19 Apr.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 184

Vom Gerücht zum Gericht. Europa, die starke Frau an der Spitze (Teil II).

Suezzos, der Fremde, der im Hafen die Katze aus dem Sack gelassen hatte und damit den Stein ins Rollen brachte, der nun von Gromdas Europa vor die Füße gelegt wird, ist schmunzeln wieder auf dem Weg in den Olymp. Er freut sich diebisch, denn nicht nur kann er so die unfähigen Ratsherren für ihr Versagen öffentlich und ohne dass er persönlich eingreifen muss, bestrafen lassen, nein, auch Tochter Athene wird nun ihr Misstrauen ihm als Vater gegenüber ablegen müssen, denn Europa scheint ja auf Kreta weiter erfolgreich zu sein. Aber irgendwie kann er sich dennoch nicht so recht über seine listige Einlage als Suezzos, der Fremde, freuen. Alle seine Versuche, sich an Europa zu rächen, sind nach hinten los gegangen – ganz gleich, ob er es zusammen mit seinen Brüdern versucht hatte oder mit Äolos, dem Windgott oder mit seiner eigenen Suezzos-Idee – nichts hat genützt, nichts.

Europa ist entsetzt: denn was Gromdas ihr gerade offenbart hat, lässt das gesamte Machtgefüge auf Kreta völlig ins Wanken geraten: Ein Anschlag auf ihre beiden Söhne, auf Chandaraissa, die Hohe Priesterin und auf sie selbst, vom Rat der Alten inszeniert, und von einem von ihnen verraten, um sich selbst zu retten! Sie gibt dem Oberwächter mit gebrochener Stimme Anweisung:

„Sodontis, lass umgehend alle Ratsherren in Ketten legen. Morgen werden sie vor einem Tribunal zu dem Geschehen um den Anschlag auf dem Berg Ida befragt und verurteilt werden, wenn der Vorwurf Gromdas zutreffen sollte!“

Sodontis traut seinen Ohren nicht. Alle Ratsherren verhaften? Das, das hat es noch nie gegeben. Sprachlos starrt er Europa an.

„Aber…“, beginnt er seine Frage, die er jedoch nicht zu Ende formulieren kann, denn Europa schneidet ihm das Wort ab.

„Kein Aber! Tu, was ich dir befehle, sofort!“ Europa hat ihre Stimme wiedergefunden, schneidend und laut fährt sie den Oberwächter an. Der verneigt sich um Atem ringend. Und bevor er den Saal verlässt, holt sie ihn noch einmal zurück:

„Sodontis! Du kannst gleich hier anfangen. Der Ratsherr Gromdas ist der erste, der in Ketten zu legen ist!“

Gromdas, der den Wortwechsel zwischen Europa und dem Oberwächter stumm und verängstigt verfolgt hat, spürt bereits, dass sein Plan sich anders entwickelt, als er gedacht hatte. Dennoch versucht er, sich zu wehren, sich als treuer Ratsherr zu präsentieren, der mit seinem Geständnis doch nur Europa und ihre Söhne unterstützen will:

„Ich bin auf deiner Seite Europa, ich habe doch…“

Aber auch ihm schneidet sie das Wort ab. Sie traut ihm nicht, schließlich ist er allen bekannt für seine zahllosen Intrigen der letzten Jahre. Warum sollte er über Nacht vom Fuchs zum Lamm geworden sein?

„Schweig! Das Tribunal wird entscheiden, ob du schuldig oder unschuldig oder mitschuldig bist!“

Da fasst ihn Sodontis recht unsanft am Arm, fesselt ihn blitzschnell, als habe er das tausend mal geübt, und zieht ihn hinter sich her. Europa hört noch, wie er draußen auf dem langen Gang vor dem Thronsaal weitere Wächter herbei ruft, die Gromdas übernehmen sollen. Er muss sich um die restlichen Ratsherren kümmern.

Ich muss sofort Chandaraissa und Athanama rufen lassen und meine Söhne, geht es ihr durch den Kopf. Wie werden die Kreter diesen Anschlag der Ratsherren aufnehmen, auf welche Seite werden sie sich schlagen? Sie eilt voller Hast durch die Gänge des Palastes und will nur noch eins: Zur großen Göttin beten und zu Astarte. Nie kam sie sich einsamer vor als in diesem Augenblick. Sie muss morgen stark sein, denn sie wird den Vorsitz des Tribunals inne haben, als Regentin. Archaikos, ihr Mann, er fehlt ihr jetzt so sehr. Da fährt ihr wie ein Blitz ein Gedanke durch den Kopf: Und wenn das Ganze von ihm, von Zeus, eingefädelt ist? Wenn er sich an ihr rächen will, weil sie sich ihm entzogen hat? Wer schickt ihr gerade jetzt diesen ungeheuerlichen Gedanken?

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