so kann. Die Kraniche sind längst durch, die Vögel in den Parks und Gärten machen bereits einen auf Zweisamkeit. Da bahnt sich also wieder das alte Spiel der Natur an. Die Erdlinge aber haben für solche Beobachtungen kaum mehr Zeit, denn der Terminkalender ist übervoll – wie jedes Jahr: Skiferien wollen abgearbeitet werden, Osterferien sind längst geplant und gebucht, Konzerte, Theaterbesuche, Fêten sind eng getaktet, das Fitness-Programm soll sogar noch etwas ausgebaut werden. Und im Job wird fleißig gemobbt und getratscht, schließlich will man weiter auf der Leiter nach oben.

Und jetzt das!

Das ist der völlig falsche Zeitpunkt, das falsche Thema – für präventive Arztbesuche oder für „kürzer Treten“ ist kein Platz im Terminkalender. Also bitte, was soll das?

Da könnte glatt schlechte Laune aufkommen, echt.

Wie bitte?

Die Natur will uns nur kurz einen Schnellkurs in Entschleunigung aufbrummen.

Wie bitte?

Geh doch zu Greta und lass uns bitte unser Ding machen, wir finden diese Masche nun echt nicht mehr komisch.

Wie bitte?

Wer nicht hören will, muss eben fühlen.

Mist, mein Akku ist leer. Mist.

Was, die Messe fällt aus? Das ist doch wohl ein Witz.

Nein. Die Natur meint es ernst. Sie will uns Erdlinge – es bestehe einfach Handlungsbedarf – daran erinnern, dass die Hütte brennt und wir so tun, als wäre alles im grünen Bereich.

Und da gutes Zureden scheinbar auf verstopfte Ohren stößt, muss sie eben zu etwas stärkeren Mitteln greifen:

Wie wäre es, wenn ihr Erdlinge eure Sterblichkeit mal wieder in den Blick nähmt?

Wie wäre es, wenn ihr vielleicht für einen Augenblick über die Redewendung nachdächtet: „Mensch, die sterben ja wie die Fliegen!“ Und dabei nicht auf irgendwelche Lepra-Kranke auf irgendeinem fernen Kontinent zeigt, sondern euch selbst an der Nasenspitze fasstet und das Bild auf euch selbst bezögt? Könnte es nicht sein, dass die Erdlinge gerade im Slow-Motion-Modus daran erinnert werden, dass das alte „memento mori“ nichts an seiner kraftvollen Botschaft verloren hat? Und dass nur die zunehmende Hektik uns blendet und daran hindert, mit jedem kostbaren Augenblick unseres kurzen Besuches auf dem kleinen Planeten so behutsam und bewusst umzugehen, wie es nur eben geht? Und da die Natur unser bester Freund ist (viele finden das eher einen kitschigen und peinlichen Satz!), schenkt sie uns einfach so aus heiterstem Himmel eine Pause zum Innehalten und zum Zur Ruhe Kommen. Notgedrungen.

15 Feb

Europa – Meditation # 176

Europa! Wie langsam sind doch unsere Denkmuster!

In den fünfziger und sechziger Jahren waren uns die Denkmuster des Ost-West-Konflikts wie die Muttermilch: Unverzichtbar und wahr. Und als Sahnehäubchen kam dann noch der Overkill obendrauf. Natürlich ein Neologismus auf Englisch, versteht sich. Links und rechts galten da ja schon fast als Ladenhüter – was ehemals lediglich die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung verortete, ist bis heute – diesseits wie jenseits des Atlantiks (aber auch in Asien) – so etwas wie ein Naturprodukt, ein Unkraut zwar, aber überall vorzufinden. Darauf lässt sich gut weiter denken. Schwarz und weiß, Freund und Feind sind so beruhigend an ihren Plätzen. „Natürlich“.

Wir Europäer, die bis zum Beginn der Weltkriege großen Wert legten auf die gewachsenen Unterschiede in den Denkmuster der vielen Völker in Europa, lernten in der Not, sich mehr und mehr im Englischen denkend zu bewegen. Und der damit einhergehende Dualismus – hier Kapitalismus, dort Kommunismus – scheint nach dem untauglichen ultimativen Bild von der einen Welt erleichtert wieder zurückzukehren in vertraute Denkmuster der Zeit vor 1989.

Die Vielfalt von früher, die einen eindrucksvollen Reichtum an Sprachen, Geschichten, Bildern und Gebilden in Europa hervorgebracht hatte, gilt es nun wieder zu erinnern – wie ein Reinigungsmittel, das die bröckelnde Politur der uniformen Denkmuster des sogenannten „Post“- Postzeitalters kleinteilig zerlegen und wegtropfen lässt, bis darunter wieder heimatliche Farben und Formen sichtbar werden, die nie verschwunden waren. Sie waren nur mundtot gemacht worden – sogar unter Zutun der Europäer selbst.

