AbB – „Neue Serie“ ab November 2022 – Leseprobe
„In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Weltgeschichte‘ : aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben. – So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt.“ (Friedrich Nietzsche)
Der kleine Floh – so scheint es ihm aus seiner Altersperspektive gesehen – hatte von Anfang an ein großes Misstrauen gegen diese „hochmütigen“ Erwachsenen, die für alles und jedes nicht nur einen fremd klingenden Begriff, sondern auch wortreiche Erklärungen hatten, die sie unablässig im Brustton höchster Sinngebung hinaus posaunten. Er aber hielt stumm und mit finsterer Miene dagegen. Gepaart mit der Angst, die ihn schon im Mutterleib als Dauergast nervte, waren seine Ausgangsbedingungen wahrlich bescheiden zu nennen. Ratlos stand er am Rande und konnte sich nur immer wieder wundern, wie selbstbewusst und arrogant die Erwachsenen die Welt im Griff zu haben schienen. Und da er völlig allein zu sein schien mit seiner Ratlosigkeit, hielt er sich lange für völlig fehl am Platz. Alle sahen wie Sieger aus, nur er war der große Verlierer. Das fand er ziemlich ungerecht, was ihn nur noch wütender machte. Aber auch mit seiner Wut war er völlig allein. Also profiliert er sich als der düstere Schweiger, der das Gefühl hat, einen Film anzuschauen, in dem jeder eine Rolle spielt und er nur Zaungast ist. Doch er traut ihnen nicht über den Weg. Im Grunde hält er sie alle für Bluffer, Lügner, Artisten in der Zirkuskuppel ratlos, aber es ist ihm noch nicht bewusst, es fehlen ihm die sprachlichen Mittel – erst sehr viel später wird er sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen versuchen: Er bemächtigt sich ihrer Sprachspiele und wendet sie lustvoll gegen sie. Jetzt, wo er als alter Floh erneut Nietzsche liest, (damals in Bonn und auch später in Freiburg hatte er nichts verstanden beim Lesen von Nietzsche-Texten, weil er sich auch dem bewussten Lesen verweigerte) – kann er nur staunen, wie verwandt sie beide im Denken sind: Nur geht er jetzt noch einen Schritt weiter als Nietzsche, lässt sich auf kein Spiel mit der Sprache mehr ein, sondern zertrümmert mit Wonne all die Wortklimmzüge der kulturellen Evolution, um da zu sich selbst zurückzukehren, wo das Wesen, die Natur des Lebens, pocht: im sinnlichen Sein körperlicher Vereinigung. Die Verbote, Tabus und Angstszenarien, die mittels der Patrixomanie von Geburt an allen gegen den eigenen Trieb anerzogen und ordentlich eingeübt werden, sind die schmerzende Zwangsjacke, aus der man sich befreien muss, um schwerelos im Wesentlichen anzukommen. Doch es scheint, dass dem homo sapiens die Zerstörung der Natur und seiner selbst lieber ist, als eingestehen zu müssen, dass er der dümmliche Verursacher dieser Sackgassenparade zum eigenen Untergang ist.