Historischer Roman II Blatt 98 (Leseprobe)
Der fränkische König im Netz seiner Einflüsterer
Wie immer lässt er sie alle warten. Schlecht gelaunt und voller Misstrauen beäugen sich die Berater im Vorraum der Königshalle. Draußen ist es bitter kalt und es regnet. Tief hängende Wolke verdunkeln den Raum, trotz mehrerer Kerzen, die in kleinen Metallpfannen an den Wänden gespenstische Schatten werfen. Wilfrid, der Truchseß, will als letzter vorgelassen werden. Arnulf, der Bischof von Metz und des Königs engster Berater, schmunzelt voller Geringachtung vor sich hin. Bitte, bitte, denkt er insgeheim. Deine Tage an der Seite des Königs sind sowieso gezählt, du weißt es nur noch nicht. Im allgemeinen Geraune fällt immer wieder die Stimme des Hofmeisters Ernólfod auf, der hüstelnd und grummelnd seinen Unwillen zum Ausdruck bringt: Der König hat ihm nichts von dieser Audienz gesagt. Was bedeutet das? Ist er in Ungnade gefallen? Und was hat Arnulf da mit diesem Heißsporn neben sich zu bereden? Wer ist das überhaupt? Ernólfod fühlt sich sehr unwohl heute morgen. Auf seine Spitzel scheint kein Verlass mehr zu sein. Seine Augen springen hastig hin und her. Seine Ohren versuchen Gesprächsfetzen aufzuschnappen, aber das Gemurmel ist insgesamt einfach zu laut.
Endlich öffnet sich die schwere Eichentür. Vom offenen Kamin her fällt warmes Licht in den Vorraum. Das Geraune verstummt nach und nach. Des Königs alter Diener, Sarboval, schaut gelangweilt in die aufgeregte Runde und nennt den ersten Namen: „Der Knappe Pippin wird vom König erwartet.“ Dieser Name fährt allen wie ein tödlicher Pfeil ins Fleisch. Was hat das zu bedeuten? Pippin? Dieser Niemand aus der dritten Reihe, was hat der König mit dem vor? Arnulf hält den Atem an, gerade wollte er Pippin noch kluge Ratschläge geben, wie er das heruntergewirtschaftete Gut, das er ihm gerade kommendiert hat, wieder zum Blühen bringen könne, da lässt ihn dieses dünne Fähnchen im Wind einfach stehen und schreitet stolz an den alten Beratern des Königs vorbei in die Halle. Und schon schließt sich wieder die Tür.
Gleich setzt ein heftiges Gerede im Vorraum ein. Die Kerzen flackern, draußen scheint es sogar noch düsterer zu werden, zischend werden vernichtende Urteile über diesen Pippin herum gereicht. Plötzlich scheinen sich die zerstrittenen Berater alle einig zu sein: Wir müssen den König vor diesem Emporkömmling bewahren. Nicht nur hat Pippin ja vom König den Zuschlag bekommen, sich im Frühjahr um die Villa Marcellina zu kümmern, nein, auch der Bischof von Metz begünstigt ihn über die Maßen. Nur weil er die Mithras-Leute in Luxovium ins Jenseits befördert hat? Oder was steckt sonst dahinter?
Drinnen spricht unterdessen der König mit Pippin.
„Luxovium, Villa Marcellina, des Bischofs marodes Gut: Es gefällt mir, wie du dem König zu dienen versuchst.“
Pippin verneigt sich tief, sein Herz klopft wie wild: „Mein König, ich kenne nichts anderes mehr, als dem Königshaus ergebenst zu dienen.“