02 Feb

Europa – Meditation # 174

Was hat sich denn geändert?

Gar nichts. Außer dem Üblichen: Jeder Europäer ist wieder um einen Tag älter geworden, jeder strickt weiter an seiner privaten Lebensgeschichte und bringt dabei wie immer die üblichen Kandidaten ins Spiel, die Schuld sein sollen am eigenen Ungemach. Dass es jetzt statt 28 nur noch 27 Mitglieder in der EU gibt, macht die Sache auch nicht besser. Die Ebbe im Portemonnaie ist immer noch beachtlich, die Nachbarn scheinen immer noch nicht den Schuss gehört zu haben… und die Politiker? Denen fällt zur neuen Lage auch nichts anderes ein als die alte Leier.

Natürlich war man an der Börse nervös, natürlich gehen jetzt erst mal die Kurse nicht durch die Decke, aber sonst?

Sonst ist doch alles beim Alten geblieben. Wie denn auch nicht?

Die Portugiesen freuen sich über ihren Aufschwung, die Griechen träumen von einer neuen Ära mit dem großen Bruder aus Fernost, die Italiener wissen zwar, dass sie die Via Appia haben, aber wer will denn schon gerne zu Fuß von Rom nach Brindisi gehen? Es sein denn, es gibt dafür Subventionen aus Brüssel – zum Beispiel für eine neue Sesselbahn, die man sich gerne auch zweimal bezahlen lässt. Und die Phlegräischen Felder? Wer weiß denn schon, wo die überhaupt sind, diese Felder und was es mit ihnen auf sich hat? Erdbeben und Vulkanausbrüche doch bitte schön weiter in Fernost oder am Bosporus, aber doch nicht auf Capri!

Und das Summen der babylonischen Sprachverwirrung im alten Europa ist nach wie vor eine Polyphonie, die schöner gar nicht sein kann. Vielleicht stellt sich jetzt das Englisch auch mal wieder in die zweite Reihe. Finnische, schwedische und gälische Märchen haben nämlich auch eine Bilderfülle anzubieten, die seinesgleichen sucht.

Vielleicht werden jetzt sogar noch mehr Reisen über den Kanal und die Irische See geplant werden als sonst – jetzt, wo Vielfalt die neue europäische Eintracht ausmacht. Der kulturelle Reichtum des europäischen Kontinents lässt sich ja gar nicht in Börsennotierungen angemessen zusammenrechnen – so überwältigend groß ist er. Das wird jedem Europäer doch immer wieder klar, wenn Gäste von Übersee durch diese Vielfalt reisen und wenn diese Gäste dann vor Staunen, Begeisterung und Hochachtung gar nicht wissen, was sie sagen sollen.

Die EU ist in dieser Wirklichkeit Europas doch nur ein mal besser, mal schlechter funktionierendes Vertragswerk zum Geschäfte Machen.

Hängen wir also den Austritt der Insel nicht zu hoch.

Die von der Insel wissen doch gar nicht, was sie den Europäern für einen großen Gefallen tun: In diesen Tagen besinnt man sich gerne wieder auf das eigene kulturelle Profil innerhalb dieser europäischen Vielfalt.

Danke für diese Chance. Danke. Wir Europäer bekommen sie jetzt einfach so. Und England bleibt – wer hätte das gedacht – weiter ein wichtiger historischer Teil dieses Kontinents.

22 Jan

Europa – Meditation # 173

Rückkehr zur eigenen Natur der Erdlinge

Wie selbstverständlich wird den Kindern im Geschichtsunterricht seit Generationen etwas beigebracht vom Krieg großer Nationen gegeneinander. Von Staaten ist die Rede, als wären es zeitlose Instanzen, ganz gleich, ob über die Spätantike, dem Zeitalter der Völkerwanderung (auch so ein scheinbar selbstverständlicher Begriff) gesprochen wird oder über die Mayas. Immer ist dabei ungefragt Gewalt im Zentrum: die mächtigen Männer haben scheinbar das Recht, anderen Gruppen, Menschen, Gefangenen das Leben nehmen zu dürfen – das 19. und 20 Jh. ist voll von solchen gewaltsamen Vernichtungsorgien. Und auch im 21. Jh. setzt sich das alte Muster fort – die sogenannten Großmächte verfügen über Waffenarsenale, die scheinbar gebraucht werden sollen. Männer halten sie instand, Männer erfinden neue Varianten von Tötungsmaschinen – die unbemannte Drohne ist nur das vorläufig letzte Exemplar solcher Gewaltanwendung: Das Töten funktioniert inzwischen gesichtslos. Täter und Opfer kennen sich nur noch über den Bildschirm, wenn überhaupt. Und immer sei es „nur“ ein Selbstverteidigungstun, das selbst die Götter abnicken. Der andere ist der Schlimme, man selbst eigentlich friedliebend – so jedenfalls die Geschichte, die dazu öffentlich und in Schulen erzählt und nacherzählt wird. Höherer Auftrag, gottgewollt.

Aber dieses Bild bekommt zunehmend Kratzer, denn Nation und Krieg sind immer weniger emotionale Größen, hinter denen sich junge Männer von alten Hasen sammeln lassen. Von Frauen ganz zu schweigen.

