18 Mai

Autobiographisches – Neue Versuche – Leseprobe # 34

AbB Neue Versuche entlang von „Eine Odyssee“ von Daniel Mendelsohn

# 34

S. 285 – Penelope ist genauso misstrauisch und zögerlich, wie Odysseus es die ganze Zeit war. In ihrer Vorsicht offenbart sich die G l e i c h g e s i n n t h e i t (h o m o p h r o s y n e)

des Ehepaars.

(das kann der alte Floh bestätigen: Salome und er sind in ihren Ansichten, in ihrem Humor, in ihren Interessen und in ihrer Diktion verwandt; so ist ihr Alltag abwechslungsreich und unterhaltsam, weil sie lauter Themen haben, die sie beide interessieren – sie sind g l e i c h g e s i n n t .)

… Hier haben wir also wieder das große Thema Identität, sagte ich in die Runde. Wie werden die beiden einander beweisen, wer sie sind? Schließlich sind zwanzig Jahre vergangen, schwierige Jahre, Jahre von Leid, Scham und Bedrängnis…

Wenn das Äußere, das Gesicht, der Körper nicht mehr wiederzuerkennen ist – was bleibt dann? Gibt es ein inneres „Ich“, das die Zeit überdauert?

(der alte Floh würde eher nein sagen: Sein früheres Ich ist ihm so fremd, so verloren gegangen, dass er kaum sagen kann, dass es seins war. Und sein späteres Ich scheint mit dem frühen wenig zu tun zu haben; also hat da nicht etwas überdauert, sondern da hat sich etwas Verpupptes in einem neuen anderen verwirklicht. Dazwischen gibt es nicht einmal eine schlingernde Hängebrücke, bloß einen tiefen Abgrund. Dramatisches Bild. Denn das eine hängt natürlich mit dem anderen zusammen, nur hat es sich weit vom Beginn entfernt. Er bräuchte ein gutes Fernglas, um klar zu sehen. Jetzt ist es eher ein vernebelter Eindruck, der sich ihm bietet. Und je länger und öfter er darüber nachdenkt, umso weniger sicher ist er sich in seinem Urteil. Was allerdings gut zu seinem I n t u i t i o n s – Argument (s. # 33) passt: So ungenau das Bild ist, das er sich jetzt von dem kleinen Floh macht, so ungenau war wohl auch das Bild, das sich der kleine Floh von sich gemacht hat, wenn überhaupt.)

S. 286 – Jeden Morgen schaue ich in den Spiegel und denke: Wer ist diese alte Frau, die mich ansieht? Ich fühle mich noch immer wie eine Sechzehnjährige.

(Der alte Floh erkennt noch vage den kleinen Floh, wenn er in den Spiegel schaut. Aber er fühlt sich auf keinen Fall wie ein sechzehnjähriger. Er ist froh, dass er sich nicht mehr so fühlt, wie damals: verängstigt, ratlos, unsicher; wütend, weil unfähig in allem. Aber er fühlt sich jetzt wie in seinen fünfziger Jahren: gut gelaunt, selbstbewusst, kreativ und voller Humor. Sprache ist seine Welt – lesen, schreiben, gestalten. Deshalb schreibt er unentwegt Tagebuch, im blog – www.johannes-seiler.de , schreibt an seinen historischen Romanen, schreibt Fabeln für die Enkelkinder, schreibt an autobiographischen Blättern (AbB) und arbeitet sich mit seiner Phantasie in Tagträumen an den vielfältigen Lektüren ab.)

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