06 Okt

YRRLANTH – Historischer Roman – Leseprobe – Blatt 140

Abt Ambrosius und das rote Martyrium – Teil 1

Sie waren gestern lange auf einem holprigen Waldpfad nur mühsam voran gekommen, vorbei an verbrannten Weilern. Die Frühlingssonne schaffte manchmal mit ihren wärmenden Strahlen den Weg durch die Laubdächer der hohen Buchen. Aber eben nur manchmal. Die Luft duftete feucht, es roch moosig und modrig ab und an.

Jetzt sind sie wieder seit dem frühen Morgen unterwegs. Der Wald wird lichter. Alles um sie herum erscheint ihnen frischer, heller, freundlicher. Spechte sind unterwegs, Eichhörnchen, Elstern schimpfen laut dazwischen. Rochwyn hat seinen Leuten heute morgen eingeschärft, ihre Waffen unter Decken auf den Rücken ihrer Pferde zu verstecken:

Wir werden sicher beobachtet. Rachegedanken wegen der verbrannten Weiler liegen auf der Hand. Früher waren es römische Legionäre, doch jetzt sind es die Franken, die auch auf der rechten Seite des Rheins das Sagen haben wollen. Wir sollten nicht wie sie aussehen. Und die Sänfte mit Somythall und Sumil ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir friedlich unterwegs sind. Von den Mönchen ganz zu schweigen.“

Seine Leute grinsen und kichern vor sich hin. Rochwyn gibt das Zeichen für eine Pause. Absitzen. Mit breitem Lächeln wendet er sich an Abt Ambrosius:

Mein lieber Abt!“

Bewusst wählt er diese sonst kaum vorstellbare Anrede. Alle horchen auf. Nur Sumil quietscht vergnügt dazwischen. Ruth versucht sie abzulenken. Vergeblich. Somythall voller Erwartung, was der Duc jetzt sagen wird. Ambrosius wirkt heute größer, stärker, sicherer. Er weiß, ab dem heutigen Tag beginnt sein Traum wirklich zu werden. Christus, der Allherrscher, den Heiden bringen. Auch die Mönche lösen sich aus ihrer sonst eher devoten Haltung. Im Geiste üben sie schon das Taufritual: Rettung von der Erbsünde. Wunderbar. Als wäre ihr Gott jetzt mitten unter ihnen, hier zwischen den alten Buchen und Eichen. Sie strahlen vor Begeisterung. Rochwyn wartet, er genießt die greifbare Spannung. Aber auch die Gewissheit, dass er endlich diesen christlichen Fanatiker und seine Mittäter los sein wird. Heute. Jetzt. Dann beginnt er mit seiner Rede:

Heute endet unser Auftrag hier. Und euer Auftrag beginnt hier. Die Gefahren der langen Reise liegen hinter uns. Vor uns liegt unsere Rückreise nach Yrrlanth und eure Missionsarbeit hier. Wir sind jetzt ganz nahe einem alten Versammlungsplatz des Stammes, der seit Jahrhunderten hier schon gegen die Römer gekämpft hat. Zum Glück haben wir sogar einen dabei, der ihre Sprache spricht.“

Großes Staunen und aufgebrachtes Raunen gehen durch die Reihen. Wer ist es? Doch Rochwyn löst das Rätsel nicht auf. Ihm gefällt die zusätzliche Spannung, die über allen zu schweben scheint. So fährt er einfach fort:

Aber“, und da macht Rochwyn eine bedeutsame Pause, „aber ich rate dir, sei vorsichtig, achte ihre Bräuche, denn nur so kannst du bei ihnen erfolgreich sein, nur so.“

Plötzlich hat er keine Lust mehr, weiter zu reden. Wozu auch? Abt Ambrosius ist ein Dickkopf und ein Fanatiker. Keinem guten Rat zugänglich.

Er hat es auf der Reise immer wieder erleben müssen. Aber gerade, als er wieder zum Aufbruch rufen will, erwidert ihm Ambrosius so:

Unser Herr und Gott hat uns sicher bis hier hin geführt. Das ist uns ein sicheres Zeichen dafür, dass er seine schützende Hand auch weiter über uns hält, damit wir erfolgreich seine Botschaft den armen Heiden bringen können.“

Seine Mitbrüder nicken beifällig. Rochwyn kann es nicht fassen. Dieser Abt ist unbelehrbar.

Aufsitzen!“ ruft er lauter als sonst und reitet zu Somythall, um ihr in die Sänfte zu helfen. Er schickt jetzt die drei neuen Gefolgsleute aus Argentovaria nach vorne, sie kennen sich aus, das hatten sie ihm neulich erzählt.

Gegen Mittag kommen sie auf eine große Lichtung. Ihnen gegenüber fällt ihnen gleich ein großer, alter, hoher Baumstumpf auf, aus dem wie schlanke Flügel abgestorbene Äste ragen. Als wollte ein geheimnisvoller Vogel gerade abheben. Davor drei Bündel langer Speere, die mit ihren Spitzen ebenfalls in den Himmel weisen und daneben zwölf Krieger. Als sich jetzt Rochwyns Gruppe samt Sänfte langsam den Fremden nähert, nehmen diese eine feindliche Haltung ein, eine Hand am Kurzschwert, die andere an der glänzenden Gürtelschnalle.

David“, flüstert Rochwyn,“geh langsam auf sie zu, und sage ihnen, dass wir in friedlicher Absicht kommen.“

David ist einer der drei Gefolgsleute aus Argentovaria.

Wartet hier, bis David uns sagt, ob sie uns empfangen wollen.“

Abt Ambrosius gefällt das gar nicht. Wer ist denn dieser David eigentlich, denkt er grimmig. Ein Jude leitet unsere Missionsarbeit ein? Das kann unserem Gott aber gar nicht gefallen. Rochwyn sieht, wie der Abt mit sich ringt, unruhig von einem Fuß auf den anderen schwankt und hörbar dabei schnauft.

Von weitem sieht auch Somythall, wie dieser David jetzt mit den Fremden spricht. Da stößt einer von ihnen in ein großes Horn. Dreimal ertönt ein tiefer, dumpfer Ton. Gleichzeitig kommt David zurück zu ihnen.

Und?“ fragt Rochwyn,“wie nehmen sie unsere Ankunft auf?“

David schluckt verlegen, wirft einen kurzen Blick auf den Abt und seine Mitbrüder und sagt dann leise:

Sie fordern, dass wir zu aller erst ihrem großen Baumgott opfern müssen, sonst töten sie uns alle!“

Rochwyns Laute trauen ihren Ohren nicht. Töten? Opfern? Da kommen aber auch schon weitere Krieger zwischen den Bäumen angerannt.

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