18 März

YRRLANTH – Historischer Roman II – Blatt # 169 – Leseprobe

Julianus und Bordov greifen ins Rad der Geschichte.

„Das Morden muss ein Ende finden“, murmelt Bardov vor sich hin. Aber wie? Der König hat ihn erneut auf die Güter des hingerichteten Bischofs Arnulf geschickt. Der Sohn des Römers, des vergifteten Herrn der Villa Marcellina an der Liger, soll da gerade nach dem Rechten sehen., heißt es. Chlotar hatte die beiden Höfe ja dem Römer als Lehen gegeben.

Als Bardov von seinem Pferd steigt, kommt gleich aus einer der nächsten Hütten ein Leibeigner und mustert ihn misstrauisch.

„Wer seid ihr?“ fragt der Mann Bordov mutig.

„Na, wer schon, du Idiot. Ich bin Bardov, der Truchseß des Königs. Und wer bist du, hä?“

Der Mann weicht zurück, weiß nicht, was er tun soll.

„Ich? Äh, ich steh hier nur so rum“, und fängt blöde zu kichern an.

Bordov würde ihn am liebsten seine Peitsche spüren lassen, aber er hat Wichtigeres zu erledigen.

„So, so. Wo ist denn dein Herr, hä?“ setzt Bordov drohend nach.

„Unser Römer?“ der Mann dreht sich um, sucht mit Blicken das Gelände ab, zieht die Schultern hoch, hebt ratlos seine Arme.

„Keine Ahnung, Herr!“

Na bitte, geht doch, denkt Bardov, der kriegt ja fast schon ganze Sätze hin.

Da sieht er auch schon den Gesuchten über die noch unbestellten Felder heran reiten.

Bardov hält weiter sein Pferd am Zügel fest, als jetzt Julianus dicht vor ihm halt macht und absteigt.

„Bardov, hätte gar nicht gedacht, dass wir uns schon so bald wieder sehen.“

Bardov spürt ein Ziehen im Magen. Den soll ich umbringen? Niemals. Es reicht, es reicht.

„Ich auch nicht!“ erwidert Bardov und reicht Julianus die Hand.

„Bring uns was zu trinken raus, ja?“ bittet er den ziemlich blöd dastehenden Mann. Der nickt und verschwindet in seiner Hütte.

Beide binden ihre Pferde an und warten schweigend, dass der Mann zurück kommt. Dann stoßen sie freundlich lächelnd an und Julianus fragt:

„Was kann ich für dich tun, Bardov?“

„Wir müssen reden“, ist alles, was er zur Antwort bekommt.

„Gut, komm, gehen wir in mein Haus. Du bist sicher auch hungrig.“

Bardov nickt.

Später sitzen sie im Dämmerlicht des herunter gekommenen Pächterhauses, essen und trinken und reden und reden. Und je länger sie reden, umso mehr wird beiden klar, dass dieser König der Franken mehr und mehr zu einem Monster mutiert, das über Leichen geht und anscheinend dabei immer größeren Hunger verspürt.

Dann wird es still im Raum. Die Sonne verschwindet gerade im Westen, die Kälte kriecht unter der klapprigen Tür durch und lässt die beiden frösteln.

Sie kommen zwar beide aus zwei sehr verschiedenen Leben, der junge Römer und der altgediente Franke, aber sie haben doch mehr gemeinsam, als diese großen Unterschiede nahe legen.

Schließlich treffen sie leise, sehr leise eine Entscheidung, verabreden sich für den nächsten Tag in Lutetia. Bardov wird dem König melden, dass Julianus um eine Aussprache bittet – es gehe um den Ausbau der beiden Lehen und um die Zukunft der Villa Marcellina am Liger. Das wird den König bestimmt neugierig machen. Bardov wird dabei dem König auch indirekt zu verstehen geben, er habe bei ihrem Treffen auf den beiden Gütern dem Wunsch des Königs nicht entsprechen können, wolle das aber bei dem Besuch von Julianus in Lutetia auf jeden Fall nachholen. Auf jeden Fall. So wird der König kein Misstrauen hegen, wird Julianus einladen und Bordov dazu holen, damit der tut, was er soll.

