Europa – Meditation # 253
Die virtuelle Unterhaltung taugt nicht auf lange Sicht.
Spiele und Filme gibt es jede Menge, garniert mit Nachrichtensendungen, die fast nur noch ein Thema kennen: Zahlen, Zahlen, Zahlen am besten als bunte Zeichnung statistischer Werte. Das Auge parkt sie inzwischen bereits einfach unter dem Stichwort: Papierkorb.
Tag und Nacht kann der freie Weltbürger sich in der Wolke bedienen, so auch mit seiner liebsten Sportart – in Mitteleuropa Fußball und Handball vor allem. Der Zuschauer ist jetzt ein virtueller Zuschauer, denn im Stadion ist nichts zu sehen als gähnende Leere und beängstigende Stille auf den Rängen und auf dem Platz schreien sich die Spieler ihre Tipps zu, genauso wie die Trainer vom Rande. Das klingt ziemlich schräg, wenig Ohren tauglich, fast bizarr. Es erinnert mitnichten an den Gesang und die Trommelbegleitung der Fanblöcke. Das Spiel wird doch für die Zuschauer inszeniert!
Und was soll das sein, was sich da nun schon seit Monaten auf dem Monitor als buntes Pixel-Format anbiedert? Nein, das ist wahrlich nicht das, was „Mann“ und mehr und mehr auch „Frau“ so liebte an diesem wöchentlichen Sportereignis: Die Atmosphäre, das Fachsimpeln, das Fahnen Schwenken, die Gesänge, die vertraute Nachbarschaft auf den Rängen, das Bier in der Pause und der so erbärmlich verschossene Elfmeter!
Der ausgesperrte Zuschauer gerät mehr und mehr ins Grübeln? Was machen die da eigentlich auf dem Spielfeld? Geld verdienen, sonst nichts. Ihre Verträge erfüllen, sonst nichts. Jetzt wollen sie auch noch, damit sie auch weiter ihre Verträge erfüllen können, vorzeitig geimpft werden und verbrämen es mit einem geradezu zynischen Argument: Vorbild-Charakter!
Da können doch nur alle, die zur Zeit kein Geld verdienen dürfen oder die bereits zu alt sind zum Geld verdienen, höhnisch lachen. Wie bitte? Vorbilder? Da kommen einem ja glatt die Tränen. Die wollen doch nur im Geschäft bleiben und ihren Wiederverkaufswert steigern, während Theater, Kneipen und Klamottenläden (um nur ein paar wenige Bereiche aufzuzählen!) nicht nur keinen Wert mehr anhäufen können, sondern längst mit dem Rücken an der Wand da stehen oder sogar noch schlimmer.
Dem unwilligen Zuschauer vor der Glotze ist nämlich allmählich wirklich zum Kotzen zumute. Ohne Zuschauer im Stadion ist es nicht das, wofür Leute wie Messi oder Ronaldo so märchenhaft opulent bezahlt werden, es ist eine Null-Nummer. Das sollte nicht so weiter gehen! Da köchelt nämlich eine zunehmende Wut unter dem Deckel des Lock-downs, den man nicht unterschätzen sollte: Wenn panem et circenses schon immer dazu dienten, die kleinen Leute ruhig zu stellen, dann ist es nun mit der Ruhe vorbei. Der sonst lustvoll Abgelenkte fängt an über diese Leer-Veranstaltung nachzudenken – er hat ja jetzt sogar jede Menge Zeit dafür – und könnte sehr wohl zum dem Schluss kommen, genug ist genug von dieser Art. Es erfüllt seine Aufgabe nicht schlecht und recht, sondern gar nicht mehr. Ein Soli für die Zuschauer wäre doch das mindeste jetzt und zwar nicht vom Staat, sondern von den Akteuren. Wie sollen die denn sonst in Zeiten von Corona ihre Bezüge ausgeben – oder?