Der Nation und auch dem Patriotismus geht die Luft aus – wie ein Kartenhaus stürzt lautlos Großmannssucht in sich zusammen (von den sowieso Unbelehrbaren einmal abgesehen) und stattdessen werden die offenkundigen Wunden endlich als das erkannt, was sie sind: Sinnlose Opfer auf einem Altar, der nur für selbstverliebte Machtmenschen und die Waffenindustrie aufgestellt wurde.

Nach zwei Weltkriegen sind die Kriege weltweit immer weniger wegen nationaler Begründungen denkbar. Das Denken erwacht langsam aus diesem langen Albtraumschlaf, weil die Verletzungen im globalen Maßstab nicht mehr national gerechtfertigt werden können. Auch die wirtschaftlichen Interessen Europas lassen sich nicht mehr hegemonial durchsetzen. China, Indien, Brasilien, USA und Russland aber halten nach wie vor ihren Macht-Tag-Traum für vernünftig und wirklich – jedenfalls versorgen die Medien im Auftrag mächtiger Männer den gemeinen Mann auch weiter ungebremst mit solchen Bildern der Vergangenheit, um weiter gewaltsam so Zukunft für die Menschen zu gestalten. Wirtschaftskriege seien eben unvermeidbar.

Doch in den Köpfen vieler – und hier könnte Europa endlich einmal gewaltfrei Avantgarde sein, als längst fällige Wiedergutmachung für die gewalttätigen Zumutungen der Europäer in den letzten Jahrhunderten – ist der Schalter längst auf grün umgestellt: Freie Fahrt für naturgemäßes Miteinander und Füreinander aller Lebewesen.

13 Jan

Europa – Meditation # 171

Ein Bumerang nach dem anderen…

Neulich erregten sich die Gemüter, als das Ende des Ost-West-Konfliktes ausgerufen wurde. Ein akademisches Vollblut erfindet schnell den schillernden Begriff von der einen Welt, der westlich geprägten, weil die Vision vom immer währenden Wachstum sich als unwiderstehlich herausgestellt habe. Aus und vorbei. In Europa atmeten viele auf, weil endlich das Ende einer selbstgefälligen Bevormundung in Ost und West zu Ende ging. Aufbruchstimmung, Selbstbestimmung. Optimismus. Und die EU bietet sich vollmundig als neues Modell grenzübergreifender Erfolgsgeschichten an. Wachsende Verdrossenheit in Sachen Teilhabe und Transparenz wird klein geredet und nicht ernst genommen. An den Rändern der sogenannten Volksparteien blühen über Nacht neue Pflänzchen, deren Duft nicht wenige betören.

Gestern war die Empörung groß, als eine Frau vor laufenden Kameras sagt:“Wir schaffen das!“ und ein Tsunami an Flüchtlingen über Westeuropa zu schwappen schien. Angst und Schrecken entpuppen sich als die probaten Gefühle, um verunsicherte Wähler an Land zu ziehen. Aus den Pflänzchen sind inzwischen stachelige Pflanzen geworden, die keiner mehr überriechen kann. Trotz jahrzehntelangem Lernen will die Demokratie einfach nicht so richtig Fuß fassen, denn Subventionen und parteipolitische Vetternwirtschaft über Jahrzehnte hin hat die Glaubwürdigkeit des westlichen Demokratiemodells empfindlich ramponiert. Jetzt gibt es viele Player europaweit: Die Briten, die Schotten und die Iren im Westen, die Ungarn und Polen im Osten, um nur ein paar zu nennen.

Und heute brennt der Wald in Australien nachhaltig, und wieder gehen die Emotionen hoch und heiß. Die Aborigines kennen schon so lange den Bumerang. Nun werden wir Ausländer alle gezwungen sein, nicht nur das Wort, sondern auch die Funktionsweise des Bumerangs zur Kenntnis zu nehmen: Denn was die Europäer einst in die Welt hineingeworfen haben, kommt nun gewaltig zurück. Der Ottomotor lässt grüßen, die Kohle auch. Und die Gretchenfrage stellt sich heute nicht mehr nach der Religion, sondern nach der Ökologie: Wie hältst du es mit dem CO2 – Abdruck? Und Wachstum um jeden Preis erweist sich endlich als das, was es ist: Raubbau am Planeten zu Lasten der Lebewesen überall. Gleichzeitig stecken die Männer immer noch fest in einem steinzeitlichen Weltbild: Der Stärkere ist auch der Bessere zurecht! Und Tarnen und Täuschen scheint nach wie vor das Erfolgsmodell – individuell wie global. So lange es dauert.

Warum sich schämen angesichts des Scherbenhaufens, den wir alle mit angerichtet haben? Das ist lähmendes Verweilen im betroffenen Nichtstun, weiter nichts. Zum Glück stecken sich an den Peripherien Europas und in den Vierteln der großen Städte Europas die jungen wie alten Mitbürger gegenseitig an, vor Ort die „Sache“ einfach so und von einem Tag auf den anderen in die Hand zu nehmen und Veränderungen in den Alltag einzuspeisen, die natürlich sind und nicht konditioniert.