31 Mai

Leseprobe – YRRLANTH-Roman – Blatt 135

Blatt # 135 Im Heiligtum der alten Muttergottheiten. Teil II 31-05-21

Rochwyn reicht nun auch eine Fackel an Somythall weiter, entzündet sie. So sehen sie viel mehr von dem, was da schon seit so vielen Generationen genutzt worden war: Der schmale Gang öffnet sich nun in eine hohe Halle. Somythall hält den Atem an. Rochwyn lächelt: „Da staunst du, was? Das ist aber erst der Anfang. Auf den steinernen Bänken den Wänden entlang saßen früher die Trauergäste und auf dem Block in der Mitte wurde die Leiche aufgebahrt. Bevor sie oben verbrannt wurde, traf man sich hier unten zum Singen, Beten und Gedenken und Opfern.“

Somythall ist einfach nur sprachlos. Sie meint, die Geister, die hier früher zugegen waren, zu spüren. Lautloses Geflüster hängt in der Luft. Das flackernde Fackellicht wirkt wie stummes Gelächter der Verstorbenen, die im Raum umher schwirren – wie zu leuchtendem Wasser geronnen, das die Wände herab tropft. Ihr wird schwindlig. Sie muss sich setzen. Sie schließt die Augen. Rochwyn betrachtet sie voller Zuneigung. Auch er schweigt. Sie hängen ihren Gedanken nach, die in ihnen gerade Türen zu öffnen scheinen zu ihren Müttern, Großmüttern, Großvätern und Vätern. Das Flackern der Flammen wirkt wie huschiges Wortwispern in überbordender Stille.

Schließlich weckt Rochwyn Somythall aus ihrem Tagtraum in die Vergangenheit – hatte sie nicht sogar ihre Großmutter das Lied der großen Göttin summen hören? – , wie benommen verlassen sie die hohe Halle und betreten den weiterführenden Gang.

Aber was sie dann zu sehen bekommt, macht sie noch sprachloser und noch verwandter mit den Geistern als zuvor:

Wieder öffnet sich der schmale Gang zu einem weiten Rund mit vielen Nischen, vielen Kuppeln. Wie gebannt blicken die beiden im steinernen Saal von Nische zu Nische. Die meisten sind leer. In einigen liegen noch Reste von Statuen, Torsi. Ein Phallus.

„Es waren wohl die Kelten, die diesen Kultraum einst geschaffen haben“, beginnt Rochwyn leise zu sprechen, „sie haben hier Zwiesprache gehalten mit den Wurzeln ihrer Baumgötter und -Göttinnen. Muttergottheiten mit Namen, die keiner mehr kennt. Und in der Mitte, dort wo diese ovale Vertiefung zu erkennen ist, glühte immer ein Feuer. Oben“, Rochwyn hebt seine Fackel Richtung Decke, „genau über dieser Stelle, gibt es einen schmalen, langen und senkrechten Schacht nach oben, durch den der Rauch abziehen konnte.“

Woher weiß Rochwyn das alles? Somythall hat so viele Fragen, aber sie schweigt. Sie will ihm nur noch zuhören. Sie fühlt sich so geborgen hier unter der Erde mit ihm und mit ihren Ahnen, die sie um sich wähnt.

„Später kamen mit den Legionen der Römer neue Göttinnen und Götter dazu. Nische neben Nische standen sie hier: aus Kleinasien Mithras, vom Nil Isis, vom Tiber Sol und selbst Dionysos wurde hier gefeiert. Mänaden tanzten wild um die heiße Glut, Flötenspieler und Trommler ließen sich dazu hören. Ein wahres Pan-Theon.“

„Wie wunderbar!“ ist alles, was Somythall zu sagen wagt, „wie wunderbar.“

28 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 118

Der Tag vor dem Fest.

Berberdus, der Anführer des Rates der Alten, schaut mit finsterer Miene in die Runde der alten Ratsherren. Die schlechte Laune ist in allen Gesichtern leicht zu erkennen: Archaikos, der Minos von Kreta, will morgen mit dem neuen Fest seine Herrschaft festigen. Das haben sie alle zu verhindern versäumt. Im Gegenteil, sie haben sich von Chandaraissa, der Hohenpriesterin, sogar noch schmeicheln lassen: Sie würden als die dastehen, von denen gesagt werden würde, dass sie den Machtzuwachs und den Reichtum im Palast des Minos mit befördert hätten, weil das Fest eine Wende in der Geschichte Kretas markiere.

