Audio – Hörprobe – Widmungselegie 2021
In der lebendigen Sanduhr lautlosem Fließen fast vorzeitig ertrunken –
oder: Sieben Spuren im Sand
js erzählt Fabeln (von der kleinen FEE, die mit ihren sieben Freunde sieben Reisen macht)
js erzählt von der fast schon vergessenen Botschaft vom Glück – in minoischer Zeit
js erzählt von der fast schon vergessenen Botschaft vom Glück – in früh-fränkischer Zeit (6./7. Jh.)
js schreibt Theaterstücke: 1. Salome tanzt nicht mehr. 2. Hotelgäste.
js schreibt Elegien : Sechs Spuren im fließenden Sand
js liest aus seinem zweiten Roman – am Freitagabend, den 22. September 2017 umd 21 Uhr in der Stadtbibliothek von Bückeburg
In der lebendigen Sanduhr lautlosem Fließen fast vorzeitig ertrunken –
oder: Sieben Spuren im Sand
Dekamerone? Denkste! Es sind nicht nur zehn Tage, es sind Wochen und Monate…da kann man glatt tausend Geschichten erzählen – so als Überbrückung…
Die neue Pest hat nun schon mehr als ein ganzes Jahr den Erdball fest im Griff. Wird sie an einer Stelle zurückgedrängt, meldet sie sich umso gewaltiger an anderer Stelle wieder zu Wort. Sisyphus lässt grüßen. Aber die Erdlinge müssen weiter an einen Sieg glauben. Zu sehr schreckt sie verfrühter Tod.
Jetzt – es ist Ostersonntag 2021 – zeigt sich der Feiertag in grauen und kalten Gewändern und lustloser Aufmachung. Landauf, landab kämpfen die Menschen gegen Windmühlen, so scheint es. Deshalb sind sie wütend und wenig einsichtig. Sie wollen ihr altes Leben zurück. Aber wie? Überall lauert der unsichtbare Flieger, sich durch die Nasenlöcher heimlich in die Lungen einzuschleichen und dort sein mörderisches Treiben zu veranstalten.
Ein Totentanz – lautlos und höchstens röchelnd später dann.
Millionen sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Und jeden kann es treffen. Die Leugner genauso wie die Vorsichtigen. Und jeder bastelt weiter an seiner „wahren und frei erfundenen Geschichte“ wie ein leidenschaftlicher Rufer in der Wüste. Und die verwöhnten Zeitgenossen – Aufschieben Können ist keine Kunst mehr, höchstens noch ein Tun von Verlierern oder Heulsusen – spüren zwar, dass ihr Versumpfen im Digitalen Tag und Nacht weder Befriedigung noch Zuwachs bringt, aber sie halten jedes Besinnen auf die Neuentdeckung der Langsamkeit und Bescheidenheit für eine erbärmliche Schwäche, stattdessen beharren sie störrisch auf den eingeübten Mustern, als wären es Naturgesetze. Dabei könnte die Verlangsamung des Alltags eine Menge drängender Wahrheiten ans Licht spülen:
1. Die Erdlinge verbrauchen viel mehr als sie für ihr Auskommen nötig haben.
2. Die Erdlinge schikanieren gnadenlos die natürlichen Voraussetzungen ihres Überlebens.
3. Die Erdlinge verharren eingebildet in Mustern, die sie als unabänderlich für ihren Alltag ansehen.
4. Die Erdlinge spielen wie immer das Schwarze-Peter-Spiel: Schuld ist immer der andere, vor allem der Fremde oder das Fremde.
5. Die Erdlinge glauben zwar nicht mehr an die alten Götter, doch die neuen sind noch viel erbarmungsloser als die gestrigen.
6. Die Erdlinge könnten längst Hunger und Not auf ihrem Planeten abgestellt haben – sie müssten nur die KI dafür einsetzen.
Die Freunde wollen die Zeit in der Isolation mit Geschichten Erzählen überbrücken – damals wie heute rücken sie zusammen.
Die dritte Geschichte – erzählt von Makarìa, der Königin des Tages.
Am nächsten Tag – sie sind alle noch voller Hingabe in ihrer Tag-Traum-Welt vom Vortag unterwegs, denn dort gelten ja nicht die kleinlichen Spielregeln von Zeit und Raum – treffen sie sich wieder auf der Lichtung des kleinen Hains im Park. Umgeben von sanften Hängen, auf denen stolz schlanke Pinien nach oben streben, machen sie es sich bequem, um auf eine neue Reise in unerforschte Gegenden ihrer Seelen aufzubrechen.
Heute ist Makaría die Königin des Tages. Sie sitzt an einen alten Kirschbaum gelehnt in der Mitte der Lichtung, strahlt liebevoll ihre Freundinnen und Freunde an und gibt Panfilo ein Zeichen mit der Hand anzufangen. Der aber zögert. Sie versteht ihn auch ohne Worte. Allein sein Blick sagt ihr alles. So fängt sie also selber an zu sprechen:
„Meine lieben Freunde“. Wie von Zauberhand geht ein leises Beben durch die Runde, denn ihre weiche, tiefe Stimme trifft in allen eine Bilderwelt, die gleich zu glitzern, zu schimmern, zu strahlen beginnt. Warm, weich und wohlig schön. Frei und ungezügelt lassen sie ihren Gefühlen jede Freiheit, die sie wollen. Frei und ungezügelt kreisen in ihrem Innern wunderbare Sehnsüchte in bunten, wallenden Kleidern und Kostümen, die sich begierig drehen, tanzend schwingen und nach und nach entkleiden, abfallen wie duftende Puderwölkchen, als wären sie fleischgewordene Atemzüge, als könnten sie jede Verwandlung selbst gestalten, vogelleicht und rotkehlchenlustig. Und Makaría spürt, wie die träumende Runde nach mehr, nach noch mehr fleht und hofft. Das tut ihr so gut. So beginnen auch in ihr sonst unvorstellbare Wünsche Gestalt anzunehmen, nehmen sie mit, um frei und ungezügelt jenseits jeder Schwere leicht und heiter zu kreisen, als wäre alles möglich, alles da, was sie sich tagträumend wünscht. Was wollte sie eigentlich erzählen? Was wollte Panfilo hören? Eben noch meinte sie es genau zu wissen, da war es aber schon davongeflogen. Selbst die Frage fällt ihr nicht mehr ein. Auch dass sie alle vor der Pest hierhin aufs Land geflohen sind, dass sie hier erzählend gegen die Zeit anrennen wollen, dass sie jetzt mehr als früher das Leben in voller Blüte leben wollen, frei und ungezügelt, all das ist ihr jetzt nicht mehr Wunsch oder Zukunft, sondern wirklich da: Wie in einem Zauberkreis wandelt sie leichtfüßig auf moosweichem Boden und lässt sich von prallem Abenteuer zu prallem Abenteuer treiben als wäre es ein Traum. Sie ist sich aber sicher – und ihren Freunden geht es genauso, das spürt sie unbedingt – dass alles, was sie gerade atmend fühlt und fühlend ahnt, ganz durch sie hindurch strömt frei und grenzenlos. Wörter werden zu Figuren, Figuren zu Welten zwischen Sonne, Mond und Sternen und sie selbst auf atemlosen Flug durch unbekannte Gefühle, das warm pochende Blut in den Ader wie ein mächtiger Strom, der jede Klippe überspült wie ein Kinderspiel grenzenlos und frei. Schon immer.