Leseprobe – Historischer Roman II YRRLANTH Blatt 117
Vorübungen zum Sterben in Lutetia, Luxovium und in der Villa Marcellina
Milde lächelnd sieht die große Göttin im winterkalten ehemaligen Gallien Männer Männerdinge tun. Stumm, stöhnend und schwitzend stehen sie sich gegenüber und üben das Töten. Was für Toren, was für arme Narren! Die große Göttin kennt ihre Gedanken nur zu gut: Sol, der Sonnengott, führe ihnen die Hand mit dem Schwert oder dem Speer oder dem Bogen. Sie versprechen ihm Opfergaben noch und noch, nur um sich des Sieges sicher zu sein.
So im hohen alten Buchenwald bei Lutetia. Pippin will auf Nummer sicher gehen, deshalb hat er einigen herumlungernden und frierenden Männern große Versprechungen gemacht, wenn sie sich ihm anschließen. Keine Waffen, keine Erfahrung? Kein Problem. Pippa hat ihm einen Sack Münzen besorgt (wo hat sie den her? Pippin will lieber gar nicht erst fragen), damit hat er Ausrüstung gekauft und jedem, der mit kommt, zwei Silberlinge in die Hand gedrückt.
Auf einer weiten Lichtung – den ersten Schnee haben sie mühsam zu den Seiten geschoben – stehen sie sich jetzt paarweise gegenüber. Pippin gibt ihnen Befehle: „Zurück, vor, Schwertarm hoch, Gegner Schritt zurück!“ Und das immer wieder. Ihr Atem fliegt als kleine weiße Wolke aus ihren Mündern, als wären es ihre Seelen. Seelenlos schlagen sie aufeinander ein. Schrill kreischt das Metall, wenn es auf Metall trifft. Aber schon nach einer kurzen Weile wollen alle eine Pause machen. Sie haben Hunger, sind müde. Solche Anstrengungen kennen sie nicht, wollen sie nicht. Die Münzen aber schon. Also treibt Pippin sie wieder und wieder an, macht dazu neue Versprechungen, schwadroniert vom König, der sie auszeichnen werde. Und in seinem Kopf sieht er schon die Villa dieses stolzen Römers in Flammen aufgehen, hört, wie der Bischof ihn lobt, sieht sich an der Tafel des Königs sitzen.
Auch in Luxovium sieht man Männer ihrem Kriegshandwerk mürrisch nachgehen. Hier ist es Rochwyn, der seine Leute bei Laune halten will, damit sie in diesen düsteren und eiskalten Wochen nicht trübsinnig oder jähzornig werden. Er hat sie zu Schießübungen hinter dem Kloster zusammen gerufen. Die alten Eichen, die dort in Reihe stehen, als wären sie die Wächter des Klosters, will er als Zielscheibe nutzen beim Bogen Schießen. „Also los, Leute! Jeder hat zehn Pfeile. Wer sie alle dicht nebeneinander ins Ziel bringt, hat einen Lederbeutel Roten in Aussicht!“ Da geht ein Grölen durch die Reihe seiner alten Krieger. Und schon geht es los. Rochwyn weiß, wenn sie im Frühling weiter ziehen, kommen ganz andere Feinde auf sie zu, als sie bisher zu Gesicht bekamen. Und er will keinen weiteren seiner Männer verlieren. Also müssen sie besser sein als die Gegner.
Und in der Villa Marcellina? Hier sind die Fallen fertig gebaut, kunstvoll mit Reisig überdeckt und Julianus übt jeden Tag mit allen Männern der Villa den Kampf Mann gegen Mann. Sie alle wissen, um was es geht.