„Pallnemvus, wie denkst du über den morgigen Tag?“ fragt Berberdus scheinbar am Urteil des reichsten Mannes auf der Insel interessiert. Der spürt, dass da eine Falle droht. Er grinst breit.

„Wie wir alle, denke ich – oder?“ Die anderen nicken zustimmend. Berberdus ärgert sich, dass sein Trick nicht geglückt ist. Palnemvus hält sich weiter bedeckt. Alle wissen, dass es ihm im Grunde unwichtig ist, ob das Fest ein Erfolg wird oder nicht. Ihm ist nur wichtig, dass sein Reichtum sich weiter vermehren kann. Sonst nichts.

Gromdas, bekannt für seine Intrigen und Lügengeschichten, ergreift, um der peinlichen Stille ein Ende zu bereiten, das Wort:

„Werter Berberdus. Es sollte uns doch wohl ein Leichtes sein, morgen unter den Leuten, die sich sicher am neuen Fest berauschen werden, das eine oder andere Gerücht zu streuen…“

„Die fremde Frau habe dem Minos mit Kräutern sein Blut verdorben, er könne jetzt…“ mischt sich Zygmontis ein. Beifälliges Lachen von einigen der alten Räte.

„Zygmontis, du riechst wohl schon den Tod des Archaikos!“ Keltberias ist es, der den Zwischenruf von Zygmontis nutzt, um gegen ihn auszuteilen. Schließlich hat Keltberias nach wie vor einen guten Draht zu Archaikos. Er weiß, dass Zygmontis gerne selber der nächste Minos wäre.

Da meldet sich Collchades zu Wort:

„Werte Ratsherren! Die Steuereinnahmen fließen gerade reichlich, das Fest wird auch das Seine dazu beitragen, dass…“

Aber auch er wird unsanft unterbrochen.

„Collchades, kümmre du dich um deine Aufgabe als Übergangsleiter der Geschäfte des Sardonios. Der Minos wird schon zu gegebener Zeit den neuen Herrn der Zahlen, Namen und Steuerrollen ernennen. Also halte dich besser zurück, es könnte dir sonst noch schaden!“

Beifälliges Gemurmel. Berberdus ist sehr unzufrieden mit dem Verlauf der Sitzung. Er hatte gehofft, von den Ratsherren ein klares Votum zu bekommen, Archaikos daran zu erinnern, dass seine Macht immer noch über den Rat der Alten gesichert oder eben auch geschmälert wird. Dieses neidische Hauen und Stechen gerade hilft doch nur dem Minos, sich sicher und sicherer auf dem Thron zu fühlen.

Der kleine Ratssaal – schon seit so vielen Generationen eine entscheidende Kammer für das Wohl und Wehe der Insel – brummt in unschönen Tönen. Die Missklänge sind ein deutliches Zeichen für die Uneinigkeit unter den Ratsherren.

Berberdus, als der Vorsitzende, klopft laut mit dem Schlegel auf die Marmorplatte.

„Ruhe, Ruhe! Angesichts des Festes sollte der Rat der Alten eine starke Säule der Einheit und Klarheit sein. Unsere Aufgabe war und ist es doch, dem Minos immer vor Augen zu führen, dass er seine Macht geliehen hat – auf Zeit und zum Wohle des Volkes.“

Er macht eine bedeutende Pause, schaut in die Runde. Die Alten blicken schuldbewusst zu Boden, nicken. Ihre Hände liegen flach auf dem kalten Marmortisch, um den herum sie ihre Plätze haben.

Insgeheim ärgert es die Ratsherren, dass es Berberdus immer wieder gelingt, sie in eine Situation zu bringen, wo sie eher schuldbewusst schweigen sollten, als aufzubegehren. Keiner meldet sich zu Wort. So fährt Berberdus fort:

„Wir werden also morgen geschlossen auf unserer Tribüne im Tempelvorhof Platz nehmen und in würdiger Haltung den Minos empfangen. Das Volk soll nicht meinen können, es gäbe Streit zwischen uns.“

Und wieder macht er eine lange Pause.

