Historischer Roman II Blatt 189 YRRLANTH – Leseprobe
Die drei Brüder verlieren ihr Herz an Pippa und Sumil.
„Habichte!“ zischt David, als er nach oben in den wolkenverhangenen Himmel zeigt. „Falken!“ kontert Jakob sofort. „Die sind doch viel kleiner!“ schiebt Jonas hinterher. Pippa, die unbemerkt hinter ihnen gestanden hatte, lacht aus vollem Halse. Sumil beginnt zu weinen. Erschrocken drehen sich die drei Brüder um, ihr kleiner Streit ist ihnen sichtlich peinlich. „Sie hat bestimmt Hunger!“ überspielt David die Szene. „Oder sie ist einfach nur müde“, mischt sich Jonas ein, während Jakob nur die Augen verdreht und Pippa unverhohlen anhimmelt. Pippas Lachen steckt nun auch die Brüder an. Die Raubvögel über ihnen haben längst abgedreht. Was sie da unten sehen, ist nichts für sie: zu laut, zu groß, zu zappelig.
Später – der Trupp hatte sich um ein kleines Feuer herum niedergelassen, die Pferde stehen längst im Halbschlaf vor sich hin kauend einfach nur da – Rochwyns Leute und die von der hohen Höhle tauschen Erfahrungen aus, was die gefahrvolle Strecke bis zur Küste noch an bösen Überraschungen für sie alle bereit halten könnte – später ermüden auch die drei Brüder in ihren aufgeregten Versuchen, Pippa ihre versteckten Gefühle zu signalisieren.
David bietet sich immer wieder an, Sumil herumzutragen, was Pippa abschlägt. Männer sind immer so grob zu kleinen Kindern. Jonas möchte Pippa pausenlos mit Geschichten aus seiner eigenen Kindheit im fernen Argentovaria unterhalten. Warum erzählt der mir das eigentlich? Und Jakob möchte ihr die Abenteuer des Odysseus nahe bringen. Odysseus, Odysseus. Nie gehört. Sicher ein Held aus der Zeit, als die Juden in Ägypten Sklavenarbeit erledigen mussten. Ich bin einfach nur müde und unendlich traurig, weil Somythall nicht mehr da ist. Pippa kann es eigentlich noch gar nicht wirklich verstehen. Wäre es doch nur ein übler Albtraum, denkt sie verzweifelt. Dann muss sie urplötzlich wieder lächeln, denn dass die drei Brüder sich so um sie kümmern, geht ihr auch sehr zu Herzen. Und zwischen all diesen Gefühlswallungen taucht natürlich auch immer wieder dieser stolze Römer auf, mit dem sie in der hohen Höhle so unbeschreiblich glücklich war – wenigstens für Augenblicke.
„Pippa, wird dir die Kleine nicht zu schwer auf dem Arm? Ich kann sie dir gut für den Rest unserer Pause hier abnehmen.“ Dabei strahlt sie David in einer Weise an, die ziemlich viel verrät von dem, was in ihm gerade vorgeht. Seine beiden Brüder kichern nur. David wirft ihnen einen zornigen Blick zu. Doch Pippa schüttelt erneut nur mit ihrem Kopf.
Da erheben sich aber auch schon wieder Rochwyns Leute, recken sich, lachen und geben ihnen zu verstehen, dass sie weiter wollen. Auch die Leute von der hohen Höhle – völlig schweigsam und in sich gekehrt haben sie bisher den Trupp begleitet. Aber trotzdem immer nach allen Seiten forschende Blicke sendend sind sie auf ihren Pferden und mit ihren Waffen ein wohltuender Schutz.
„Aufsitzen!“ ruft ihr Anführer so laut, dass es weithin zwischen den Bäumen zu hören ist, „aufsitzen!“
Vor Schreck wacht Sumil aus ihrem leichten Mittagsschlaf auf und schreit aus Leibeskräften. Pippa versucht sie zu trösten, die drei Brüder machen sich schnell an ihren Pferden zu schaffen, denn mit schreienden Kleinkindern kennen sie sich nicht aus. Pippa summt geduldig weiche, tiefe Töne in Sumils Ohren, streichelt ihr sanft die Tränen von den Pausbacken und steht nun neben ihrem unruhig auf der Stelle tänzelnden Pferd. Da sind natürlich die drei Brüder wieder zur Stelle, jeder will ihr aufs Pferd helfen, jeder möchte die Gelegenheit nutzen, sie scheinbar völlig zufällig zu berühren. An ihren starken Armen, ihrer schmalen Hüfte, am Rücken. Und sie dabei riechen können. Diesmal ist es Jonas, der im hilfreichen Gedrängel der glückliche Gewinner ist und Pippa mit Elan in den Sattel hievt. Sumil strahlt. David und Jakob machen gute Miene zum bösen Spiel. Der soll sich nur nicht einbilden, dass er bessere Aussichten bei ihr hat als sie! Dementsprechend forsch springen sie auf ihre eigenen Pferde, und schon geht es weiter Richtung Mons Relaxus.
Unterwegs weichen die drei Brüder nicht von ihrer Seite. Dicht neben Pippa und Sumil halten sie ihre Pferde parallel zu dem ihren, dabei ist einer von den dreien immer in der misslichen Lage, dass er nicht so nah an Pippa heran kommt, als die beiden Brüder an Pippas Flanken. Gerade ist es Jonas, der das Nachsehen hat. Jakob und David grinsen. Jonas verdreht die Augen. Und über ihnen kreisen – begleitet von schrillen Schreien – zwei Greifvögel in eleganten Bögen scheinbar völlig uninteressiert und lassen sich dennoch auch nicht die kleinste Bewegung da unten entgehen.
So bilden sie drei kleine Abteilungen, die gut voran kommen: Vorne Rochwyns Leute, die insgeheim von Hibernia träumen, in der Mitte Pippa mit Sumil auf den Armen und eskortiert von den drei aufgeregten Brüdern und als kleine Nachhut die wortkargen Männer aus der hohen Höhle. Aber genauso wie die vorne kennen auch die am Ende den beschwerlichen Weg zur Küste mit all seinen Gefahren nur zu gut.