Und während die beiden gerade schwer wiegende Entscheidungen treffen, deren Folgen das junge fränkische Königreich nachhaltig verändern werden, zieht Somythall unter dem Geleitschutz der Leute von Rochwyn weiter Richtung Westen. Yrrlanth. Mit Pippa und Sumila an ihrer Seite reiten sie in eine sehr ungewisse Zukunft. Ob Voegrun noch lebt? Was wird er sagen, wenn Somythall ihm erzählt, dass..? Nein, nein, nicht jetzt. Jetzt träumt sie sich lieber in eine Zukunft, in der ihre Tochter Sumila groß und stark geworden ist…

„Somythall“, fragt sie Pippa jetzt, „sollen wir Halt machen? Die Lichtung da vorne scheint mir sehr geeignet.“

Somythall nickt und schweift schon wieder in Gedanken ab. Jullianus. Ja, in manchen Augenblicken stellt sie sich vor, dass sie zur Villa Marcellina umkehren, dass sie heiraten und gemeinsam Sumila am Liger aufziehen. Der alte Lehrer Philippus könnte ihr Lesen und Schreiben beibringen. Vielleicht könnte sie ja später am Hof des Frankenkönigs eine Stelle finden, vielleicht.

10 März

Historischer Roman II – Leseprobe – YRRLANTH Blatt 168

Chlotar, der König der Franken, verliert nicht nur seine Favoritin.

Am liebsten würde er persönlich den Boten dieser schlechten Nachrichten erwürgen, aber der König reißt sich zusammen, rennt wie ein eingesperrter Bär im Käfig wütend hin und her. Bordov, seinen treuesten Gefolgsmann, wird er noch brauchen, also Ruhe bewahren.

„Der Römer vergiftet? Vergiftet? Von wem?“

Chlotar spielt den Empörten. Insgeheim freut er sich, dass sein Plan aufgegangen ist. Auf seine schöne Aemihilth ist eben einfach Verlass.

„Das will der Sohn dieses alten Römers Marcellus, Julianus, wohl noch heraus bekommen. Allein, ich muss dir noch eine weitere schlimme Nachricht überbringen, beginnt nach einer Pause Bordov erneut mit seinem Bericht aus der Villa Marcellina.

„Nun?“

„Aemihilth, deine Favoritin, ist ebenfalls tot.“

Der König erstarrt in seiner Bewegung, hält die Luft an, glotzt ins Leere. Er findet sich richtig gut, wie er den Schockierten spielt, richtig gut.

„Nein, nein, nein….“ flüstert er dann fast lautlos, „nein!“

Bordov ist unschlüssig: Soll er gehen, soll er versuchen, den Tröster zu spielen, soll er komplizenhaft zwinkern? Er weiß es nicht. Doch da erlöst ihn der König aus seiner Ratlosigkeit.

„Lasst meine Leute eine Woche lang in schwarz herum laufen und gebt die Losung heraus: Der König ist in großer Trauer um seine treue Dienerin Aemihilth. Ich will niemanden empfangen. Niemanden.“

Bordov verneigt sich gehorsam. Er bewundert die Klugheit seines jungen Königs. Aber leider muss er noch eine dritte schlechte Nachricht los werden:

„Mein König“, beginnt er zögernd, „da ist noch etwas, was ich euch sagen muss….“

Chlotar tut zuerst so, als habe er gar nicht gehört, was Bordov noch vorzubringen hat. Dann bleibt er erneut – wie in wichtiges Nachdenken versunken – stehen, schaut dann auf und fragt eher beiläufig:

„War noch was, Bardov?“

Bardov holt tief Luft und beginnt dann so, als wolle er seinem König eine kleine Geschichte zum Aufheitern vortragen:

„Tja, da ist noch dieser Junge, dieser römische; Julianus heißt er wohl oder so ähnlich, der hat sie – ohne Zeremonie – einfach so verscharren lassen und angekündigt, er wolle der „Sache“ nach gehen. Ja, genauso hat er es wohl formuliert: „Er wolle der Sache nachgehen.“

Die beiden schauen sich für einen Augenblick flüchtig an, dann beginnt der König leise zu kichern und je länger er das tut, schließt sich auch sein treuer Gefolgsmann an mit zu kichern. Schließlich verebbt das kleine Theaterstück, als hätte es gar nicht stattgefunden.

