Leseprobe – YRRLANTH – Historischer Roman Blatt 160
Somythall will zusammen mit Pippa nach Yrrlanth zurück.
Marcellus ist längst wieder in der Villa Marcellina. Der König der Franken hat ihn reich beschenkt ziehen lassen. Wird nun die Zukunft der Römer rosiger aussehen? Als Marcellus seinem Sohn von den Lehen erzählt, die nun ihm anvertraut sind, weiß Julianus nicht, ob er sich darüber freuen soll oder ob dahinter ein schlimmer Plan des Frankenkönigs steckt und er sogar in großer Gefahr schwebt. Vater und Sohn kommen insgeheim überein, ihre Villa noch mehr zu befestigen und gleichzeitig Chlotar gegenüber Loyalität walten zu lassen.
„Mein Sohn, unser Leben als Römer in Reich der Franken ist alles andere als sicher. Aber auch das von Chlotar ist umstellt von Unheil und Verrätern. Wir müssen noch mehr auf der Hut sein als bisher.“
Julianus entgeht das Zittern in der Stimme des Vaters nicht. Doch er antwortet in festem Ton:
„Mein Vater, unsere Götter werden uns auch weiter beistehen, wenn wir ihnen opfern nach alter Sitte. Der Christengott, an den dieser junge König zu glauben vorgibt, ist ein weinerlicher Dämon. Und der Bischof Arnulf ist das beste Beispiel für die Schwäche dieses Dämons. Wie hätte er sonst so eine Untat zulassen können?“
Marcellus nickt fast unmerklich.
„Da stimme ich dir zu. Und deshalb werde ich meine senatorischen Freunde erneut zu uns in die Villa einladen, um mit ihnen zu beraten, wie wir uns besser wappnen können gegen neue Anschläge.“
Julianus ist erleichtert. Sein Vater – ungebrochen und zuversichtlich zugleich – ist und bleibt sein Vorbild.
„Und unsere Gäste aus Yrrlanth? Willst du sie noch länger beherbergen?“
Er weiß selbst nicht, warum er gerade jetzt diese Frage stellt. Sein Vater schaut ihn ungehalten an.
„Warum fragst du? Sie werden sicher ihre Pläne haben. Unsere Gastfreundschaft ist ihnen selbstverständlich weiter sicher.“
Während sich Vater und Sohn in der Bibliothek der Villa gerade unterhalten, sprechen auch Somythall und Pippa im Gästehaus miteinander:
„Sobald Sumila kein Fieber mehr hat, sollten wir aufbrechen – oder was meinst du, Pippa?“ fragt Somythall ihre neue Freundin. Dabei schauen sie besorgt auf das fiebernde Kind, das einfach keinen Schlaf findet.
„Wird der junge Römer mit uns kommen?“
Pippas Frage trifft Somythall mitten ins Herz. Sie weiß, dass Julianus nicht
von der Seite seines Vaters weichen wird. Sie hatten nach ihrer traumhaft schönen Nacht im Tempel der Diana lange darüber gesprochen. Sie waren beide den Tränen nahe gewesen; beide wussten, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben könnten. Somythall fühlt sich von ihrer Göttin aufgefordert, in ihrer Heimat die fast schon vergessene Botschaft vom Glück zusammen mit ihrer Tochter vorzuleben und weiterzugeben, und Julianus weiß, dass er als Römer die Villa Marcellina mit all ihren Menschen verteidigen muss. Für beide zusammen bietet ihnen ihr Schicksal keine Zukunft an. Das tut sehr weh. Somythall schüttelt ihren Kopf:
„Nein, Pippa, der junge Römer sieht hier am Liger seine Aufgabe; er muss das, was seine Vorfahren ihm anvertrauen, gegen den drohenden Zerfall schützen.“
Pippa schaut Somythall lange an. Sie sieht, wie sich Tränen in ihren Augen bilden.
„Dafür komme ich mit dir; und ich schwöre dir, ich werde alles tun, dir…“
„Pst! Sag es nicht! Es soll ein geheimes Band sein und bleiben – zwischen uns beiden. Es gibt mir schon jetzt große Kraft!“
Dabei nimmt Somythall Pippa in ihre Arme. So stehen sie lange schwer atmend da. Die große Göttin hält schützend ihre Hände über sie. Und Sumila hat endlich Schlaf gefunden.
„Wenn das Wetter weiter so trocken bleibt, können wir sicher schon bald aufbrechen. Es ist noch eine weite und nicht ungefährliche Reise“, flüstert Somythall Pippa ins Ohr.
„Schau, Sumila schläft!“ Pippa hat endlich zu sich gefunden. Nie hätte sie gedacht, dass sie an der Seite dieser jungen Frau ihre Heimat verlassen würde. Jetzt erscheint ihr alles wie vorherbestimmt. Hatte nicht schon die Alte in Lutetia so etwas geweissagt, als sie mit Pippin heimlich zu ihr geschlichen war? Sie will es gerne glauben. Es fühlt sich richtig gut an. All ihre Ängste wie weggeblasen, all ihre Sorgen lösen sich gerade in nichts auf. Und als sie jetzt Somythall in die Augen schaut, schwört sie sich, nie mehr von ihrer Seite zu weichen.
Später geht Julianus noch einmal zum Tempel der Diana. Er will die Göttin anflehen, Somythall umzustimmen, zum Bleiben zu bewegen. Oder sollte er sich nicht besser gleich an Sol Invictus wenden oder vielleicht sogar an Mithras? Er muss alles versuchen – hatte er nicht neulich erst geträumt, sie würden am Altar des Mithras ihr Eheversprechen ablegen? Und hatte er dabei nicht sogar die kleine Sumila im Arm?