„Keltberias! Geh gleich zum Minos und melde ihm, der Rat trägt das Fest voll mit. Man werde heute Abend noch Opfer vor dem Altar der großen Göttin darbringen, damit sie uns und dem Volk gewogen bleiben möge.“

Dann macht Berberdus die kleine, immer gleiche Handbewegung, die allen signalisiert: Die Sitzung ist geschlossen.

Wortlos verlassen alle den Saal. Keiner ist zufrieden. Berberdus spürt es deutlich. Vielleicht verläuft das Fest ja gar nicht so, wie es alle erwarten. Vielleicht kommt es zu schlimmen Zwischenfällen. Dieser Gedanken scheint alle beim Gehen zu beschäftigen. Eine erbärmliche Hoffnung, die die Unzufriedenheit nur mehrt.

26 Mai

Europa – Meditation # 267

Verwirrung der vertrauten Muster – europaweit – weltweit.

Wenn auf Island, in Afrika oder den Philippinen ein Vulkan ausbricht, verbindet das sicher nur wenige mit dem Gedanken: Die eitle Species homo sapiens sitzt bräsig auf einem Pulverfass. Wenn ordentlich konstruierte Flugkörper aus dem Weltall Bilder und Töne zur Erde senden – das dauert – dann macht das sicher nur wenige nachdenklich: Woher kommen wir, wer sind wir und wohin gehen wir? Artisten in der Zirkuskuppel – ratlos schon immer – konstruieren wir uns phantasievoll Zusammenhänge, Ursachenketten und Prognosen, an die wir glauben wollen, damit sich der Sinn einstellt, der uns frommt. Manchmal tut er es, manchmal aber auch nicht.

Immer wieder diese Rohrkrepierer!

Jetzt gerade in Stresa am Lago Maggiore. Eine herrliche Landschaft, die da im Laufe der Erdgeschichte zufällig entstanden ist und die sich die Menschen aneigneten, als wären sie die Herren im Herrenhaus. Sind sie aber nicht.

Drei Männer sollen – schließlich waren die Kassen leer, die Rücklagen längst aufgebraucht, der Schuldendienst ein Monster, die Banken unerbittlich – ungeduldig dem wieder zaghaft auflebenden Konsum etwas nachgeholfen haben. 14 Tote sind zu beklagen. Der kleine Junge, der schwerverletzt überlebte, wird wohl nie verstehen, wie Menschen so niederträchtig das Vertrauen von Menschen missbrauchen konnten.

Und in den großen Häfen der Welt laufen wieder große Passagierschiffe aus: es sollen endlich wieder Gäste Tag und Nacht unterhalten werden, die „so lange“ eingesperrt und in Angst und Schrecken versetzt worden waren.

Und in den Schulen und zu Hause kommen allmählich die Geräte an, vor denen bisher eher gewarnt wurde: wenn junge Menschen vor den Bildschirmen zu viel Zeit verbrächten, könnte das nicht nur zu irreversiblen Gehirnveränderungen führen (bei Kleinkindern vor allem), sondern auch die sozialen Kompetenzen der nachwachsenden Generation nachhaltig unterminieren, wenn nicht gar obsolet machen.

Da gibt es doch einen gewissen Herrn Lindner, der wie ein profaner Messias schon lange seine Botschaft wiederholt: Verkabelt und vernetzt und bestückt endlich die Schulen mit Elektronik, damit die Kinder möglichst früh den Umgang mit den phantastischen Geräten lernen, die in Zukunft die Berufswelt dominieren werden! Man könnte meinen, er sei ein Kinderfreund. Ist er privat vielleicht sogar. Aber dienen wird diese unumkehrbare Wende in den Schulen und zu Hause in erster Linien all denen, die Aktien der Firmen erworben haben, die solche „Sachen“ herstellen und in steigender Zahl – versteht sich – verkaufen wollen.

Die Vereinsamung und Verunsicherung der Kinder und Jugendlichen wird dann hoffentlich der Sozialstaat federn auffangen mit neuen Berufsfeldern, wo Schadensbegrenzung eingeübt werden soll. Homo sapiens!