„Ich denke, wir haben noch eine Menge zu erledigen, wir beide – oder?“

fragt dann völlig unvermittelt Chlotar seinen Gefolgsmann. Bordov nickt vielsagend, verbeugt sich erneut tief vor seinem König und sucht langsam das Weite.

Kaum hat er den Raum verlassen, muss er sich an der Holzwand abstützen. Ihm ist ziemlich schwindlig.Soll das bedeuten, dass er mal wieder die Drecksarbeit erledigen soll, dass er den jungen Römer aus dem Weg räumen muss?

Bordov spürt, wie ein völlig neues Gefühl in ihm hoch kriecht. Langsam, sehr langsam. Ist dieser Auftrag vielleicht jetzt doch einer zu viel? Erschrocken blickt sich Bordov um. Hat ihn jemand beobachtet, hat er etwa seinen Gedanken gerade versehentlich laut ausgesprochen, hat ihn jemand belauscht? Weiß es der König vielleicht bereits? Muss er um sein eigenes Leben fürchten?

25 Feb.

Historischer Roman II – YRRLANTH – Leseprobe – Blatt 167

Julianus bestattet seinen Vater Marcellus.

Was für eine Ende! Julianus kann es immer noch nicht fassen. Er sieht sich immer noch neben dieser eitlen Lügnerin sitzen, sieht sie den Pokal zum Mund führen und erinnert sich auch genau an den Blick, wie sie seinen Vater beobachtete beim Trinken. Stolz. Siegesgewiss und auch voller Bosheit. Wie dumm ich doch wahr, hadert er jetzt mit sich selbst. Ich hätte es wissen müssen: Traue diesen Franken nicht! Und wieder gehen ihm die Bilder durch den Kopf, als diese Finsterlinge anrückten, um ihn festzunehmen. Und was für ein Wunder: Die fränkischen Leibeigenen seines neuen Lehens verteidigen ihn. Welche Götter hatten ihm da beigestanden? Er weiß es nicht.

Vor sich – auf dem Scheiterhaufen – sein Vater. Die Giftmischerin ist längst außerhalb der Villa in einer schnell gegrabenen Grube unter die Erde gebracht worden. Die Sklaven der Villa haben es voller Zorn für ihn erledigt. Schweigend stehen sie um den Scheiterhaufen herum. Tränenschwer, mit geneigten Häuptern.

Im Dämmerschein dieses unglückseligen Tages greift Julianus nun zur Fackel, die sein alter Lehrer, Philippus, für ihn bereit hält. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen der Villa stehen in einem großen Kreis um ihren toten pater familiae herum. Sie wissen, was sie mit ihm alles verlieren, sie ahnen, dass die Zukunft nur düster für sie sein wird. Die Franken verachten die Römer. Nicht nur weil sie lesen und schreiben können, die Römer, nein, auch weil sie auf eine lange und stolze Geschichte zurückblicken können. Weil sie immer noch ihren alten Göttern opfern.

In weiße Laken gehüllt liegt er oben auf dem hohen Katafalk, der edle und gebildete Senator Marcellus. Tot. Vergiftet. Was für ein unwürdiges Ende für diesen weisen Mann. Philippus, der ja auch Marcellus Berater war in all den schwierigen Jahren, lässt seinen Tränen freien Lauf.

Die Flammen greifen gierig um sich, lodern flackernd auf. Julianus hebt nun beide Arme hoch und ruft lauf:

„Sol invictus, sol invictus! Wir dienen dir, wir opfern dir, wir flehen um deine Hilfe – lass diese ruchlose Tat nicht ungesühnt geschehen sein!“

Da heben auch alle anderen Trauernden ihre Arme, rufen gemeinsam Sol Invictus an – obwohl sie alle getaufte Christen sind, inzwischen. Verbeugen sich bis zum Boden, recken erneut ihre Arme und wiederholen in einem fort den Namen des römischen Gottes: Sol Invictus, sol invictus!

Und Julianus verspricht seinem Vater, ihn zu rächen.