Yrrlanth – Historischer Roman – Blatt # 152 – Leseprobe
Auf der Reise zur Villa Marcellina (Teil 2)
Der erste Teil dieser eigenartigen Reisegruppe – Bischof Arnulf samt Truchseß Wilfrid, dem Hofmeister des Königs, Ernólfod, und zwölf berittenen Soldaten – ist bald weit voraus. Der Frühling meint es wohl gut mit ihnen. Warmes Sonnenlicht, weiße Wolkenfetzen am Himmel und lautes Palaver ausgelassen singender Vögel begleiten sie schon seit Stunden. Rochwyn mit seinen Getreuen und den drei Frauen und Sumila gehen es um einiges langsamer an. Die Gesundheit und Sicherheit der ihm Anvertrauten ist ihm viel wichtiger als möglichst schnell die Villa Marcellina zu erreichen.
„Wie geht es dir?“ fragt Somythall gerade Pippa, während sich die Amme mit Sumila beschäftigt. Ihr schwerfälliger Wagen rumpelt laut und knirschend über die holprigen Feldwege. Baibana und Stublanka sitzen hinter der Rückwand des Wagens auf einem harten Brett und geben sich alle Mühe, nicht herunter zu fallen und alles mitzubekommen vom Tratsch.
„Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut“, erwidert lächelnd Pippa. Sie ist so glücklich, so unverhofft eine Freundin gewonnen zu haben. Nach ihrem großen Schmerz um Pippin, der ja der Vater ihres Kindes ist, das da gerade in ihr zu wachsen beginnt, ist sie nun im Kreise von Ruth, Somythall und Sumila ein neuer Mensch geworden. Kraft, Zuversicht und Freude machen sich in ihr breit. Sie hatte ganz vergessen, wie das ist, zu lachen.
Rochwyn lässt sich von der Spitze des Trupps jetzt zurückfallen, reitet gemächlich neben dem Wagen der Frauen, fängt ein Gespräch mit ihnen an:
„Ich denke, wir werden wohl drei oder vielleicht sogar vier Tage brauchen. Werdet ihr das aushalten können?“
Somythall strahlt ihn an. Seine Fürsorge rührt sie fast zu Tränen. Alle drei Frauen nicken lachend. Und Sumila jauchzt dazu, als gäbe es endlich etwas zu essen und zu trinken.
Zufrieden drückt Rochwyn seine Fersen in die Seiten seines Pferdes und schließt wieder nach vorne auf.
„Thyrdys, reite mit Whyrrbil und Wytgos voraus und sucht einen passenden Rastplatz. Unsere Frauen können eine Pause gut brauchen.“
Und bevor seine beiden besten Männer los reiten, ruft er ihnen noch hinterher:
„Wir müssen außerdem beraten, wie wir vorgehen wollen.“
Thyrdys nickt nur. Er ist mächtig stolz auf seinen Herrn, der ihn immer in seine Pläne einbezieht. Für den tu ich alles, alles, sagt er sich wild entschlossen und prescht davon.
Nicht viel später rasten sie nahe einem Bachlauf unter alten Buchen. Während die Frauen auf Decken sitzen, Brot essen, Milch trinken und Sumila versorgen, haben sich die Männer in einem Kreis zusammen gesetzt und tauschen ihre Eindrücke über die Leute des Königs und den Bischof aus.
„Können wir denen denn überhaupt glauben?“ fragt Baibana misstrauisch. „Was meinst du, Thyrdys?“ gibt Rochwyn die Frage einfach weiter.
„Ich traue denen allen nicht, keinem. Zwischen König und Bischof, zwischen
Truchseß und Hofmeister knistert es doch andauernd. Der eine lauert, wie er den anderen aus dem Weg schaffen kann. Ihre Verabredungen gelten immer nur so lange, wie sie dauern.“
Alle machen große Augen, schauen auf Rochwyn, was der wohl zu dieser vernichtenden Einschätzung sagen wird. Der verzieht den Mund, wiegt den Kopf hin und her, räuspert sich vernehmlich und sagt dann ziemlich leise:
„Genauso hätte ich es auch gesagt, Thyrdys, genauso.“
Ein größeres Lob könnte sich Thyrdys gar nicht vorstellen. Auch seine Mitstreiter fühlen sich durch Rochwyns Antwort geehrt, obwohl sie doch gar nichts gesagt hatten. Sie sind sich einig.
„Aber was folgt für uns daraus? Müssen wir die Villa vorher noch warnen?“
„Duc, wenn du willst, reite ich voraus, und schenke denen gleich reinen Wein ein!“ sprudelt es aus Stublanka heraus. Rochwyn denkt nach. Er grinst.
„Mach das, das kann auf keinen Fall schaden.“
Als sie später wieder aufbrechen, hat sich Stublanka schon davon gemacht.
Jetzt sitzt Baibana alleine hinten auf dem Brett. Was tut man nicht alles für den Duc?
Auch der Trupp des Bischofs hatte eine kleine Pause eingelegt – sie sind aber weiter ein gutes Stück voraus.
Ernólfod, Wilfrid und Arnulf halten Kriegsrat. Unter den Soldaten könnte ein Spitzel des Königs sein. Könnte? Ist ganz sicher einer. Deshalb führen sie ihr Gespräch weit ab vom Trupp, der auf einer Wiese die Pferde weiden lässt.
„Marcellus, der Herr der Villa, ist ein gebildeter Römer, der bewiesen hat, dass er auch kämpfen kann. Pippin und alle außer einem seiner Leute sind bei ihrem Angriff gefallen. Marcellus wird uns kaum trauen. Für ihn sind wir des Königs Männer. Und dieser König hatte Pippin geschickt, die Villa dem Erdboden gleich zu machen.“
Während sich Bischof Arnulf so leise reden hört, geht ihm gleichzeitig durch den Kopf, dass es ja auch seine Idee war. Zum Glück weiß das aber niemand, zum Glück ist Pippin ja tot.
„Ihr könnt euch auf uns verlassen“, ergreift nun der Hofmeister des Königs das Wort, „Chlotar will nur seine Truhen mit dem Gold des Römers füllen, wir wären nur seine Handlanger, die er bei nächster Gelegenheit aus dem Weg räumen lässt. Auch ist er heute in aller Frühe nicht zur Jagd aufgebrochen, sondern er will König von Austrasien und Burgund werden, nachdem er Brunichild von Burgund so bestialisch öffentlich hat hinrichten lassen.“
Bischof Arnulf wird blass vor Schrecken. Er dachte, des Königs Pläne wären ihm bekannt. Und jetzt das. Nun ist er noch mehr entschlossen, den König aus dem Weg zu räumen. Der Truchseß und der Hofmeister sollen ihm dabei helfen. Wenn sie zusammen den Befehl des Königs, die Villa zu vernichten, verweigern, sind sie auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Gut so. Dann sehen wir weiter, denkt der Bischof wütend.