Da ist der Brexit nur ein weiterer Meilenstein zurück zu mehr Selbstvertrauen in die eigene Bildersprache und Wertewelt. Das Englische wird nun wieder zu einer eigenständigen Kultursprache wie das Französische, das Italienische, das Portugiesische – um nur ein paar zu nennen.

Geschäft, Deals, Schulden, Waren, Konsum werden so wieder zu dem, was sie bloß sind: Nützliche Spielfelder für den Alltag materiellen Austauschs. Grenzenlos flutend, aber unwesentlich für den wirklichen Lebensbezug der Völker Europas in ihrem geistigen, künstlerischen und sprachlichen Austausch.

Weil aber die gewohnten Denkmuster so zäh vor sich hin wabern, bedarf es mutiger Anstrengungen eines jeden von uns, im Aufwachen aus dem öden Konsumtraum Bild für Bild, Lüge für Lüge zu enttarnen als schale Placebos eines leer laufenden Motors: Wachstum und Konsum werden so wieder zu dem, was sie wirklich sind – Parasiten am Puls des Lebens des homo sapiens.

13 Feb

Europa – Meditation # 175

Wenn gewachsene Unterschiede eingeebnet werden…

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – Amerika und Russland waren damals Bündnispartner – erkaltete diese pragmatische „Freundschaft“ über Nacht und ein „eiserner Vorhang“ trennte sie von da ab nachhaltig.

Die besiegten „Arier“ in Europa gingen demütig in die Knie, pressten für lange die Lippen aufeinander und übten einen jahrzehntelangen Kotau vor dem Sieger im Westen und dem im Osten.

Eine duftender Blumenstrauß verführerischer Begriffe wurde überreicht und dankend angenommen: Parlamentarische Demokratie, wehrhafte Demokratie, soziale Marktwirtschaft, Vielfalt, Konsum. Sozialistische Demokratie, Solidarität, Gleichheit, unerbittliche Bestrafung der Täter samt Anhang. Für viele Jahre blieben die Sieger voller Sorge im Lande, auf dass auch keiner beim Umerziehen übersehen würde. In vorauseilendem Gehorsam übernahm man Sprache, Mode, Musik und Gewohnheiten aus der Neuen Welt oder vom sozialistischen Befreier, um selbst eine scheinbar neue zu schaffen.

Jetzt – siebzig Jahre später – stehen die Europäer, und hier vor allem die Deutschen, die Streber, die immer alles gründlich richtig machen wollen, vor einem Scherbenhaufen:

Lesen und Schreiben auf deutsch übernehmen die Algorithmen gerne für den Nachwuchs dieser aussterbenden Generation. Die gelangweilten Kinder fliehen derweil lieber in die elektronischen Wolken. Da lässt sich gut ablenken, dösen und dämmern. Die eigene Geschichte, Literatur, Musik haben längst ihren Nimbus als schätzenswert eingebüßt. Mit Hilfe eines unablässig steigenden Tempos eilen die Kleinen von Bildchen zu Bildchen, kleine englische Sätzchen und Sprüche sind längst im Langzeitgedächtnis angekommen und zu einem sättigenden Brei gequollen, der so etwas wie Befriedigung erzeugen soll – aber doch nur den Ruf nach „mehr“ und „neu“ verstärkt. Die Unterschiede zwischen wichtig und unwichtig, zwischen wahr und unwahr werden Tag und Nacht digital – husch, husch, wisch, wisch – eingeebnet. Ist doch egal. Hauptsache man kann sich einfach treiben lassen. Die Kosten – Energiekosten zum Beispiel – zahlt ja scheinbar sowieso irgendjemand anderes. Oder?

Das leider weiter störende ungute Gefühl im Innern lässt sich aber einfach nicht wegwischen. Was tun?

Das ehemals duftende Ideologie-Bouquet aus Übersee zeigt nun seine stinkende Aura unverblümt: Liberal ist nichts anderes als den anderen übers Ohr zu hauen und ungestraft davonzukommen, Freiheit nichts anderes als mit den anderen Lemmingen durch die Unterhaltungskanäle zu driften, unausgeschlafen, unzufrieden, hämisch. Zunehmend prekär. Aber einen Kredit kann man inzwischen ja auch ohne Bonität leicht erhalten. Die Verschuldung ist längst so etwas wie ein Glücksspiel, bei dem man nur lang genug wetten muss; eine zweite babylonische Gefangenschaft sondergleichen, die als solche gar nicht mehr wahrgenommen wird.

Die Ideale der europäischen Neuzeit – so wie sie Kant formulierte – haben nichts von ihrer Richtigkeit eingebüßt. Reset – Neustart.