Ein
großes Feuer für den Minos von Kreta.
„Vater,
Vater, hast du es schon gehört? Der Minos von Kreta ist gestorben!“
Tochter Athena ist es, die es in die Runde ruft. Die Familie sitzt
mal wieder gelangweilt auf dem Olymp in ihren Ohrensesseln und
schlürfen ihr Nektar und Ambrosia. Zeus, der gerade dabei ist, nach
dem üppigen Essen erschöpft wegzudämmern, fährt erschrocken hoch:
„Was
hast du gerade gesagt, Tochter?“
„Der
Minos von Kreta, Archaikos, ist tot.“
„Ja
und? Die Sterblichen pflegen nun mal eben auch zu sterben.“
Zeus
findet seinen spontanen Beitrag richtig klug und weise – und so
denkt er gleichzeitig selbstzufrieden: Da habe ich meiner dreimal
klugen Tochter mal wieder zeigen können, warum ich hier oben der
Obergott bin. Ein unterdrücktes Prusten geht durch den sonnenhellen
Palastraum.
„Warst
du da nicht erst neulich mit deinen zwei tollen Brüdern?“ hakt
Athena nach.
Zeus
antwortet zuerst einmal nicht. Natürlich hat er diesen letzten und
erfolglosen Besuch auf Kreta noch bestens in Erinnerung, natürlich.
Und gleich hat er auch wieder schlechte Laune, aber er will sich
nichts anmerken lassen, seine Tochter darf auf gar keinen Fall
dahinter kommen, dass er neulich erst eine Affäre mit dieser
phönizischen Prinzessin Europa hatte und die ihn…Schnell lenkt er
seine Gedanken auf andere Themen, zu tief sitzt noch der gekränkte
Männerstolz in seinen Adern, zu tief.
Später
– Hera, seine eifersüchtige Gemahlin, kümmert sich gerade um die
Zusammensetzung der Speisefolgen für das Festessen, das bald auf dem
Olymp stattfinden soll – sitzt er mit Poseidon und Hades in der
Olympia-Bar. Er will sie überreden, mit ihm zusammen noch einmal
nach Kreta – und selbstverständlich inkognito – zu reisen, um an
der Trauerfeier teilzunehmen. Denn jetzt, wo diese miese Europa Witwe
ist – von wem wohl die Zwillinge sind? Zeus will es gar nicht
wissen – jetzt ist die Situation sicher günstig, ihr ordentlich zu
schaden. Zeus will gar nicht mehr an die Abfuhr erinnert werden, die
ihm Hades verabreicht hat. Als wenn ein schönes Erdbeben samt
üppiger Flutwelle so eine große Sache wär!
Als
hätten auch die Götter Trauerkleider angezogen, denkt Chandaraissa,
die Hohepriesterin, als sie jetzt vor dem großen Scheiterhaufen
steht, den sie gleich entzünden muss, denn die tief hängenden,
grauschwarzen Wolken dämpfen das Tageslicht, als stünde die große
Trauergemeinde in einem unterirdischen Gewölbe, dem Licht ein
Fremdwort ist.
Von
nah und fern sind sie gekommen, die Kreter, um von ihrem Minos
Abschied zu nehmen. Das große Oval vor dem Palast ist eine einzige
schwarze Woge, die langsam hin und her schwankt und aus der der
eintönige Singsang des Trauerchors quillt wie ein lähmender
Dauerton unsäglicher Schmerzen, noch und noch. Und auf einem großen
Holzgerüst stehen die alten Ratsherren und vor ihnen in der Mitte
Europa mit ihren Zwillingssöhnen.
Und gleich neben dem Gerüst haben sich unter die Trauernden auch drei Gestalten gemischt, die ihre schwarzen Kapuzen weit über die Stirn in ihre Gesichter gezogen haben – es scheinen drei Brüder zu sein, die auch pflichtbewusst mit seufzen und stöhnen, die aber niemand zu kennen scheint. Fremde eben.
Jetzt
hebt Europa eine Hand und nach und nach verebben die Trauergesänge.
Sie ist jetzt die mächtigste Frau auf der Insel, Vormund der beiden
Nachfolger und gehasst von den Ratsherren, die sich übergangen
fühlen.
Die
drei fremden Gestalten tuscheln leise mit einander:
„Was
wird sie denn noch zu sagen haben, jetzt?“
„Sie
will doch nur zeigen, dass sie jetzt das Sagen hat!“
„Also,
mir kommt sie so vor wie eine trauernde Ehefrau, was sie ja auch
ist!“
In
die nun sich schleichend ausbreitende Stille fahren als erstes tiefe
Fanfarentöne – sie gehen durch Mark und Bein. Viele weinen in
aller Stille. Dann ist Europas Stimme – fest und klar – zu hören:
„Mitbürger,
Trauernde, Kreter!
Unser
Minos ist von uns gegangen. Er geht zu den Vätern, Vorvätern. Er
hat Kreta groß und mächtig gemacht. Er gibt uns Zuversicht für die
Zukunft. Auch den Göttern und der großen Göttin fühlte er sich
stets verpflichtet. Wir wünschen ihm eine glückliche Fahrt hinüber
in die andere Welt!“
Nun
lässt sich die Hohepriesterin ihre Fackel anzünden, dann dreht sie
sich zu dem hohen Katafalk um und entzündet ihn. Gleich jagen
spitzzüngige Flammen durchs dicke Gebälk, Rauch steigt auf, hüllt
für einen Augenblick den oben aufgebahrten Körper des Minos völlig
ein, dann züngeln die Flammen hoch zu ihm erfassen die
Leichentücher, mit denen Archaikos umwickelt ist, setzen sie wild in
Flammen, fressen sie auf. Bald ist der der große Scheiterhaufen ein
einziger, glühender Feuerball, aus dem der Minos aufsteigt wie ein
lichter Vogel, der mit seinem durchsichtigen Federwerk federleicht im
düsteren Wolkengebirge davonfliegt, schneller und schneller, weiter
und weiter.
Wie
eine wärmende Flut legt sich nun die Hitze des großen Feuerwerks
auf die Trauernden, die jetzt wieder mit ihren monotonen Gesängen
hin und her wiegen, als wären sie ein verblühtes und verkohltes
Ährenfeld, das in einer sanften Brise wellenartig hin und her zu
wogen scheint.
Hinterher, als sich nach und nach die schwarz gewandeten Menschen heimwärts wenden, mischen sich die drei fremden Gestalten unter die tuschelnden alten Ratsherren, denn Zeus möchte unbedingt wissen, was diese Greise vorhaben, um Europa und ihren Söhnen zu schaden, sie vielleicht sogar ganz aus dem Weg zu räumen – denn das wäre dann ja ganz in seinem Sinne – als erfolgreiches Ende eines so stümperhaft geführten Rachefeldzugs.