Autobiographische Blätter – Neue Versuche # 52 – Leseprobe
Hölderlin: Da ich ein Knabe war… (1794 – 1796)
…Oh all ihr treuen
Freundlichen Götter!
Dass ihr wüsstet,
Wie euch meine Seele geliebt!
Zwar damals rief ich noch nicht
Euch mit Nahmen, auch ihr
Nannten mich nie, wie die Menschen sich nennen,
Als kennten sie sich.
Doch kannt‘ ich euch besser,
Als ich je die Menschen gekannt,
Ich verstand die Stille des Aethers
Der Menschen Worte verstand ich nie.
Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains
Und lieben lernt‘ ich
Unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß.
„der Menschen Worte verstand ich nie“ – eine Erfahrung, die auch der kleine Floh machte. Jetzt, rückblickend und viel lesend und schreibend, wird ihm deutlich, wie ungefähr und willkürlich Worte, Sätze, Meinungen sind, die sich auf Gedächtnisbilder stützen, die selbst schon wieder überarbeitet und geschönt sein können – oder wohl auch schon sind…
Die Genauigkeit, mit der z. B. ein Richard Russo Gedankenspiele in „Diese alte Sehnsucht“ (The Old Cape Magic/ 2009) vorführt, als wären sie wahre Wortketten, die genau bebildern, was jemand denkt, fühlt, wünscht, zweifelt, träumt, lässt ihn nur leise schmunzeln. Vielleicht auch ein Grund, warum seine eigenen Texte (Historischer Roman I und II, blog-Texte, AbB-Texte) so oberflächlich wirken, als fehlte ihnen Tiefe, Genauigkeit, Strenge.
Ist es nicht viel eher so, dass er solcher Strenge einfach misstraut, das abzuliefern, was sie vorgeben liefern zu können: Abbilder von Außen- und Innenwelten? Allein, wenn er jetzt nur die Stichwortliste zu den zurückliegenden Sommertagen liest, weiß er genau, dass beim Auffüllen mit mehr Text mehr Fälschungen entstehen, als ihm lieb ist. So sehr sie ihm auch gefallen mögen. (Dabei erinnert er sich auch an die Unterrichtseinheiten zum Roman von Nicolas Born „Die Fälschung“ aus dem Jahr 1979 – intuitiv war ihm damals wohl schon klar, dass dieser Begriff ihm sehr sympathisch war, weil er die Suche nach Wahrheit mit einschließt)
Oder wenn er heute in der SZ ein Foto sieht mit dem Bild einer Frau, das er spontan für brauchbar hält, um ein verloren gegangenes Bild einer Freundin wieder zu finden. Selbstbetrug – das Alltagsgeschäft eines jeden von uns. Könnte das nicht den eifernden Umgang mit anderen Meinungen und Einschätzungen nachhaltig erleichtern, dem Recht Haben Wollen das Wasser abgraben?
Seine Antwort auf Hölderlins Gedicht am 6. Oktober 2020
Damals, ja damals schon…
Oh, ihr leisen Geister überall!
Wie wenig verstand ich einst
Euer stilles Werben, wiewohl ich
doch so zufrieden war mit euch
und euren liebenswerten Boten.
Der Jubelsang der Amsel im August,
Der süße Duft von Staub und Blüten
Der wohltuende Schatten unterm Kirschbaum
Da war jedes Wort zu viel, zu fremd,
Mein Fühlen zu offenbaren.
So verstand ich der Menschen Wort wohl nie.
Wozu auch. War ihnen doch nicht zu trauen.
Der kleine Mann spürte den hohlen Klang
Solcher Töne nur zu gut. Lasst mich allein!
Ich lernte still der Stille Botschaften zu lieben,
Genauso wie des Windes sanftes Säuseln
Und wogende Kornfelder trösteten
Das einsame Kind huldvoll und oft.
Kraft konnte da wachsen noch und noch.